III. RECHTSSCHUTZFALL 1. EINTRITT DES VERSICHERUNGSFALLS Kein Gehör fand vor dem LG Wiesbaden22 22 Vgl. LG Wiesbaden, Urt. v. 17.3.2023 – 7 O 123/22, beck-online Rn. 13 f. der vom Rechtsschutzversicherer erhobene Einwand der Vorvertraglichkeit mit der Behauptung, Erstattungsansprüche des Versicherungsnehmers gegen seinen privaten Krankenversicherer wegen behauptet rechtswidriger Beitragserhöhungen seien bereits mit Abschluss des Krankenversicherungsvertrags entstanden. Zutreffend ist (natürlich), dass jede einzelne Beitragserhöhung, sofern behauptete Ansprüche hieraus erwachsen, einen eigenen Versicherungsfall i.S.v. § 4 I lit. c ARB darstellt und im Streitfall damit jedenfalls einige Beitragserhöhungen in die versicherte Zeit fielen. 2. HINREICHENDE ERFOLGSAUSSICHTEN UND DECKUNGSABLEHNUNG a) ZEITPUNKT DER PROGNOSEENTSCHEIDUNG In zahlreichen zu sog. „Diesel-Fällen“ ergangenen Entscheidungen bestätigten Ober- und Instanzgerichte in Übereinstimmung mit der bislang insoweit spärlich vorhandenen Literatur,23 23 Vgl. etwa Harbauer/Schmitt, § 3a ARB 2010 Rn. 13. dass es bei der deckungsrechtlichen Frage, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung die notwendige hinreichende Erfolgsaussicht habe, auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife, also auf den der Entscheidung des Rechtsschutzversicherers, des Schiedsgutachters oder Stichentscheiders über die Gewährung von Versicherungsschutz ankomme – und nicht etwa auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife im Deckungsprozess.24 24 So etwa OLG Schleswig, Beschl. v. 21.6.2022 – 16 U 53/22, NJW-RR 2022, 1118 (1122 f.); OLG Bremen, Beschl. v. 9.11.2022 – 3 U 13/22, beck-online Rn. 4 f.; OLG Frankfurt, Beschl. v. 20.12.2022 – 7 U 52/22, VersR 2023, 442 (443); OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7.11.2023 – 12 U 81/23, beck-online Rn. 55; OLG Nürnberg, Beschl. v. 16.3.2023 – 8 U 3296/22, beck-online Rn. 17, 27 f.; OLG Stuttgart, Urt. v. 2.2. 2023 – 7 U 186/22, beck-online Rn. 14; Urt. v. 2.3.2023 – 7 U 381/22, beck-online Rn. 15; OLG Bamberg, Beschl. v. 2.11.2022 – 1 U 48/22, nicht veröff.; LG Düsseldorf, Urt. v. 24.2.2023 – 9a O 122/22, beck-online Rn. 33; Urt. v. 31.3.2023 – 9a O 183/22, beck-online Rn. 28; Urt. v. 10.5.2023 – 9 O 68/22, beck-online Rn. 28; Urt. v. 28.8.2023 – 9a O 273/22, r+s 2023, 862 (864); LG Hildesheim, Urt. v. 22.8. 2023 – 3 O 78/23, beck-online Rn. 16; LG Rostock, Urt. v. 13.9.2023, beck-online Rn. 29. Entsprechende Aussagen finden sich allerdings in vielen Fällen, wenngleich keineswegs immer, als pauschale Feststellung, vermutlich ohne Problembewusstsein und ohne sich mit der in jüngerer Zeit zunehmend entwickelnden, eine differenzierte Betrachtung vornehmenden Gegenmeinung auseinander zu setzen. So erwiesen sich also Ablehnungsentscheidungen von Rechtsschutzversicherern in Diesel-Fällen, die vor der käuferfreundlichen Entscheidung des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren C-693/18 vom 17.12.2020 bzw. vorhergehenden Schlussantrag des Generalanwalts ergangen waren und die bisherige, anderslautende und sogar einen europarechtlichen „acte clair“ annehmende BGH-Rechtsprechung verwarfen, als bestandskräftig, soweit die Versicherungsnehmer die Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen einzig auf die Programmierung eines sog. „Thermofensters“ stützten, weil die Hersteller bis dahin eine solche Abschalteinrichtung als europarechtlich zulässig hätten einschätzen dürfen. Dies galt und gilt unstreitig auch weiter für den umgekehrten, dem Versicherungsnehmer günstigen Fall, dass sich die Erfolgsaussichten nach