cc) IP-TRACKING UND IP-CATCHING Weitere durch die Digitalisierung hervorgerufene und mit neuen Herausforderungen verbundene Ermittlungsmethoden stellen das sog. IP-Tracking und IP-Catching dar. Beim sog. IP-Catching nehmen die Ermittlungsbehörden eine Erhebung bzw. Protokollierung der IP-Adressen von Besuchern bestimmter Webseiten vor, wobei in diesen Fällen die Datenerhebung selbst regelmäßig vom Diensteanbieter durchgeführt wird.62 62 MAH Strafverteidigung/Grözinger, § 50 Cybercrime und Datenkriminalität Rn. 314. Aufgrund der vielfältigen Erscheinungsformen63 63 Bspw. Ausgestaltung als Webseite, E-Mail-Dienstleister, Anonymisierungsdienst, Internet-Foren oder jede andere Internetdienstleistung denkbar, s. MüKo StPO/Rückert, § 100g StPO Rn 127. ist das Spektrum an Ansatzpunkten für die Ermittlungsbehörden entsprechend weit. Als Rechtsgrundlage für das IP-Catching kommt eine differenzierte Anwendung64 64 MüKo StPO/Rückert, § 100g StPO Rn 128 m.w.N. von § 100g StPO und § 100k StPO oder eine gesamtheitliche Anwendung von §100g StPO65 65 So BeckOK StPO/Bär, § 100g StPO Rn. 26; Bär, NZWiSt 2017, 81, 84; KK-StPO/ Bruns, § 100g Rn. 20. in Betracht. Dabei kommt es darauf an, ob der betroffene Dienstanbieter als Telekommunikationsdienst i.S.v. § 3 Nr. 61 TKG oder Telemediendienst § 1 I TMG i.V.m. § 2 II Nr. 1 TTDSG einzustufen ist. Die Abhängigkeit der einschlägigen Rechtsgrundlage von der Einordnung des Diensteanbieters erweist sich in der Praxis als problematisch, da es hierbei zu Abgrenzungsschwierigkeiten kommen kann. Die Schaffung einer gesamtheitlichen Rechtsgrundlage, beispielsweise unter Ergänzung des § 100g StPO, hätte den Vorteil, dass Rechtssicherheit hinsichtlich der Anforderungen an das IP-Catching gewährleistet wäre. Eine ähnliche Problematik hinsichtlich der einschlägigen Rechtsgrundlage stellt sich auch beim sog. IP-Tracking, bei dem den Behörden eine elektronische Kommunikationskennung der Zielperson bereits bekannt ist. Mit Hilfe dieser Kennung wird dann z.B. eine E-Mail mit Lesebestätigung oder nachzuladenden Bildern an die Zielperson versendet oder es werden Dateien mit Lesebestätigungsfunktion zum Download bereitgestellt. Sofern der Betroffene hiervon Gebrauch macht, wird bei diesem Vorgang auch die aktuelle IP-Adresse des verwendeten Geräts bzw. des Anschlusses mitübertragen.66 66 Krause, NStZ 2016, 139; MüKo StPO/Rückert, StPO § 100g Rn 128 m.w.N. Die auf diese Weise durch die Ermittlungsbehörde eigenständig erlangte IP-Adresse kann dann beispielsweise i.R.d. Bestandsdatenabfrage gem. § 100j II StPO zur Aufenthaltsermittlung verwendet werden.67 67 BeckOK StPO/Bär, § 100g StPO Rn. 26. Aufgrund des vielfältigen Einsatzes68 68 BeckOK StPO/Bär, § 100g StPO Rn 24. bietet das IP-Tracking den Ermittlungsbehörden eine weitreichende Zugriffsmöglichkeit, deren Rechtsgrundlage – es werden sowohl §§ 100g I, 100h I Nr. 2 StPO als auch §§ 161, 163 StPO diskutiert – umstritten bleibt.69 69 Vgl. hierzu anschaulich MüKo StPO/Rückert, § 100g StPO Rn. 125. Um für Zielpersonen und Ermittlungsbehörden Klarheit über die strafprozessualen Anforderungen