schulden wäre ihm – soweit er sich wie hier mit einem Rechtsbehelf gegen den Schuldspruch oder den Rechtsfolgenausspruch wendet – nicht nach § 85 II ZPO zugerechnet worden und er hätte erfolgreich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen können. (ju) ÜBERWACHUNGSPFLICHTEN DES ANWALTS BEI ERKENNBARER VERUNSICHERUNG DER MITARBEITERIN Hat eine Kanzleimitarbeiterin für eine beA-Versendung einen falschen Empfänger ausgewählt, muss der Anwalt, wenn er diesen Fehler bemerkt, entweder eine konkrete Weisung erteilen, die keinen Interpretations- und Entscheidungsspielraum eröffnet, oder er muss das Ergebnis nach erneuter Bearbeitung durch die Mitarbeiterin selbst kontrollieren. (eigener Ls.) BGH, Beschl. v. 31.8.2023 – III ZB 72/22 Die Kanzlei hatte gegen ein Urteil des LG Hamburg per beA korrekt Berufung zum OLG Hamburg eingelegt. Bei der Berufungsbegründung ging dann etwas schief: Innerhalb der verlängerten Frist ging eine solche beim OLG Hamburg nicht ein. In einem Wiedereinsetzungsantrag der Kanzlei wurde vorgetragen, im Anschriftenverzeichnis des beA sei das OLG Hamburg nicht als „Hanseatisches“ OLG aufgeführt; mit dem Zusatz „Hanseatisches“ sei nur das OLG Bremen zu finden. (Anm.: Dies ist zutreffend. In der Tat bezeichnet sich das OLG Hamburg selbst nur als „Hanseatisches Oberlandesgericht“. Das OLG Bremen bezeichnet sich als „Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen“.) Die Fachangestellte (eine andere als die, die erfolgreich die Berufungseinlegung bearbeitet hatte) habe daraufhin das OLG Bremen als Empfänger ausgewählt. Dies habe der Anwalt bei der Vornahme der qeS am PC der Mitarbeiterin bemerkt und diese angewiesen, das Empfangsgericht nochmals zu prüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Die Mitarbeiterin habe aber wiederum nur das Hanseatische OLG in Bremen gefunden und fälschlich angenommen, dass Bremen und Hamburg ein gemeinsames OLG hätten. Das OLG Hamburg wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück. Der BGH wies die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde als unzulässig zurück (Statthaftigkeit wurde bejaht, obwohl die Berufung noch gar nicht verworfen worden war). Ein fehlendes Verschulden des Anwalts sei nicht dargelegt. Zwar könne ein für die Fristversäumung ursächlicher fehlerhafter Eintrag im beAAdressverzeichnis eine Wiedereinsetzung begründen. Dies sei hier aber nicht entscheidend gewesen. Es liege aber ein Überwachungsverschulden des Anwalts vor. Zum einen habe er die Mitarbeiterin nicht konkret und eindeutig angewiesen, die Berufungsbegründung ausschließlich an das OLG in Hamburg zu senden (dessen Anschrift ja im Schriftsatz selbst korrekt ausgewiesen war), sondern sie lediglich beauftragt, das Empfangsgericht zu prüfen und „gegebenenfalls“ zu korrigieren. Zum anderen habe ihm aufgrund des ihm ja aufgefallenen Fehlers und der anschließenden Diskussion bewusst sein müssen, dass die Mitarbeiterin es weiterhin für möglich hielt, dass das OLG in Bremen der richtige Empfänger sei. Deswegen hätte der Anwalt das Ergebnis der Überprüfung durch die Mitarbeiterin selbst kontrollieren müssen. Aus dem BGH-Beschluss geht leider nicht hervor, wo die Kanzlei ihren Sitz hatte – vermutlich weder in Hamburg noch in Bremen. (hg) DEMNÄCHSTIGE ZUSTELLUNG ZUR FRISTWAHRUNG GEM. § 46 I 2 WEG (a.F.) Verzögerungen im Zustellungsverfahren, die durch eine fehlerhafte Sachbehandlung des Gerichts verursacht sind, sind dem Zustellungsbetreiber nicht zuzurechnen; das gilt auch dann, wenn der fehlerhaften Sachbehandlung des Gerichts eine der Partei zuzurechnende Verzögerung (hier: fehlerhafte Angabe der Zustellanschrift) vorausgegangen ist. BGH, Urt. v. 21.7.2023 – V ZR 215/21, NJW 2023, 2945 Die Beschlussanfechtung wandte sich gegen verschiedene auf einer WEG-Versammlung am 7.9.2020 gefassten Beschlüsse. Die Anfechtungsklage wurde allerdings erst am11.12.2020 zugestellt. Vorausgegangen war die rechtzeitige Einreichung bei Gericht am 6.10.2020. Nach Zahlung des Kostenvorschusses hat das AG dann die Zustellung der Klage am 12.11.2020 veranlasst. Allerdings hatte die Klägerin die Adresse des Verwalters falsch angegeben, so dass nicht zugestellt werden konnte, die Urkunde ging am 23.11. an das Gericht zurück. Aus einem Parallelverfahren entnahm der Abteilungsrichter dann die korrekte Adresse und verfügte die Absendung, die aber dann durch die Geschäftsstelle erst am 9.11. veranlasst wurde, so dass es dann am 11.12. zur erfolgreichen Zustellung kam. AG und LG hatten die Klage wegen der Versäumung der Klagefrist abgewiesen. Dazu erläutert der BGH, dass im Ausgangspunkt richtigerweise davon ausgegangen wurde, dass das Merkmal „demnächst“ in § 167 ZPO nur erfüllt sei, wenn sich der Partei zurechenbare Verzögerungen in einem hinnehmbaren Rahmen halten, der üblicherweise bei Verzögerungen bis zu 14 Tagen angenommen werde. Bei fehlerhafte Adressangabe berechne sich die zuzurechnende Verzögerung regelmäßig ab dem Zeitpunkt des gescheiterten Zustellversuchs. Dieser war hier mangels Vermerk nicht genau feststellbar; bei üblicher Bearbeitungszeit durch die Post sei aber davon auszugehen, dass die am 12.11. 2020 verfügte Zustellung am 16.11. erfolgt wäre. Da die tatsächliche Zustellung am 11.12. bewirkt wurde, sei also von einer Verzögerung von 25 Tagen auszugehen. Auch wenn der Abteilungsrichter insofern überobligatorisch handelte als er die korrekte Adresse der Parallelakte entnahm und die erneute Zustellung auch umgehend verfügte, kompensiere das nicht die dem Gericht JUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 6/2023 385
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