elektronischen Rechtsverkehr bei den ordentlichen Gerichten v. 15.12.2006, zuletzt geändert am 1.7.2023; Verordnung über die technischen und organisatorischen Rahmenbedingungen für die elektronische Aktenführung im Strafverfahren im Land Nordrhein-Westfalen (eAkten-Verordnung Strafverfahren – eAktVO Straf) v. 1.7.2023. Trotz Länder-Regelungen sollten wesentliche Grundsätze der Aktenführung zur Wahrung des Offizialprinzips, des Beschleunigungsgrundsatzes sowie der aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsätze der Aktenwahrheit und -vollständigkeit aufgrund des funktionalen Zusammenhangs mit §§ 32 ff. StPO in einem Bundesgesetz geregelt werden. Die Staatsanwaltschaft ist bisher – und das muss sie weiterhin bleiben – aktenführende Behörde. Sie hat dafür Sorge zu tragen, dass die Verfahrensakten von Dritten nicht abgeändert werden. Jegliche Manipulationsmöglichkeiten müssen durch entsprechende technische Vorkehrungen ausgeschlossen sein. Insofern hält die BRAK die Beauftragung privater Unternehmen, welche etwa die Aktenstruktur bestimmen, für grundsätzlich unzulässig. Soweit dies in Einzelfällen aufgrund der notwendigen besonderen IT-forensischen Sachkunde zwingend erforderlich ist, ist zumindest ein bundeseinheitlicher enger rechtlicher Rahmen zu schaffen (hierzu unter III.1.c)bb.). Um dem Beschleunigungsgebot sowie dem aus dem Recht auf ein faires Verfahren abgeleiteten Prinzip der Waffengleichheit ausreichend Rechnung zu tragen, muss auch eine effektive und praktische Handhabung der elektronisch geführten Verfahrensakte gewährleistet sein. Diese setzt in inhaltlicher Hinsicht insb. eine Inhaltsübersicht sowie die Einheitlichkeit bei der Benennung einzelner Ordner, etwa Hauptbände, Beweismittelbände, Beschuldigtenbände, Zeugenbände, Durchsuchungsbände, Finanzermittlungen und andere Sonderbände mit Einzelfallbenennung (Oberbegriff für alle außer den Hauptbänden: „Sonderbände“) voraus. Mindestens die Hauptbände sind dabei streng chronologisch zu führen, so dass v.a. auch aus dem Hauptband der Gang der Ermittlungen nachvollziehbar ist. Die erforderliche Nachvollziehbarkeit bedeutet in jedem Fall, dass zusätzlich auch die Kommunikation einzelner Verfahrensbeteiligter mit der aktenführenden Stelle aufzunehmen ist und Vermerke darüber anzufertigen und einzufügen sind, welche Aktenbestandteile (nur) in Sonderbände aufgenommen wurden. Alle Beweismittel, die ohne Erkenntnisverlust (digital) kopiert werden können, sind mindestens als Scans zur Akte zu nehmen und damit Aktenbestandteil. Bei der Fertigung von Kopien ist auf deren Qualität zu achten. So sollen z.B. farbige Darstellungen auch in der Kopie solche sein. Von Verkleinerungen etc. ist abzusehen. Vgl. § 32e I StPO: „Dokumente, die nicht der Form entsprechen, in der die Akte geführt wird (Ausgangsdokumente), sind in die entsprechende Form zu übertragen. Ausgangsdokumente, die als Beweismittel sichergestellt sind, können in die entsprechende Form übertragen werden.“ Vgl. auch § 4 II 2 DokErstÜbV: „Ausgangsdokumente, die als Beweismittel sichergestellt sind, können in elektronische Dokumente übertragen oder von der elektronischen Übermittlung ausgenommen werden“ und § 4 III 1 DokErstÜbV: „Ausgangsdokumente, die nicht als Beweismittel sichergestellt sind, müssen während des laufenden Verfahrens im Anschluss an die Übermittlung mindestens sechs Monate lang gespeichert oder aufbewahrt werden.“ Vgl. auch § 3 III 1 ElektAktFVO SH: „Beiakten, als Beweismittel eingereichte oder dienende Schriftstücke oder sonstige Unterlagen werden in die elektronische Form übertragen, wenn dies keinen unverhältnismäßigen Aufwand darstellt. Die Übertragung dient nicht der Ersetzung der Urschrift. § 97 der Grundbuchverfügung bleibt unberührt.“ Nach Anklageerhebung darf eine Veränderung oder Ergänzung der Akte nur noch durch das Gericht erfolgen. Zur Gewährleistung der Nachvollziehbarkeit ist auch hierfür für neu hinzukommende Aktenteile ein einheitliches System erforderlich. Das Akteneinsichtsrecht der Verteidigung kann ab diesem Zeitpunkt nicht mehr beschränkt, sondern muss vielmehr gestärkt werden – spätestens hier sollte die in der Praxis handhabbare „Live-Akte“ der Maßstab sein (hierzu unten II.2.b)). Alternativ würde sich die Einführung eines einheitlichen Systems für neu hinzukommende Aktenbestandteile anbieten, z.B. durch inkrementelle Übersendung oder Beifügung eines Gesamtverzeichnisses. Auf Basis der vorstehenden Ausführungen schlägt die BRAK folgende Erweiterung des § 32 StPO vor: §32 Elektronische Aktenführung; Verordnungsermächtigungen * Änderungsvorschläge der BRAK kursiv und farbig hervorgehoben (1) Die Akten können elektronisch geführt werden. Die Bundesregierung und die Landesregierungen bestimmen jeweils für ihren Bereich durch Rechtsverordnung den Zeitpunkt, von dem an die Akten elektronisch geführt werden. Sie können die Einführung der elektronischen Aktenführung dabei auf einzelne Gerichte oder Strafverfolgungsbehörden oder auf allgemein bestimmte Verfahren beschränken und bestimmen, dass Akten, die in Papierform angelegt wurden, auch nach Einführung der elektronischen Aktenführung in Papierform weitergeführt werden; wird von der Beschränkungsmöglichkeit Gebrauch gemacht, kann in der Rechtsverordnung bestimmt werden, dass durch Verwaltungsvorschrift, die öffentlich bekanntzumachen ist, geregelt wird, in welchen Verfahren die Akten elektronisch zu führen sind. Die Ermächtigung kann durch Rechtsverordnung auf die zuständigen Bundes- oder Landesministerien übertragen werden. (2) Vor Anklageerhebung obliegt die ordnungsgemäße Aktenführung den Strafverfolgungsbehörden. Sie müsBUNDESRECHTSANWALTSKAMMER, REFORMVORSCHLÄGE FÜR DAS STRAFRECHT UND DEN STRAFPROZESS AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 1/2024 15
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