BRAK-Mitteilungen 1/2024

ger diese ein. Das erstinstanzliche Arbeitsgericht wies die Klage ab, da die in dem Vergleich enthaltene Abgeltungsklausel grundsätzlich auch die Reisekostenansprüche umfasse. Durch den gerichtlichen Vergleich hätten die Parteien wechselseitig anerkannt, dass Ansprüche gegenseitig nicht mehr bestünden. Es handele sich dabei um ein sog. konstitutives negatives Schuldanerkenntnis. Mit Ausnahme der in dem Vergleich ausdrücklich geregelten Ansprüche sollten damit alle Ansprüche der Parteien, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben bzw. damit in Zusammenhang stehen, erledigt sein. Es wäre den Parteien bei Abschluss des Vergleiches ohne weiteres möglich – was auch nicht unüblich sei –, bestimmte Ansprüche ausdrücklich zum Bestandteil der Abrechnungspflicht zu erklären oder aus der Abgeltungsklausel herauszunehmen. Eine solche Gestaltungsform hätten die Parteien bei Vergleichsschluss nicht gewählt. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass sie dennoch entgegen der vereinbarten Abgeltungsklausel weitere Ansprüche hiervon ausnehmen wollten. Diese Auffassung teilt das LAG. Den in dem Schriftsatz, mit dem der Vergleichsvorschlag angenommen wurde, enthaltenen Vorbehalt bezüglich der Reisekosten thematisiert merkwürdigerweise weder das ArbG noch das LAG. Unabhängig davon, ob man die Reisekosten nun für von der Abgeltungsklausel umfasst hält, erstaunen die grundsätzlichen Ausführungen des LAG über die Pflichten des Rechtsanwalts im Zusammenhang mit Vergleichsabschlüssen. Dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte bei der Abfassung des Vertragstextes für eine richtige und vollständige Niederlegung des Willens des Mandanten und für einen möglichst eindeutigen und nicht erst der Auslegung bedürftigen Wortlaut sorgen müssen, trifft zwar zu. Die Frage, wie der Vergleich zu verstehen oder auszulegen ist, muss jedoch vorrangig beantwortet werden und hat zunächst mit den anwaltlichen Pflichten nichts zu tun. Er kann nicht deshalb anders interpretiert werden, weil eine Anwältin oder ein Anwalt bei der Formulierung mitgewirkt hat. Falls das Auslegungsergebnis nicht dem Willen des Mandanten entspricht, mag das – nachgeordnet – dann zwischen diesem und seiner Anwältin bzw. seinem Anwalt zu klären sein. (ju) BERATUNGSPFLICHT NACH VERJÄHRUNG WEGEN VERZÖGERTER RECHTSSCHUTZDECKUNGSZUSAGE Ein Rechtsschutzversicherer kann sich nicht darauf beschränken, Vortrag des Anwalts des Versicherungsnehmers mit Nichtwissen zu bestreiten. Aufgrund der cessio legis des § 86 I VVG hat der Versicherer einen Auskunftsanspruch gegen seinen Versicherungsnehmer nach §§ 402, 412 BGB. Im Hinblick auf § 138 IV ZPO trifft den Versicherer daher eine Pflicht zur Erkundigung beim Versicherungsnehmer, welche Beratung und Belehrung dessen Anwalt ihm erteilt hat. OLG Naumburg, Urt. v. 15.11.2023 – 5 U 69/23 In diesem Fall verklagte mal wieder ein Rechtsschutzversicherer den Anwalt des versicherten Mandanten auf Ersatz der Kosten eines wegen Verjährung verlorenen Rechtsstreits. Der Eintritt der Verjährung der Ansprüche des Mandanten drohte, was der Anwalt zutreffend erkannt hatte, zum Jahresende 2017. Der Anwalt reichte die mit dem Mandanten abgestimmte Klage auf Zahlung von über 478.000 Euro rechtzeitig am 21.12. 2017 bei Gericht ein. Von der Versicherung lag zu diesem Zeitpunkt eine Deckungszusage lediglich für eine Klage auf 161.000 Euro vor. Der Anwalt sandte dem Versicherer am 20.12. die endgültige Klagefassung und wies auf die Erhöhung des Streitwerts hin. Die beim Anwalt am 3.1.2018 eingegangene Gerichtskostenrechnung leitete er am 4.1. an den Versicherer weiter und bat diesen um umgehende Zahlung direkt an die Gerichtskasse. Der Versicherer reduzierte aber sogar seine Deckungszusage auf einen Streitwert von nur 60.000 Euro. Der Anwalt wies den Mandanten darauf hin, dass die Gerichtskosten im Hinblick auf § 167 ZPO zur Verhinderung der Verjährung unverzüglich eingezahlt werden müssten, und empfahl ihm, den Differenzbetrag umgehend selbst einzuzahlen. Dies wollte der Mandant nicht, sondern bat den Versicherer mehrfach um Einzahlung der vollen Gerichtskosten. Als dies erfolglos blieb, reichte der Anwalt beim Versicherer am 16.1. 2018 einen Antrag auf Stichentscheid ein und wies nochmals auf die drohende Verjährung und die Erforderlichkeit der unverzüglichen Einzahlung der Gerichtskosten hin. Am 26.1. erteilte der Versicherer Deckungszusage für die gesamte Klage und wies die restlichen Gerichtskosten an. Die Klage wurde (zu Recht) wegen Verjährung abgewiesen, weil deren Zustellung an den dortigen Beklagten erst nach vollständiger Einzahlung der Gerichtskosten und daher nicht mehr demnächst i.S.v. § 167 ZPO erfolgt war. Der Rechtsschutzversicherer wirft nun dem Anwalt des Versicherungsnehmers vor, er hätte die Klage wegen verjährungsbedingter Aussichtslosigkeit zurücknehmen und so die Verfahrenskosten reduzieren müssen. Die hierauf gerichtete Klage, gestützt auf cessio legis nach § 86 I VVG, blieb in beiden Instanzen erfolglos. Der beklagte Anwalt habe, so das OLG, substantiiert dargetan, dass er dem Mandanten zur Kostengeringhaltung unter Hinweis auf die zwischenzeitlich erfolgte Verjährung und dadurch eingetretene Aussichtslosigkeit der Klage die Rücknahme empfohlen. Der Mandant habe dies abgelehnt, sondern auch noch die Einlegung einer Berufung gewünscht. Die Erklärung des Versicherers hierzu mit Nichtwissen sei unzulässig. Ein Rechtsschutzversicherer könne sich nicht darauf beschränken, Vortrag des Anwalts des Versicherungsnehmers mit Nichtwissen zu bestreiten. Aufgrund der cessio legis des § 86 I VVG habe der Versicherer einen Auskunftsanspruch gegen seinen Versicherungsnehmer nach §§ 402, 412 BGB. Im Hinblick auf § 138 IV ZPO treffe den Versicherer daher eine Pflicht JUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 1/2024 35

RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0