DIE RECHTSPRECHUNG ZUR RECHTSSCHUTZVERSICHERUNG IM JAHR 2023 RECHTSANWALT DR. CHRISTIAN VÖLKER* * Der Autor ist Fachanwalt für Versicherungsrecht in Hamburg und war bis Ende 2023 Mitglied im Ausschuss Versicherungsrecht der BRAK sowie des Komitees Versicherung des CCBE. Der Beitrag schließt an den Bericht in den BRAK-Mitt. 2023, 18 ff. an. Er gibt einen umfassenden Überblick über die seit dem Jahreswechsel 2022/2023 veröffentlichte Rechtsprechung zur Rechtsschutzversicherung und ordnet diese ein.1 1 Soweit nachfolgend ohne nähere Konkretisierung auf ARB verwiesen wird, sind die ARB 2010 des GDV in Bezug genommen, an die die konkreten Gesellschafts-ARB noch immer überwiegend angelehnt sind. Wiederum waren rein quantitativ zu „Diesel-Fällen“ ergangene Entscheidungen mit weitem Abstand2 2 44 der insgesamt 58 nachfolgend referierten, im Berichtszeitraum ergangenen Entscheidungen hatten ihren Ausgangspunkt in einem „Diesel-Fall“. häufigste Quelle gerichtlicher Erkenntnisse. Anlass zu Argumentation boten dabei völlig andere als in den Hauptsacheverfahren diskutierte, versicherungsrechtlich vielfältige Aspekte. Hervorzuheben ist insoweit wohl die Erkenntnis, dass die Frage, zu welchem Zeitpunkt zu beurteilen ist, ob eine beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg haben muss, bislang weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur angemessen vertiefte Diskussion gefunden hat. An dieser Stelle erwähnenswert ist wohl auch eine der bislang angesichts der Marktpräsenz und wirtschaftlichen Bedeutung erstaunlich raren Entscheidungen zum Spezial-Straf-Rechtsschutz – die allerdings im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren noch beim BGH anhängig ist. I. FORMEN DES VERSICHERUNGSSCHUTZES 1. AUF DEN VERSICHERUNGSNEHMER „ZUGELASSENE FAHRZEUGE“ IM VERKEHRS-RECHTSSCHUTZ Im Kontext sog. „Diesel-Fälle“, in welchen die Versicherungsnehmer Deckungsschutz für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen den Hersteller eines von ihnen erworbenen Pkw wegen unzulässiger Manipulation der Abgassteuerung begehrten, hatte sich das OLG Hamm in zwei Entscheidungen mit zwei unterschiedlichen Gesellschafts-ARB auseinander zu setzen, die in einem Fall hinter dem Modell der ARB 2010 zurückblieben, im anderen darüber hinaus gingen. Im zeitlich ersten Fall3 3 Vgl. OLG Hamm, Urt. v. 8.3.2023 – I-20 U 110/22, beck-online, m. Anm. Kääb, FDStrVR 2023, 460138. bestand Verkehrsrechtsschutz in Gestalt von Schadenersatz-Rechtsschutz (nur) für Versicherte „in ihrer Eigenschaft als Eigentümer, Halter“ [...] „aller auf diese Personen zugelassenen Pkw [...]“. Eine Erstreckung auf „während der Vertragsdauer auf den Versicherungsnehmer zugelassene Fahrzeuge“ nach dem Modell etwa der ARB 2010 fand sich nicht. Eine solche fand sich dagegen im zeitlich zweiten Fall desselben Senats,4 4 Vgl. OLG Hamm, Urt. v. 5.5.2023 – I-20 U 144/22, beck-online, m. Anm. Kääb, FDStrVR 2023, 457766. dort zudem noch weiter ergänzt um eine Vorsorgeversicherung hinsichtlich nach Vertragsabschluss hinzukommender Fahrzeuge „vom Zeitpunkt der Zulassung bis zum Ende des Versicherungsjahrs“, die sich ausdrücklich auch auf „Rechtsschutzfälle, die im Zusammenhang mit dem Vertrag über den Erwerb stehen“ bezog. Mit jeweils überzeugender Begründung versagte das OLG Hamm im ersten Fall die Deckung und bestätigte sie im zweiten. Unter der ersten Deckungsform bestehe Versicherungsschutz für den Kläger (nur) in seiner Eigenschaft als Eigentümer oder Halter eines zugelassenen Pkw. Der Versicherungsschutz beginne damit mit dem Akt der Zulassung. Zum Zeitpunkt des Erwerbs war das Fahrzeug aber – wie in aller Regel – noch nicht auf den Käufer zugelassen. Erst, aber auch bereits der Erwerb des Pkw stelle den Rechtsschutzfall im Schadenersatz-Rechtsschutz dar. Damit lag Vorvertraglichkeit vor. Anders verhielt es sich im Fall der zweiten Klauselgestaltung. Dort hielt der Senat es für vertretbar, dass der Versicherungsnehmer die (ARB-übliche) Erweiterung der Deckung auf während der Vertragsdauer hinzukommende Fahrzeuge mangels Präzisierung bereits auf den Erwerb und noch vor Zulassung verstehe. Erst Recht habe bei der dort vereinbarten Vorsorgeversicherung, die Versicherungsschutz für im laufenden Versicherungsjahr hinzukommende Fahrzeuge auch für im Zusammenhang mit dem Erwerb stehende Fahrzeuge biete, der Versicherungsnehmer keinen Anlass, diese Klausel so zu deuten, dass Versicherungsschutz insoweit nur bestehe, falls das Fahrzeug (wie in der Praxis wohl praktisch niemals) bei Erwerb schon auf den Käufer zugelassen sei. Der Senat löste die in der Tat massiven Zweifel an der engen Auslegung der AVB dann über § 305c II BGB zugunsten des Versicherungsnehmers.5 5 Ebenso unter ausdrücklichem Anschluss an das zweitgenannte Urteil des OLG Hamm bei identischen AVB das LG Bonn, Urt. v. 5.9.2023 – 10 O 74/23, beck-online Rn. 54. Die bloße Erweiterung auf während der Vertragsdauer hinzukommende Fahrzeuge genügte dann dem LG Hannover6 6 Vgl. LG Hannover, Urt. v. 17.10.2023 – 2 O 19/23, beck-online Rn. 16. unter nacktem Hinweis auf das zweite Urteil des OLG Hamm, Deckung unter einem dem ARB 2010 entsprechenden Bedingungswerk, also ohne zusätzliche Vorsorgeversicherung, zu bejahen. Sorgfältige Auseinandersetzung mit dem konkret vereinbarten Bedingungswerk, Abgleich mit etwa andersVÖLKER, DIE RECHTSPRECHUNG ZUR RECHTSSCHUTZVERSICHERUNG IM JAHR 2023 AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 1/2024 27
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