BRAK-Mitteilungen 1/2024

vierung und daher von einem Rückgang der Informationserfassung und -übermittlung in Papierform geprägt. Das hat nicht nur zu einem exponentiellen Anstieg der Kommunikation an sich – und daher auch der verfügbaren Daten – geführt, sondern auch dazu, dass regelmäßig digitale Speichermedien und Kommunikationssysteme im Fokus strafprozessualer Datenerhebungsmaßnahmen stehen.12 12 Vgl. Wackernagel/Graßie, NStZ 2021, 12. Da die derzeitige Praxis von erheblichen Rechtsunsicherheiten und auch unterschiedlichen Handhabungsweisen geprägt ist, müssen die Regelungen für die Durchsicht vom Gesetzgeber neu austariert werden – im Interesse aller am Strafverfahren Beteiligten. Insofern wird im Rahmen dieser Stellungnahme eine Neufassung des § 110 StPO vorgeschlagen, durch deren Ergänzungen insb. der Schutz beschlagnahmefreier Daten wie beispielsweise Verteidigungsunterlagen sowie die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gestärkt werden sollen (hierzu unter III.1.a.). Im Hinblick auf die Hauptverhandlung spricht sich die BRAK, wie in Stellungnahme Nr. 8/2023,13 13 Vgl. BRAK-Stn.-Nr. 8/2023, 3 ff. Stellungnahme Nr. 23/2023,14 14 Vgl. BRAK-Stn.-Nr. 23/2023. und Stellungnahme Nr. 63/202315 15 Vgl. BRAK-Stn.-Nr. 63/2023. ausgeführt, ausdrücklich für die Einführung einer umfassenden und zeitgemäßen digitalen Dokumentation der Hauptverhandlung in Strafsachen aus.16 16 Zum aktuellen Stand des parlamentarischen Verfahrens BRAK-News v. 15.12.2023 sowie Nachr. aus Berlin 25/2023 v. 14.12.2024. Insbesondere sollten die technischen Möglichkeiten der Videokonferenztechnik auch in der Hauptverhandlung verstärkt genutzt werden.17 17 Vgl. dazu BRAK-Stn.-Nr. 63/2023. Dabei werden aber auch die rechtlichen Grenzen eines solchen Einsatzes deutlich. Insbesondere die Grundsätze der Mündlichkeit, der Öffentlichkeit und der Unmittelbarkeit stehen mit der fortschreitenden Digitalisierung in einem Spannungsverhältnis.18 18 Knauer, BRAK-Mitt. 2022, 244. II. ELEKTRONISCHE AKTENFÜHRUNG Aufgrund des stetigen Fortschritts der Digitalisierung wurde durch das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5.7.201719 19 BGBl. 2017 I, 228. die Möglichkeit der elektronischen Aktenführung normiert. Seither findet sie ihre gesetzliche Grundlage für das Strafverfahren in §§ 32–32f StPO. Bisher müssen seit dem 1.1.2022 gem. § 32d S. 2 StPO die Berufung und ihre Begründung, die Revision, ihre Begründung und die Gegenerklärung sowie die Privatklage und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage als elektronisches Dokument per beA übermittelt werden, allerdings bleibt die flächendeckende Einführung der elektronischen Akte in der gesamten Strafjustiz bis zum 31.12.2025 fakultativ und wird erst ab dem 1.1.2026 obligatorisch.20 20 Vgl. Anders/Graalmann-Scheerer/Schady/Mitterer, Innovative Entwicklungen in den deutschen Staatsanwaltschaften, 2021, 353. Bis dahin sind wesentliche Fragen bezüglich der Anforderungen an die elektronische Aktenführung und Akteneinsicht zu klären. Auf Grundlage der Verordnungsermächtigungen in § 32 II und III, § 32b V und § 32f VI StPO wurden bereits sowohl seitens der Bundes- als auch der Landesregierungen diverse Verordnungen erlassen. Auf Bundesebene wurden insoweit für das Strafverfahren in der Bundesstrafaktenführungsverordnung (BStrafAktFV),21 21 Vgl. Verordnung über die technischen und organisatorischen Rahmenbedingungen für die elektronische Aktenführung im Strafverfahren (Bundesstrafaktenführungsverordnung – BStrafAktFV) v. 9.12.2019, (BGBl. 2019 I, 2140), die allerdings nur für die Strafverfahrensakten des BGH bzw. des GBA beim BGH sowie spezielle Verfahren der Finanzbehörden gilt (vgl. § 1). der Strafaktenübermittlungsverordnung (StrafAktÜbV)22 22 Verordnung über die Standards für die Übermittlung elektronischer Akten zwischen Strafverfolgungsbehörden und Gerichten im Strafverfahren (Strafaktenübermittlungsverordnung – StrafAktÜbV) v. 14.4.2020, BGBl. 2020 I, 799. und der Strafakteneinsichtsverordnung (StrafAktEinV)23 23 Vgl. Verordnung über die Standards für die Einsicht in elektronische Akten im Strafverfahren (Strafakteneinsichtsverordnung – StrafAktEinV) v. 24.2.2020, BGBl. 2020 I, 242. Regelungen geschaffen. Seitens der Landesregierungen wurden ebenfalls entsprechende Verordnungen erlassen, welche sich jedoch nur teilweise auf die elektronische Aktenführung im Strafverfahren erstrecken. So beschränken sich die Vorschriften der Länder oftmals auf zivilgerichtliche, familiengerichtliche und fachgerichtliche Verfahren. Soweit Regelungen zur elektronischen Aktenführung im Strafverfahren vorhanden sind, unterscheiden sich diese jedoch auch maßgeblich in ihrer Ausgestaltung, sodass die rechtlichen Vorgaben an die elektronische Aktenführung in Strafverfahren erheblich divergieren. Insofern sollten wesentliche Kriterien bundeseinheitlich geregelt werden, um tragfähige Grundsätze – insb. bezüglich Aktenwahrheit und -vollständigkeit – zu gewährleisten. Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass über das Akteneinsichtsportal des Bundes und der Länder24 24 https://www.akteneinsichtsportal.de/web/guest/start. Gerichte und Staatsanwaltschaften in Deutschland elektronische Akten für die Einsichtnahme online zum Abruf bereitstellen können. Das Akteneinsichtsportal wird in der Praxis bisher bedauerlicherweise nur vereinzelt genutzt. USB-Sticks und Papierakten werden vielfach eingesetzt. 1. ANLAGE, ERSTELLUNG UND FÜHRUNG VON ELEKTRONISCHEN AKTEN(-BESTANDTEILEN) Mit Blick auf die Anlage, Erstellung und Führung von elektronischen Akten(-bestandteilen) haben die Länder hinsichtlich der technischen Rahmenbedingungen einschließlich der einzuhaltenden Anforderungen des Datenschutzes, der Datensicherheit und der Barrierefreiheit (vgl. § 32 II StPO) bereits sich in den Details teilweise deutlich unterscheidende Verordnungen erlassen.25 25 Vgl. etwa Verordnung zur elektronischen Aktenführung bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften im Land Berlin v. 4.5.2021; Bayerische Verordnung über den BRAK-MITTEILUNGEN 1/2024 AUFSÄTZE 14

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