ELEKTRONISCHER RECHTSVERKEHR VORLAGE EINES SCREENSHOTS BEI TECHNISCHEN PROBLEMEN ZPO§130d 1. Zur Glaubhaftmachung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit gem. § 130d S. 3 ZPO durch Vorlage eines Screenshots. * 2. Der von einem Rechtsanwalt einem Gericht übermittelte Screenshot kann geeignet sein, eine behauptete technische Störung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs glaubhaft zu machen. BGH, Beschl. v. 10.10.2023 – XI ZB 1/23 AUS DEN GRÜNDEN: [1] I. Die Parteien streiten um die Rechtsfolgen des von dem Kl. erklärten Widerrufs seiner auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung. [2] Das LG hat die Klage abgewiesen. Der Kl. hat gegen das ihm am 22.8.2022 zugestellte Urteil am 22.9. 2022 Berufung eingelegt. Die Frist zur Begründung der Berufung ist auf Antrag des Kl. bis zum 24.11.2022 verlängert worden. [3] Am 24.11.2022 um 22:18 Uhr hat die Prozessbevollmächtigte des Kl. zwei Schriftsätze nebst einem Screenshot per Telefax an das Berufungsgericht übermittelt. Mit dem ersten dieser Schriftsätze hat sie mitgeteilt, dass aufgrund von Störungen derzeit überhaupt keine Verbindung zu dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (nachfolgend: beA) aufgebaut werden könne. Auf der Seite der BRAK sei angegeben, dass seit ca. 14:06 Uhr die beA-Webanwendung nicht zur Verfügung stehe und mit Hochdruck an der Störungsbeseitigung gearbeitet werde. Da aufgrund der Größe des Schriftsatzes ein weiteres Zuwarten nicht mehr angezeigt sei, werde der beigefügte Fristverlängerungsantrag per Fax eingereicht. Mit dem zweiten Schriftsatz ist beantragt worden, die Berufungsbegründungsfrist im versicherten Einvernehmen der Gegenseite wegen starker Arbeitsüberlastung nochmals um einen Monat zu verlängern. Beide Schriftsätze hat die Prozessbevollmächtigte des Kl. zudem unaufgefordert am 25.11.2022 per beA an das Berufungsgericht übermittelt. [4] Mit Verfügung des Vorsitzenden v. 30.11.2022 ist der Kl. darauf hingewiesen worden, dass der Berufungssenat beabsichtigte, die Berufung des Kl. gem. § 522 I ZPO als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht innerhalb der bis zum 24.11.2022 verlängerten Frist begründet worden sei und die an diesem Tag per Telefax eingereichten Schriftsätze nicht den Anforderungen des § 130d ZPO genügten, weil die vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen nicht gem. § 130d S. 3 ZPO glaubhaft gemacht worden sei. [5] Daraufhin hat die Prozessbevollmächtigte des Kl. mit Schriftsatz v. 8.12.2022 eine Berufungsbegründung vorgelegt und mit weiterem Schriftsatz vom gleichen Tag die Richtigkeit des am 24.11.2022 geschilderten Sachverhalts unter Bezugnahme auf ihre Berufspflichten anwaltlich versichert sowie vorsorglich die Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist beantragt. [6] Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die Berufung des Kl. als unzulässig verworfen, weil der Kl. die Berufungsbegründungsfrist des § 520 II ZPO versäumt habe. Zwar enthalte der Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Kl. v. 24.11.2022 eine ausreichende Mitteilung, dass die Einreichung des Antrags auf erneute Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung in der Form des § 130d S. 1 ZPO aus technischen Gründen vorübergehend unmöglich sei. Für die Zulässigkeit einer Ersatzeinreichung nach § 130d S. 2 ZPO fehle allerdings die nach § 130d S. 3 ZPO erforderliche Glaubhaftmachung. Hierfür sei wenigstens eine (formgerechte) anwaltliche Versicherung des Scheiterns der Übermittlung erforderlich. Eine solche Versicherung enthalte der Schriftsatz v. 24.11.2022 nicht und die in dem Schriftsatz v. 8.12.2022 enthaltene anwaltliche Versicherung sei nicht mehr unverzüglich i.S.v. § 130d S. 3 ZPO erfolgt. [7] Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Kl. [8] II. Die gem. §§ 574 I 1 Nr. 1, 522 I 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 II Nr. 2 Fall 2 ZPO). Die Verwerfung der Berufung als unzulässig, weil es an einer fristgerechten Begründung der Berufung fehle, verletzt den Kl. in seinen Verfahrensgrundrechten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 I GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) sowie auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG). Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Denn das Berufungsgericht hat zu Unrecht nicht geprüft, ob dem Kl. die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren ist. [9] 1. Der Kl. hat am 8.12.2022 und damit innerhalb der Monatsfrist aus § 234 I 2 ZPO Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist beantragt und gleichzeitig die versäumte Prozesshandlung nachgeholt, indem er die Berufungsbegründung eingereicht hat (§ 236 II 2 ZPO). [10] 2. Der Kl. war ohne sein Verschulden und ohne ein ihm gem. § 85 II ZPO zurechenbares Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist verhindert (§ 233 ZPO). Er durfte darauf vertrauen, dass sein am 24.11.2022 per ELEKTRONISCHER RECHTSVERKEHR BRAK-MITTEILUNGEN 1/2024 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 60
RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0