BRAK-Mitteilungen 1/2024

liche Zwecke verfolge. Sein privates Interesse an Gewinnerzielung werde „durch seine Ausbildung, seine berufliche Erfahrung und die ihm obliegende Verantwortung gezügelt, da ein etwaiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder berufsrechtliche Regeln nicht nur den Wert seiner Investition, sondern auch seine eigene berufliche Existenz erschüttert.“10 10 EuGH, Urt. v. 19.5.2009, Apothekerkammer des Saarlandes u.a., C-171/07, Rz. 37; EuGH, Urt. v. 19.5.2009, Kommission/Italien, C-531/06, Rz. 61. Diese Erwägungen lassen sich ohne weiteres in die Diskussion um das anwaltliche Fremdbesitzverbot überführen. Anhaltspunkte dafür, dass eine funktionsfähige Rechtspflege auf EU-Ebene als weniger bedeutsam eingestuft wird als die Bedeutung der Apotheker für die Bevölkerung, sind über all die Zeit nicht ersichtlich geworden. Im Gegenteil qualifiziert der EuGH regelmäßig die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege als eines der höchsten Schutzgüter und verdeutlicht immer wieder die „grundlegende Aufgabe“, die der Anwaltschaft in einer demokratischen Gesellschaft zukommt.11 11 EuGH, Urt. v. 2.12.2010, Jakubowska/Maneggia, C-225/09, Rz. 59 ff.; EuGH, Urt. v. 19.2.2002, Wouters, C 309/9; Pressemitt. Nr. 198/22 des EuGH v. 8.12.2022 zum Urt. v. 8.12.2022, Orde van Vlaamse Balies/Vlaamse Regering, C-694/20. Schließlich ist die Rechtsstaatlichkeit eine der in Art. 2 EUV normierten Grundsäulen und damit eine unabhängige, nur dem Rechtsstaat verpflichtete Rechtsanwaltschaft auch nach europäischem Recht zwingend. 2. DIE DISKUSSIONEN AUF NATIONALER EBENE Auf nationaler Ebene wurde die Liberalisierung des Fremdbesitzverbotes zuletzt vor dem Hintergrund der „großen BRAO-Reform“ geführt, auch wenn das Thema letzten Endes ausgeklammert wurde.12 12 Vgl. näher dazu Nitschke, BRAK-Mitt. 2021, 218. Nach der bisherigen Rechtslage durften sich ausschließlich Mitglieder einer Rechtsanwaltskammer und der Patentanwaltskammer, Steuerberaterinnen und -berater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüferinnen und -prüfer sowie vereidigte Buchprüferinnen und -prüfer mit Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten zur gemeinschaftlichen Berufsausübung verbinden, § 59a I BRAO a.F. Mit der am 1.8.2022 in Kraft getreten „großen BRAO-Reform“ wurde eine deutliche Erweiterung dieses Kreises sozietätsfähiger Berufe herbeigeführt, indem nunmehr sämtliche freien Berufe i.S.v. § 1 II PartGG umfasst sind. In seiner Gesetzesbegründung13 13 BT-Drs. 19/27670, 126. hat der Gesetzgeber jedoch gezielt darauf hingewiesen, dass bereits die berufliche Zusammenarbeit mit anderen Berufen eine große Herausforderung für die Wahrung der Unabhängigkeit darstellt. Das BVerfG betonte hierzu, dass sich bei einer Zusammenarbeit mit anderen Berufsträgern eine Beeinträchtigung der beruflichen Unabhängigkeit der einzelnen Partner bereits im Hinblick auf entstehende Machtstrukturen nicht völlig ausschließen lasse.14 14 BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvL 6/13, BRAK-Mitt. 2016, 78 = NJW 2016, 700 (702). Dies gelte insb. dann, wenn den sich zusammenschließenden Berufsträgern ein unterschiedliches Berufsrecht