BRAK-Mitteilungen 1/2024

ßer Datenmengen auch im Anschluss an eine Durchsuchung in anderen Räumen vorzunehmen. Für den Fall, dass unter Ausschöpfung aller verfügbaren technischen Möglichkeiten trotzdem eine Durchsicht erforderlich ist, wird vorgeschrieben, dass – soweit möglich – sicherzustellen ist, dass die geschützten Papiere oder Daten ihrem Inhalt nach nicht zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden gelangen. Sie sind im Zuge der Durchsicht unverzüglich auszusondern und dem Inhaber auszuhändigen oder, soweit es sich um Kopien handelt, zu vernichten oder zu löschen.45 45 Vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 16.6.2009 – 2 BvR 902/06, NJW 2009, 2431, 2437 Rn. 90. Ein Zugriff auf Daten in Clouds darf nur erfolgen, sofern auch die Zugangscodes über Beschlagnahme erlangt worden sind. Ein Zugriff bleibt den Ermittlungsbehörden bei im Ausland befindlichen Servern hingegen gänzlich verwehrt. Aus Klarstellungsgründen wird in der vorgeschlagenen Neufassung die Dauer der nicht am Ort der Durchsuchung erfolgten Durchsicht ausdrücklich geregelt, so dass mit der Durchsicht „unverzüglich“ begonnen werden muss und sie „zügig“46 46 Cordes/Reichling, NStZ 2022, 712, 714. durchgeführt wird. Auch wenn sich der Umfang von Sichtungsmaßnahmen nicht vorab bestimmen lässt,47 47 BGH, Beschl. v. 20.5.2021 – StB 21/21, NStZ 2021, 623, 624. sollte eine Obergrenze für die Rückgabe von Geräten (in der Regel vier Wochen ab dem Zeitpunkt der Mitnahme) festgelegt werden. Nur wenn eine Spiegelung innerhalb dieser Frist nicht möglich ist – was entsprechend zu begründen wäre – soll eine Verlängerung auf max. drei Monate möglich sein. dd) HINZUZIEHUNG DES BETROFFENEN ODER EINES DURCHSUCHUNGSZEUGEN Im Hinblick auf die derzeit48 48 LG Braunschweig, Beschl. v. 12.4.2006 – 6 Qs 88/06, BeckRS 2011, 9575; da es sich bei den Unterlagen im Zeitpunkt der Durchsicht noch nicht um Beweisstücke handelt, greift auch das Besichtigungsrecht des § 147 I StPO nicht ein, vgl. BGH, Urt. v. 29.10.2021 – 5 StR 443/19, NZWiSt 2022, 326; OLG Thüringen, Beschl. v. 20.11.2000 – 1 Ws 313/00, NJW 2001, 1290; OLG Koblenz, Beschl. v. 30.3.2021 – 5 Ws 16/21, NZWiSt 2021, 386, 389 f. nicht ausdrücklich vorgesehene Hinzuziehung des Betroffenen oder eines Durchsuchungszeugen schlägt die BRAK vor, dass der Inhaber und, wenn er der Beschuldigte ist, auch sein Verteidiger von Ort und Zeit der Durchsicht zu benachrichtigen sind und ihnen die Anwesenheit zu gestatten ist. Konkret könnte die Aussonderung geschützter Verteidiger-Kommunikation in Anwesenheit des leitenden Ermittlungsbeamten, eines IT-Forensikers der zuständigen Ermittlungsbehörde und des Verteidigers durchgeführt werden, wobei Letzterer dem IT-Forensiker die von ihm benutzten Kommunikationsmedien und -adressen mitteilt. Identifizierung und Löschung der geschützten Kommunikation erfolgen dann durch den ITForensiker ohne den Ermittlungsbeamten, welchem anschließend ein um diese Kommunikation bereinigter Datenbestand für die Durchsicht nach § 110 StPO zur Verfügung gestellt wird. Diese Vorgänge sind zu dokumentieren. Ein solches Vorgehen ist auch dann noch geboten, wenn innerhalb von zwei Werktagen ab dem Tag der Sicherung von Daten im Zuge einer Durchsuchung angezeigt wird, dass der Datenbestand geschützte Kommunikation mit Berufsgeheimnisträgern enthält. