BRAK-Mitteilungen 1/2024

§103 Durchsicht von Papieren und elektronischen Speichermedien (1) Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des Beschuldigten oder zur Verfolgung von Spuren einer Straftat oder zur Beschlagnahme bestimmter Gegenstände und nur dann zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß die gesuchte Person, Spur oder Sache sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Zum Zwecke der Ergreifung eines Beschuldigten, der dringend verdächtig ist, eine Straftat nach § 89a oder § 89c Absatz 1 bis 4 des Strafgesetzbuchs oder nach § 129a, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, des Strafgesetzbuches oder eine der in dieser Vorschrift bezeichneten Straftaten begangen zu haben, ist eine Durchsuchung von Wohnungen und anderen Räumen auch zulässig, wenn diese sich in einem Gebäude befinden, von dem auf Grund von Tatsachen anzunehmen ist, daß sich der Beschuldigte in ihm aufhält. Zum Zwecke der Beschlagnahme bestimmter Gegenstände ist eine Durchsuchung nur zulässig, wenn der Gewahrsamsinhaber die Gegenstände nicht gemäß § 95 herausgibt; es sei denn, der Ermittlungserfolg wird durch ein solches Herausgabeverlangen konkret gefährdet. Beweismittel, die unter Verletzung des Satzes 3 erhoben wurden, dürfen nicht verwertet werden. (2) Die Beschränkungen des Absatzes 1 Satz 1 gelten nicht für Räume, in denen der Beschuldigte ergriffen worden ist oder die er während der Verfolgung betreten hat. c) NEUE ERMITTLUNGSMETHODEN UND HERAUSFORDERUNGEN aa) KÜNSTLICHE INTELLIGENZ Für den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) gibt es in der StPO derzeit keine Rechtsgrundlage. Es ist aber damit zu rechnen, dass die Entwicklung auf den Einsatz von KI im Strafverfahren hinausläuft. Es existieren bereits diverse Forschungsprojekte und auf europäischer Ebene werden derzeit Vorgaben für den Einsatz von KI im Strafverfahren erarbeitet. Solange der Einsatz gesetzlich nicht erlaubt ist, erübrigen sich Regelungen dazu. Sollten zu einem späteren Zeitpunkt derartige Techniken zulässig werden, so wäre die Einführung von engen, verbindlichen Vorgaben z.B. für berücksichtigungsfähige Parameter und für die Dokumentation und Nachvollziehbarkeit der Prozesse zu fordern. Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren hätte der Einsatz künstlicher Intelligenz i.R.d. IT-Forensik in Wirtschaftsstrafverfahren großes Potenzial zur Verfahrensbeschleunigung. Es werden oftmals enorme Datenmengen sichergestellt, die mittels KI-Systemen effizienter und damit zeit- und kostenschonender von den Strafverfolgungsbehörden strukturiert werden können. Dabei sind neben der Überprüfbarkeit und Transparenz des Einsatzes auch technische Aspekte wie die Datensicherheit und der Umgang mit potenziellen Hackerangriffen60 60 Guggenberger, NVwZ 2019, 844, 849. zu bedenken. Im Hinblick auf die Transparenz solcher Systeme muss beachtet werden, dass bei der Entwicklung durch private Anbieter, die Funktionsmechanismen als Betriebsund Geschäftsgeheimnisse dem Schutzgehalt der Berufsfreiheit gem. Art. 12 GG unterfallen. Dies hat zur Folge, dass die Unternehmen nicht gezwungen werden können, die Funktionsweise offen zu legen. Damit wäre das Programm nur eingeschränkt überprüfbar. Programme für die Berechnung von Rückfallwahrscheinlichkeiten und Gefährdungsprognosen, wie sie etwa in den USA (beispielsweise COMPAS) eingesetzt werden, bergen hingegen das Risiko einer rechtsstaatswidrigen Diskriminierung. Die Datenbasis, aufgrund derer der Algorithmus seine Entscheidung berechnet, kann nicht nur ethnische Gruppen, sondern auch Geschlechter diskriminieren. Jedenfalls solange nicht sichergestellt ist, dass eine solche Diskriminierung durch menschliche Interventionen ausgeschlossen ist, ist der Einsatz nicht mit rechtsstaatlichen Prinzipien vereinbar. Unabhängig davon dürfen Richter und Strafverfolgungsbehörden sich nicht einseitig auf die Ergebnisse der KI verlassen. Strafrechtliche Entscheidungen allein basierend auf Vorgaben selbstständig entscheidender KI-Systeme wären letztendlich eine reine Formalität.61 61 BRAK-Stn.-Nr. 52/2021. bb) OUTSOURCING STAATLICHER ERMITTLUNGSTÄTIGKEIT AN PRIVATUNTERNEHMEN Mit Blick auf Verfahren mit besonders umfangreichen (potenziellen) Beweismitteln in Form von Daten (z.B. Cum/Ex-Verfahren) werden u.a. auch häufig private ITForensik-Anbieter mit der Sichtung und Vorsortierung der Daten beauftragt. Eine gesetzliche Grundlage gibt es dafür nicht. Insbesondere werden die privaten IT-Forensik-Anbieter nicht als Sachverständige tätig. Vielmehr handelt es sich dabei um originäre Ermittlungstätigkeit. Die Auslagerung an Privatunternehmen ist schon deshalb nicht hinnehmbar, weil bei privatwirtschaftlichen Untersuchungspersonen die wirtschaftliche Motivation für eine möglichst große Ausweitung von Ermittlungen nicht ausgeschlossen werden kann, die Beurteilung von belastendem und entlastendem Beweismaterial in einem behördlichen Verfahren jedoch frei von einer entsprechenden Motivlage zu erfolgen hat. Es ist daher eine Klarstellung zu fordern, dass die Tätigkeit von Ermittlungspersonen vorgenommen werden muss. Dies gilt in Abgrenzung zur rein technischen ITForensik und der Prozessierung von Daten sowie dem Hosting jedenfalls für die Durchsicht und Auswertung vonDaten. BUNDESRECHTSANWALTSKAMMER, REFORMVORSCHLÄGE FÜR DAS STRAFRECHT UND DEN STRAFPROZESS AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 1/2024 23

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