BRAK-Mitteilungen 1/2024

c) STRAFVOLLSTRECKUNGSVERFAHREN Im Strafvollstreckungsverfahren ist der Einsatz von Videokonferenztechnik hingegen zu begrüßen, sofern es den befassten Richtern möglich bleibt, einen unmittelbaren persönlichen Eindruck von dem Verurteilten zu erhalten.82 82 BRAK-Stn.-Nr. 70/2020. Insofern ist etwa die Anhörung eines Sachverständigen mittels Einsatzes von Videokonferenztechnik denkbar, da hierbei der unmittelbare persönliche Eindruck des Gerichts nicht in gleicher Weise bedeutsam ist, wie bei dem Verurteilten selbst. d) ERHEBUNG UND EINFÜHRUNG DIGITALER BEWEISMITTEL Eine weitere Herausforderung im Hinblick auf die Digitalisierung und Modernisierung der Hauptverhandlung liegt in der Frage, ob und wie digitale Beweismittel erhoben bzw. eingeführt werden können. Die Menge digitaler Daten nimmt stetig zu, weshalb sie auch immer häufiger als Beweismittel im Strafverfahren Verwendung finden. Gleichzeitig werden hierdurch zunehmend persönlichkeitsrelevante Informationen gewonnen, sodass zwangsläufig Beeinträchtigungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG zu besorgen sind.83 83 Fährmann, MMR 2020, 228. Da digitale Daten als Zahlenfolgen selbst keine körperliche Form aufweisen und für ihre Erfassung eine Umwandlung in eine wahrnehmbare Form erforderlich ist,84 84 Fährmann, MMR 2020, 228. muss bereits bei der Erhebung der Daten, zumeist im Ermittlungsverfahren, die Gefahr einer Kontaminierung der Daten, eine darauf basierenden Unsicherheit hinsichtlich der Authentizität und damit einhergehenden Beeinträchtigung des Beweiswertes vermieden werden.85 85 Vgl. Müller, NZWiSt 2020, 96, 100. In der Hauptverhandlung werden elektronische Dokumente regelmäßig als Urkunden86 86 KK-StPO/Krehl, 9. Aufl. 2023, § 244 StPO Rn. 21. oder Augenschein87 87 MüKoStPO/Trüg/Habetha, 2016, § 244 StPO Rn. 127. in die Hauptverhandlung eingeführt. Die Authentizität solcher elektronischer Beweismittel wird in der Praxis in aller Regel nicht hinterfragt. Insbesondere aufgrund der zu erwartenden zunehmenden Nutzung von KI und damit zunehmenden Manipulationsmöglichkeiten wird eine kritischere Haltung aller Beteiligten angezeigt sein. Wesentlich sind insb. die lückenlose Nachvollziehbarkeit der Herkunft und Gewinnung der Beweismittel sowie angemessene Beweisverwertungsverbote. 4. REVISION Die Existenz einer vollständigen Aufzeichnung der Hauptverhandlung könnte zu einer Reihe für das Revisionsrecht neuer Fragestellungen führen.88 88 Hierzu BRAK Stn.-Nr. 8/2023, BRAK-Stn.-Nr. 23/2023 und BRAK-Stn.-Nr. 63/2023. Das folgt schon daraus, dass die Überprüfung von Verfahrensverstößen in der Revisionsinstanz bislang durch das Verbot der Rekonstruktion des Inhalts der tatrichterlichen Beweisaufnahme89 89 Nicht gesetzlich geregelt, da von der Rechtsprechung entwickelt und somit keine gesetzliche Neuregelung zur Aufhebung erforderlich, vgl. BRAK-Stn.-Nr. 8/2023, 10. begrenzt war aufgrund des Dokumentationsdefizits der Beweisaufnahme und der damit verbundenen Nachweisschwierigkeiten. Dieser Grund würde mit der Existenz der gesetzlich vorgesehenen Aufzeichnung entfallen.90 90 Hierzu BRAK-Stn.-Nr. 8/2023 und BRAK-Stn.-Nr. 23/2023. Durch die Bild-Ton-Aufzeichnung würde namentlich ein Beweismittel geschaffen, das geeignet ist, dem Revisionsgericht den Inhalt der tatgerichtlichen Beweisaufnahme ebenso zuverlässig zu vermitteln, wie dies z.B. bei Urkunden der Fall ist.91 91 BRAK Stn.-Nr. 8/2023, 11. Auch wenn der Aufzeichnung nach dem Referentenentwurf „kein Protokollcharakter“ zukommen soll,92 92 Hierzu Entwurf eines Gesetzes zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung (Haupt-verhandlungsdokumentationsgesetz – DokHVG), BT-Drs. 20/8096, 12. darf und sollte sie im Revisionsverfahren daher nicht unberücksichtigt bleiben.93 93 Vgl. hierzu schon Schmitt, NStZ 2019, 1, 8; Bartel, StV 2018, 678, 682; BRAK-Stn.- Nr. 8/2023, 11. IV. AUSBLICK Die Digitalisierung und die damit verbundene Notwendigkeit zur Anpassung von strafprozessualen Vorschriften zeigt sich in allen (möglichen) Verfahrenssituationen und Stadien des Strafverfahrens. Sie hat die praktische Anwendbarkeit der StPO an mancherlei Stellen überholt, so dass ein Tätigwerden des Gesetzgebers erforderlich ist. Die Anpassung des Strafverfahrensrechts an die Digitalisierung darf nicht eindimensional bleiben; sie bedeutet nicht nur eine „Vereinfachung“ von Verfahrensschritten, vielmehr müssen die Rechte der Betroffenen gewahrt bleiben, gerade weil diese durch die fortschreitende Digitalisierung und die erweiterten technischen Möglichkeiten oftmals noch intensiver berührt werden. Hinzu kommt, dass die mit der Digitalisierung einhergehenden Chancen und Gefahren sich nicht auf das deutsche Bundesgebiet beschränken. So geht die Thematik auch mit Fragen der Verwertung von im Ausland erhobenen Daten einher94 94 Dies spielt bspw. in Encro-Chat- oder Anom-Fällen eine Rolle. – wie damit umzugehen ist, ist bisher nicht geklärt, wird aber in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Dieser Problemkreis wird nicht nur strafprozessuale Fragen aufwerfen, sondern auch die Thematik betreffen, wie die nationalen Strafverfolgungsorgane verschiedener Staaten untereinander agieren. Die Anpassung der durch die StPO vorgegebenen Standards im Umgang mit der Digitalisierung stellt eine wichtige, interdisziplinär wie international geprägte Aufgabe eines bereits begonnenen, aber noch lange nicht abgeschlossenen neuen Zeitalters dar, die eine ständige kritische Überprüfung erforderlich macht. BRAK-MITTEILUNGEN 1/2024 AUFSÄTZE 26

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