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte den Ermittlungsbehörden eine Durchsicht der gesicherten Daten gesetzlich untersagt sein. Gegenüber Dritten, deren Daten und Korrespondenz gesichtet wird, stellt sich die Durchsicht regelmäßig als heimliche Maßnahme dar.49 49 Peters, NZWiSt 2017, 465, 469, Puschke/Singelnstein, NJW 2008, 113, 115; s. auch Ladiges, GSZ 2021, 203, 207/208: Gefahr, dass sich die Durchsicht einer verdeckten Online-Durchsuchung annähert. Da diesen gegenüber eine Benachrichtigungspflicht nicht praktisch umsetzbar ist, wird ein Interessenausgleich angestrebt, indem Dritten, die ihre Betroffenheit bei den Strafverfolgungsbehörden glaubhaft machen, die Anwesenheit zu gestatten ist. Beim Einsatz IT-forensischer Datenauswertungssysteme ist der Anwältin bzw. dem Anwalt des Berechtigten Zugriff zu diesem System zu gewähren.50 50 Alle gängigen IT-Forensiksysteme ermöglichen die Einräumung von Remote-Zugriffsprofilen, die einen in der Zukunft möglicherweise bestehenden Live-Zugriff der Verteidigung auf elektronische Ermittlungsakten flankieren könnten; alternativ könnte die Einrichtung eines Nutzerprofils zur Nutzung bzw. Einsichtnahme in den Räumen der Behörden erfolgen. Dem erhöhten Aufwand bei der Verteidigung ist ggf. durch Schaffung eines Gebührentatbestands und der Durchsicht umfangreicher Datenträger als ein Indiz für das Vorliegen eines Pflichtverteidigungstatbestandes Rechnung zu tragen. ee) DAUER DER BESCHLAGNAHME UND ANFERTIGUNG VON KOPIEN Um zu vermeiden, dass sichergestellte elektronische Speichermedien wochen-, teilweise monatelang ohne Bearbeitung bei den Ermittlungsbehörden liegen, wird eine Soll-Vorgabe in § 94 StPO angeregt, wonach nach der Beschlagnahme von Datenträgern und vor deren Verwendung unverzüglich die Erstellung einer nicht veränderbaren originalgetreuen Spiegelung (nur der möglicherweise beweiserheblichen) Daten unter Beachtung der Maßstäbe der IT-Forensik zu erfolgen hat.51 51 Vgl. S. 26 des Leitfadens IT-Forensik des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik. Auch eine Soll-Vorgabe in § 111n I StPO, wonach die Herausgabe von Datenträgern unverzüglich zu erfolgen hat, erscheint angezeigt.52 52 Ggf. richterliche Fristsetzungsbefugnisse, Begründungspflichten für Fristverlängerungsersuchen der StA. Überdies wird die Schaffung einer ergänzenden Regelung angeraten, wonach beim Einbehalt von originalen Datenträgern unter Verweis auf Zwecke des Strafverfahrens i.S.d. § 111n I StPO die Anfertigung und Herausgabe von Kopien der Datenträger zu gewähren sind, soweit hierdurch der Untersuchungszweck nicht gefährdet wird. Zur (Folge-)Beschlagnahme zuvor gem. § 110 StPO vorläufig gesicherter und durchgesehener Daten soll zuBUNDESRECHTSANWALTSKAMMER, REFORMVORSCHLÄGE FÜR DAS STRAFRECHT UND DEN STRAFPROZESS BRAK-MITTEILUNGEN 1/2024 AUFSÄTZE 20

RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0