dem eine Pflicht zur Absonderung der beschlagnahmten Daten vom vorläufig gesicherten Datenstamm durch Kopie auf gesonderte Datenträger bestehen, um anschließend Vernichtung bzw. Rückgabe des zuvor vorläufig gesicherten Datenstamms zu ermöglichen. ff) NUTZUNG IT-FORENSISCHER DATENAUSWERTUNGSSYSTEME Aus der Zwecksetzung des § 110 StPO wie auch aus dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt, dass die Strafverfolgungsbehörden verpflichtet sind, vorrangig eine Auswertung und Aussonderung nicht beweisrelevanter und geschützter Daten mithilfe eines IT-forensischen Datenauswertungssystems (z.B. Relativity, NUIX, ZyLAB) vorzunehmen.53 53 Vgl. dazu Wackernagel/Graßie, NStZ 2021, 12, 15. Die Durchsicht einzelner Dateien durch die Ermittlungsbeamten darf nur soweit erfolgen, wie zu befürchten ist, dass beweiserhebliche Dateien übersehen werden. Es soll dabei aber nach verbreiteter Auffassung keine strafprozessuale Verpflichtung bestehen, dem Betroffenen die bei einer Durchsicht verwendeten Suchkriterien mitzuteilen oder sie gar vorab mit ihm abzustimmen.54 54 Wenzl, NStZ 2021, 395, 399; Doege, NStZ 2022, 466, 471. Wenn man jedoch darauf abstellt, dass es originäre Verantwortung der Ermittlungsbeamten ist, das Gebot der Verhältnismäßigkeit zu beachten, müssen der Verteidigung die Suchbegriffe zumindest mitgeteilt werden. Damit ist die Möglichkeit zu verbinden, vor Beginn einer Durchsicht gerichtliche Entscheidung zu beantragen, um eine rechtsstaatlich gebotene und frühzeitige Kontrolle zu ermöglichen. Unabhängig davon kann es unter Beschleunigungsgesichtspunkten sinnvoll sein, Suchbegriffe mit der Verteidigung abzustimmen. Eine Pflicht zur Nutzung von Forensik-Programmen bei der Durchsuchung von Daten besteht auch, sofern andernfalls die Durchsicht der Daten unverhältnismäßig lange dauern würde. Es besteht mithin eine staatliche Verpflichtung, die Ermittlungsbehörden mit dem Stand der Technik entsprechenden IT-forensischen Datenauswertungssystemen sowie hierin geschultem Personal auszurüsten.55 55 Zu den Grenzen des Einsatzes externer IT-Forensiker Wackernagel/Graßie, NStZ 2021, 12, 13 ff. Auf dieser Grundlage schreibt die vorgeschlagene Neufassung des § 110 StPO vor, dass eine Durchsicht erst nach Ausschöpfung aller verfügbaren technischen Möglichkeiten zur Aussonderung von nicht beweiserheblichen oder geschützten Papieren oder Daten zulässig ist. Eine Dokumentationspflicht der Ermittlungsbehörden betreffend die Parameter, die zur Festlegung des vorläufig zu sichernden Datenstammes geführt haben, und ein elektronisches Sicherungsverzeichnis sollen im Nachhinein eine (gerichtliche) Überprüfung ermöglichen (§ 110 IV 1 i.V.m. § 98 II 2 StPO). gg) REGELUNGSVORSCHLAG Im Folgenden werden konkrete Ergänzungen des § 110 StPO zum Schutz beschlagnahmefreier Daten (insb. Verteidigungsunterlagen) und zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Übrigen formuliert. Ein Anspruch auf Vollständigkeit wird hierbei jedoch nicht erhoben. §110 Durchsicht von Papieren und elektronischen Speichermedien (1) Die Durchsicht der Papiere des von der Durchsuchung Betroffenen steht der Staatsanwaltschaft und auf deren Anordnung ihren Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) zu. (2) 1Im Übrigen sind Beamte zur Durchsicht der aufgefundenen Papiere nur dann befugt, wenn der Inhaber die Durchsicht genehmigt. 2Andernfalls haben sie die Papiere, deren Durchsicht sie für geboten erachten, in einem Umschlag, der in Gegenwart des Inhabers mit dem Amtssiegel zu verschließen ist, an die Staatsanwaltschaft abzuliefern. (3) 1Nach Maßgabe der Absätze 1 und 2 ist auch die Durchsicht von elektronischen Speichermedien bei dem von der Durchsuchung Betroffenen zulässig. 2Diese Durchsicht darf auch auf hiervon räumlich getrennte Speichermedien erstreckt werden, soweit auf sie von dem elektronischen Speichermedium aus zugegriffen werden kann, wenn andernfalls der Verlust der gesuchten Daten zu befürchten ist. 3Eine Durchsicht nach S. 2 setzt voraus, dass sich die Speichermedien oder die gespeicherten Daten im Inland befinden. 4Daten, die für die Untersuchung von Bedeutung sein können, dürfen gesichert werden. (4) 1Werden Papiere zur Durchsicht mitgenommen oder Daten vorläufig gesichert, gelten die §§ 95a und 98 Absatz 2 entsprechend. 2Eine Mitnahme oder vorläufige Sicherung darf nur erfolgen, soweit nicht in den Räumen der Durchsuchung über eine Beschlagnahme nach § 94 entschieden werden kann. 3Zur Mitnahme oder vorläufigen Sicherung sollen Kopien gefertigt werden. 4Der Inhaber und, wenn er der Beschuldigte ist, auch sein Verteidiger, sind von Ort und Zeit der Durchsicht zu benachrichtigen. 5Ihnen ist die Anwesenheit während der Durchsicht zu gestatten. 6Satz 5 gilt auch für Dritte, deren schutzwürdige Interessen von der Durchsicht betroffen werden. 7Die Durchsicht erfolgt unverzüglich nach der Mitnahme oder vorläufigen Sicherung und ist auf einen angemessenen Zeitraum zu begrenzen. 8Die Rückgabe von Datenträgern des Beschuldigten oder Dritter soll schnellstmöglich, spätestes innerhalb von vier Wochen ab dem Zeitpunkt der Mitnahme erfolgen; sie darf nur dann innerhalb eines Zeitraums von maximal drei Monaten erfolgen, wenn eine Spiegelung nicht früher möglich ist. (5) 1Papiere und Daten sind, unter Ausschöpfung aller verfügbaren technischen Möglichkeiten, nur soweit AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 1/2024 21
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