zugrunde liegt. Vor diesem Hintergrund sei es geboten, die Zusammenarbeit zumindest auf solche Berufe zu beschränken, die ebenfalls durch eine unabhängige Berufsausübung gekennzeichnet sind. Eine klare gemeinsame Kennzeichnung erfahren die freien Berufe u.a. durch das Grundprinzip der Unabhängigkeit als verbindendes Strukturprinzip. Mit anderen Worten ist die Unabhängigkeit auch beim Zusammenschluss von Angehörigen freier Berufe nicht gefährdet, da sie gleichermaßen der Pflicht einer eigenverantwortlichen und fachlich unabhängigen Erbringung einer Dienstleistung unterliegen.15 15 Dahns/Flegler/Nitschke, BRAK-Mitt. 2023, 204 (210 f.). Würde die anwaltliche Tätigkeit mit einer gewerblichen Tätigkeit verbunden, rückt der kaufmännische Vertrieb des „Produktes Rechtsdienstleistung“ in den Vordergrund und ist die Unabhängigkeit gefährdet. Auch das Fremdbesitzverbot war Gegenstand der Diskussionen, wurde im Ergebnis jedoch weitestgehend ausgeklammert und in leicht modifizierter Form gezielt aufrechterhalten. Seine Absicherung erfährt es de lege lata u.a. durch das Erfordernis aktiver Mitarbeit, § 59b I 1 BRAO, Beschränkungen für die Übertragung von Gesellschaftsanteilen, § 59i II, III BRAO sowie die Ausübung von Stimmrechten und anderen Gesellschafterrechten, § 59i IV, V BRAO. Dieses Regelungsgefüge soll dem Willen des Gesetzgebers nach, eine Umgehung des Fremdbesitzverbots unterbinden. Interesse und Bedarf an einer Lockerung oder gar Abschaffung des Fremdbesitzverbots wurde damals wie heute am prominentesten aus den Kreisen der Legal Tech-affinen Kanzleien und Legal Tech-Anbieter angemeldet – weitestgehend mit dem Argument, nur so die Finanzen für notwendige technische Investitionen aufbringen zu können oder gar anwaltsspezifische Legal Tech-Lösungen zu erarbeiten. Dieses Argument scheint vielmehr ein Vorwand und weniger ein triftiger Grund zu sein: Long-term werden Anwältinnen und Anwälte vor dem Hintergrund einer Marktverdichtung zu Anwendern anwaltsspezifischer Legal Tech-Produkte und KI-Anwendungen, nicht jedoch zu ihren Produzenten – dies schon allein wegen des Entwicklungsvorsprungs der großen Tech-Unternehmen.16 16 Vgl. hierzu BRAK-Stn.-Nr. 71/2023, 4; s. auch bereits Wolf, BRAK-Mitt. 2018, 162 (164). Die Entwicklerrolle dürfte – auch mit Beteiligungsmöglichkeit Dritter – höchstens eine Ausnahme werden;17 17 Vgl. zum Ganzen vor dem Hintergrund der Umfrage unter V.1.b)bb). Zum geäußerten Bedarf an der Entwicklung eigener Legal Tech-Plattformen vgl. unter V.2.a). zudem wäre dies gerade keine anwaltliche Tätigkeit (sondern Softwareentwicklung). Ungeachtet dessen steht Anwältinnen und Anwälten bereits heute der Weg offen, sich an der (Fort-)Entwicklung von Legal Tech-Lösungen finanziell zu beteiligen – nur eben nicht im Rahmen der Anwaltskanzlei.18 18 Wolf, BRAK-Mitt. 2020, 250 (257). Interessant wäre an dieser Stelle auch ein Blick auf die Preisentwicklung der IT-Branche: Sicherlich ist der IT-Bereich stets von neuen Technologieumbrüchen und imNITSCHKE/WIETOSKA, FREMDBESITZVERBOT AUF DEM EMPIRISCHEN PRÜFSTAND AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 1/2024 3

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