BRAK-Mitteilungen 2/2024

male Parteirolle als Gegner des betroffenen Rechtsanwalts drängen; in dieser Position steht die Rechtsanwaltskammer aber ohnehin und man wird von ihr verlangen können, dass sie bereit ist, ihre Entscheidungen zu rechtfertigen. Auch das Argument, die Richter am Anwaltsgericht sollten nicht nach einer ihnen fremden Verfahrensordnung verhandeln müssen, ist nicht haltbar. Denn die Richter am Anwaltsgericht entstammen der ganzen Bandbreite der Anwaltschaft; viele von ihnen werden sich daher in die StPO ebenso einarbeiten müssen wie beispielsweise in die VwGO. Es gibt daher dringenden Handlungsbedarf, um die Unklarheiten und Widersprüche zu beseitigen. Dabei bieten sich folgende Maßnahmen an: (1) Das Verfahren zur anwaltsgerichtlichen Überprüfung von Rügen ist rechtsstaatlich bedenklich. Es fehlt an klaren Verfahrensvorschriften ebenso wie an einem – verfassungsrechtlich allerdings auch nicht zwingend gebotenen4 4 BVerfG, Beschl. v. 8.11.2022 – 2 BvR 2480/10 Rn. 138, BVerfGE 163, 363 = MittdtschPatAnw 2023, 69. – Instanzenzug; damit entscheiden in letzter Instanz ausschließlich Anwälte über Anwälte, was auch der Europäische Gerichtshof moniert.5 5 EuGH, Urt. v. 19.9.2006 – C-506/04 – Wilson Rn. 52-61. Hinzu kommt, dass die Anwaltsrichter von der jeweiligen Rechtsanwaltskammer ausgewählt und auf eine Vorschlagsliste gesetzt werden; auch wenn die Ernennung der Landesjustizverwaltung obliegt, hat es die Rechtsanwaltskammer derzeit letztlich selbst in der Hand, wer über die Entscheidungen der Rechtsanwaltskammer richten soll (§§ 94 II, 103 II BRAO). Da es sich bei Rügen nach der wohl herrschenden Meinung um Verwaltungsakte handelt,6 6 VG Freiburg, Urt. v. 16.9.2015 – 7 K 942/14 Rn. 36; Ott, BRAK-Mitt. 2021, 145, 145 ff. m.w.N. bietet es sich daher an, den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten zu eröffnen. Die dortigen Spruchkörper können durch Anwaltsrichter ergänzt werden, um deren Expertise und Sichtweise einfließen zu lassen. Damit wäre zugleich ein Instanzenzug etabliert, der eine einheitliche Rechtsprechung zulässt. Alternativ sollte man zumindest einen Gleichlauf mit den verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen (§ 112a I BRAO) etablieren. (2) Bei richtiger Anwendung des Gesetzes gibt es dann auch keinen Bedarf mehr für eine missbilligende Belehrung. Fehlverhalten, das noch nicht einmal die Grenze zur Bagatelle erreicht, braucht auch nicht geahndet zu werden; für alles andere gibt es die Rüge, die fortan durch den Instanzenzug hinweg gerichtlich überprüft werden kann. Rechtsanwalt Dr. Maximilian Ott* * Der Autor ist Rechtsanwalt in eigener Kanzlei in München und zugleich General Counsel und Compliance Officer der Jochen Schweizer mydays Group (Syndikusrechtsanwalt). Er ist ferner Richter am Anwaltsgericht München sowie Mitglied des BRAK-Ausschusses Schuldrecht. Eine Langfassung des Beitrags ist abrufbar unter https://www.brak.de/fileadmin/service/publikationen/BRAK-Mitteilungen/BRAKMitt_2_2024_Ott_Langfassung.pdf. CONTRA: Derzeit kein Reformbedarf im Disziplinarrecht der Kammern Überlegungen zur Reform des Instanzenzugs in der Anwaltsgerichtsbarkeit sind nicht neu. So wurde vor ein paar Jahren angeregt, die Anwaltsgerichtshöfe – ohne deren grundsätzliche Beseitigung – an die Verwaltungsgerichtsbarkeit anzugliedern und letztinstanzlich nicht den BGH, sondern das BVerwG zur Entscheidung zu berufen. Letztlich ergab sich dafür aber kein echter Bedarf. Mängel des gegenwärtigen Instanzenzugs waren und sind nicht feststellbar. Rechtsstaatliche Defizite sind nicht nur theoretisch zu begründen, sondern empirisch zu belegen. Umgekehrt erschienen die Reibungsverluste einer gesetzlichen Änderung unverhältnismäßighoch.8 8 Siegmund, BRAK-Mitt 2016, 267. Die jetzigen Reformbestrebungen sind ebenfalls abzulehnen, sofern sie darauf abzielen, den Anwaltsgerichten die Zuständigkeit für die Überprüfung von Rügen zu entziehen. Das derzeitige Regelungsregime wurde durch den historischen Gesetzgeber bewusst und mit guten Gründen gewählt. Im Hinblick auf den Katalog der Disziplinarmaßnahmen mag sich zugunsten einer Klarstellung die eine oder andere Gesetzesänderung anbieten, wobei diese keine wirklichen Änderungen in der Rechtsanwendung zur Folge haben dürfte. 1. Keine partielle Abschaffung der Anwaltsgerichtsbarkeit Der Vorschlag, die Verfahren zur gerichtlichen Überprüfung der Rügen den Verwaltungsgerichten zuzuweisen, verkennt die enorme Errungenschaft, die eine eigene Berufsgerichtsbarkeit für eine unabhängige Anwaltschaft darstellt. Durch die Verordnung zur Änderung und Ergänzung der Reichs-Rechtsanwaltsordnung vom 1.3.1943 wurde die unabhängige Berufsgerichtsbarkeit der Rechtsanwälte nach der Reichsrechtsanwaltsordnung von 1878 kriegsbedingt praktisch beseitigt.9 9 Feuerich/Weyland, vor § 92 BRAO Rn. 6. Erst mit der BRAO von 1959 konnte diese negative Entwicklung des Nationalsozialismus wieder korrigiert werden. Gerade die Eigenständigkeit der Anwaltsgerichte unterscheidet die Anwaltsgerichtsbarkeit von der Berufsgerichtsbarkeit für andere freie Berufe10 10 Gaier/Wolf/Göcken/Quaas, vor § 92 BRAO Rn. 7. und sichert die Unabhängigkeit der Anwaltschaft ganz entscheidend ab. 2. Keine Aufteilung anwaltsgerichtlicher Verfahren Der Reformvorschlag geht offensichtlich davon aus, dass lediglich die gerichtliche Überprüfung von Rügen den Verwaltungsgerichten zugewiesen werden solle. Die sonstigen Disziplinarverfahren, die durch eine staatsanwaltliche Anschuldigungsschrift beim Anwaltsgericht eingeleitet werden, sollen bei diesem verbleiben. Das hätte zur Folge, dass nicht nur unterschiedliche Anwaltsgerichte, sondern sogar unterschiedliche PRO & CONTRA PRO & CONTRA BRAK-MITTEILUNGEN 2/2024 67

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