Bewilligungsreife für ihn infolge neuerer obergerichtlicher oder höchstrichterlicher Rechtsprechung verschlechtert haben. Dies macht einen formal und inhaltlich den Anforderungen an einen Stichentscheid entsprechendes Votum für den Versicherer nicht wegen offenbarer Abweichung von der wirklichen Sach- und Rechtslage unverbindlich.25 25 Vgl. etwa OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7.11.2023 – 12 U 81/23, beck-online Rn. 41 ff.; LG Hannover, Urt. v. 6.11.2023 – 2 O 25/23, beck-online Rn. 17 und zuvor bereits OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.7.2017, beck-online Rn. 62. Gegen diese bislang als mit Einschränkungen gefestigt angesehene Ansicht einer reinen ex-ante-Prognose anhand zu diesem Zeitpunkt vorliegender Rechtsprechung stellte sich zunächst im Jahr 2022 das OLG München.26 26 Vgl. OLG München, Beschl. v. 21.3.2022 – 25 U 9289/21, beck-online Rn. 15. Diesem Ansatz folgen im Berichtszeitraum neben zahlreichen, teilweise unterschiedlich argumentierenden Landgerichten nun insb. auch die Oberlandesgerichte Hamm und Jena.27 27 Vgl. OLG Hamm, Urt. v. 5.5.2023 – I-20 U 144/22, beck-online Rn. 52; Urt. v. 20.9. 2023 – 20 U 240/22, beck-online Rn. 42 ff.; OLG Jena, Urt. v. 12.5.2023 – 4 U 660/22, beck-online Rn. 65; LG Hannover, Urt. v. 17.10.2023 – 2 O 19/23, beckonline Rn. 4, 18; LG Bonn, Urt. v. 5.9.2023 – 10 O 74/23, beck-online Rn. 9, 62 f.; LG Berlin, Urt. v. 23.2.2023 – 24 O 317/21, beck-online Rn. 16, 20; LG Düsseldorf, Urt. v. 17.4.2023 – 9a O 165/22, beck-online Rn. 31; LG Hannover, Urt. v. 2.11. 2023 – 19 O 20/23, beck-online Rn. 21; Urt. v. 6.11.2023 – 2 O 25/23, beck-online Rn. 17 f.; LG Köln, Urt. v. 19.4.2023 – 20 O 291/22, beck-online Rn. 17; wohl auch Urt. v. 14.9.2023 – 24 O 391/22, beck-online Rn. 28; LG Mannheim, Urt. v. 21.11. 2023 – 11 S 6/23, beck-online Rn. 51 ff.; LG Münster, Urt. v. 12.10.2023 – 115 O 62/23, beck-online Rn. 77 ff.; AG Berlin-Charlottenburg, Urt. v. 2.3.2023 – 202 C 199/02, beck-online Rn. 20; AG Berlin-Kreuzberg, Urt. v. 10.3.2023 – 14 C 337/22, beck-online Rn. 17; AG Waldbröl, Urt. v. 19.10.2023 – 6 C 49/23, beck-online Rn. 37; AG Weißenfels, Urt. v. 1.11.2023 – 1 C 69/23, beck-online Rn. 20. Tendenziell ebenso, die Frage aber letztlich offenlassend LG Heilbronn, Urt. v. 26.4.2022 – 4 O 223/22, beck-online Rn. 17 f. Für Berücksichtigung späterer Entwicklungen, allerdings für das PKH-Prüfungsverfahren, s.a. BVerfG, Beschl. v. 4.10.2017 – 2 BvR 496/17, beck-online Rn. 14. Bei unverändertem Sachverhalt und unveränderter Vorschriftenlage sei die Berücksichtigung von unvorhergesehenen Entwicklungen in der Rechtsprechung nach Bewilligungsreife, auch wenn sich diese gegen eine bis dahin ständige höchstrichterliche Rechtsprechung richte, weil damit die immer schon gleiche Rechtslage lediglich näher konkretisiert werde, jedenfalls aus Billigkeitsgründen und dem insoweit geltenden Leitbild des Prozesskostenhilferechts folgend bei der Prognose der Erfolgsaussichten zugunsten des Versicherungsnehmers zu berücksichtigen.28 28 Hier die Anträge des Generalanwalts und die vorerwähnte Entscheidung des EuGH, der dann auch der BGH u.a. mit Urt. v. 26.6.2023 – VIa ZR 335/21 mit seiner Rechtsprechung zur Erstattungsfähigkeit des sog. Differenzschadens in den in Rede stehenden Fällen folgte. Seine hiergegen im Vorbericht29 29 Vgl. Völker, BRAK-Mitt. 2023, 18 (20). noch geäußerten Bedenken hält der Autor nicht mehr aufrecht. VÖLKER, DIE RECHTSPRECHUNG ZUR RECHTSSCHUTZVERSICHERUNG IM JAHR 2023 AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 1/2024 31
RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0