einer IP-TrackingMaßnahme zu schaffen, wäre eine klarstellende Verankerung im Rahmen des § 100g StPO durch den Gesetzgeber erstrebenswert. dd) IM INTERNET ERMITTELNDE POLIZEIBEAMTE Die Digitalisierung hat zur Folge, dass polizeiliche Ermittlungen bereits seit einiger Zeit und weiterhin vermehrt auch über das Internet erfolgen.70 70 Bpsw. Ermittlungen i.R.v. Kinderpornographie. Polizeibeamte werden hierbei regelmäßig nicht als verdeckter Ermittler, sondern „lediglich“ als noeP (nicht offen ermittelnder Polizeibeamter) einzustufen sein, weil sie nicht unter einer (dauerhaften) Legende, sondern nur gelegentlich verdeckt ohne Offenlegung ihrer Funktion ermitteln.71 71 Vgl. hierzu BVerfGE 120, 274; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, § 110a StPO Rn. 4 m.w.N. § 110a StPO ist dagegen anwendbar, wenn das schutzwürdige Vertrauen des Betroffenen in die Identität und die Motivation seines Kommunikationspartners zur Datengewinnung ausgenutzt wird.72 72 BVerfG, NJW 2008, 822 Rn. 310; MüKoStPO/Hauschild, § 110a StPO Rn. 22; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, § 110a StPO Rn. 4 m.w.N. Zwar sind bei einem länger andauernden verdeckten polizeilichen Auftreten im Internet die §§ 110a ff. StPO anzuwenden, allerdings wird Nutzern des Darknets aufgrund des Auftretens unter Pseudonymen nach vorherrschender Auffassung kein schutzwürdiges Vertrauen zugesprochen, sodass es bei den Anforderungen der §§ 161, 163 StPO verbleibe.73 73 MüKoStPO/Hauschild, § 110a StPO Rn. 22; Krause, NJW 2018, 678; Löwe/Rosenberg/Hauck, § 110a StPO Rn. 26b; krit. Eschelbach, in Satzger/Schluckebier/Widmaier, § 110a StPO Rn. 10. Im Hinblick auf die vermehrten Ermittlungen im Darknet könnten strengere Anforderungen in Erwägung gezogen werden (hierzu auch III.1.c)). Die Nutzung von „echten“ Accounts durch Ermittlungsbehörden ermöglicht eine neue Chance, in der digitalen Welt Fuß zu fassen, indem durch die Verwendung von bereits im Internet (insb. im Darknet) etablierten Profilen gegenüber anderen Nutzern ein Vertrauen geschaffen wurde.74 74 Müller/Schlothauer/Knauer/Grözinger, MAH Strafverteidigung, 3. Aufl. 2022, § 50 Rn. 245. Ein Ermittlungsaufwand, der beispielsweise durch das Einschleusen von noeP ins Darknet entsteht, unterbleibt folglich. Die Verwendung bereits existierender Profile gibt Ermittlungsbehörden zudem den Vorteil, dass sog. Keuschheitsproben für die Aufnahme ins Forum vermieden werden können, welche oftmals Ermittlungsbehörden vor Probleme stellen kann, weil die ermittelnden Beamten sich selbst nicht strafbar machen sollen. Digitale Profile mit Persönlichkeitsbezug bergen aufgrund des gegenüber anderen Nutzern bestehenden Vertrauensschutzes die Gefahr eines Panoptikums, also einer uneingeschränkten staatlichen Überwachung, was mit rechtsstaatlichen Prinzipien unvereinbar ist. Dies macht die Schaffung gesetzlicher Regeln und Schranken aus anwaltlicher Perspektive notwendig. BUNDESRECHTSANWALTSKAMMER, REFORMVORSCHLÄGE FÜR DAS STRAFRECHT UND DEN STRAFPROZESS BRAK-MITTEILUNGEN 1/2024 AUFSÄTZE 24
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