Gerichtsbarkeiten für die Auslegung und Anwendung anwaltlichen Berufsrechts zuständig wären. Dem Ziel einheitlicher Rechtsanwendung kommt dieser Reformvorschlag damit nicht näher. 3. Eigene Verfahrensvorschriften zur Überprüfung der Rüge Der Reformvorschlag schlägt die Verweisung der Einsprüche gegen Rügen an die Verwaltungsgerichte u.a. deswegen vor, weil die Rüge als Verwaltungsakt zu klassifizieren sei. Eine abschließende Klärung der Rechtsnatur der Rüge ist aber gar nicht veranlasst, weil die BRAO für den Rechtsschutz in § 74a BRAO eigene Regelungen vorsieht.11 11 Gaier/Wolf/Göcken/Siegmund, § 32 BRAO Rn. 19b. Gegen die Annahme, die Rüge sei ein Verwaltungsakt, spricht immerhin, dass diese nicht der materiellen Rechtskraft fähig ist. Die Rüge schließt es nämlich nicht aus, dass gegen den Rechtsanwalt später wegen desselben Sachverhalts ein anwaltsgerichtliches Verfahren eingeleitet wird.12 12 Weyland, § 74 BRAO Rn. 6. Da mit der Rüge ausschließlich Bagatellfälle geahndet werden, kann ausnahmsweise eine Überprüfung im Rahmen einer höheren Instanz unterbleiben.13 13 BT-Drs. V/2848, 20. Im Übrigen kann das Anwaltsgericht, wenn es dem Antrag des Kammermitglieds ohne Anhörung des Vorstands stattgibt, seine Entscheidung von Amts wegen oder auf Antrag des Kammervorstands ändern. Schließlich steht gegen Entscheidungen des Anwaltsgerichts selbstredend die Verfassungsbeschwerde offen.14 14 Vgl. BVerfGE 76, 171 (205) = BRAK-Mitt 1988, 54. Der Gesetzgeber hat sich bei der Einführung des § 74a BRAO ausführliche Gedanken zur Ausgestaltung der Verfahrensvorschriften gemacht und sich im Bewusstsein anderer Lösungsmöglichkeiten für das geltende Regelungsregime entschieden. Eine Überprüfung der Rüge in einem Verwaltungsverfahren hätte den Nachteil, dass die Kammer in eine förmliche Parteirolle als Gegner des betroffenen Rechtsanwalts gedrängt würde, die sich mit ihrer Stellung als Berufsaufsicht nicht vereinbaren ließe.15 15 BT-Drs. V/2848, 20. Der Reformvorschlag meint zwar, die Kammer müsse für die getroffenen Entscheidungen „einstehen“. Richtigerweise verbietet sich aber ein kontradiktorisches Verfahren aus systematischen Gründen. Die anwaltliche Selbstverwaltung tritt dem Mitglied – anders als im Verwaltungsverfahren – nämlich maßregelnd entgegen. Dementsprechend erläutert sie ihre Entscheidung lediglich im Rahmen der Gegenerklärung, § 74 II 2 BRAO i.V.m. § 308 StPO. Ähnliches gilt, wenn die Kammer die Rolle einer Ordnungswidrigkeiten-Behörde einnimmt, § 73b BRAO, und über den Einspruch gegen einen von ihr erlassenen Ordnungswidrigkeiten-Bescheid zu entscheiden ist. 4. Gewollte Überprüfung der missbilligenden Belehrung durch den AGH Hinsichtlich der Frage des Umgangs mit einer (missbilligenden) Belehrung hat im Jahr 2022 ein u.a. an die Rechtsanwaltskammern übersandter Fragenkatalog des Bundesministeriums der Justiz eine Reformdiskussion begonnen. Einig waren sich die befragten Rechtsanwaltskammern jedenfalls dahingehend, dass es einer anwaltsgerichtlichen „Warnung“ im Maßnahmenkatalog des Disziplinarrechts nicht mehr bedürfe.16 16 BRAK-Stn. 40/2022, 5. Unddas Instrumentarium einer (missbilligenden) Belehrung solle in § 74a BRAO gesetzlich verankert werden. Ein eher uneinheitliches Bild ergab sich bei der vom Reformvorschlag aufgeworfenen Frage, ob die missbilligende Belehrung statt vor dem AGH zukünftig vor dem Anwaltsgericht (nach den Vorschriften der VwGO) angefochten werden solle. Die Vergangenheit hat allerdings gezeigt, dass die Kammern eine missbilligende Belehrung sehr verantwortungsvoll und zurückhaltend aussprechen und dies auch nur in solchen Fällen tun, in denen eine höchstrichterliche Klärung angestrebt wird, die nur mit einem Verfahren vor dem AGH erreicht werden kann. Das ist nicht widersprüchlich, sondern so gewollt. * Der Autor ist Rechtsanwalt in München. Er ist Vizepräsident der Rechtsanwaltskammer München sowie Mitglied des BRAK-Ausschusses Bundesrechtsanwaltsordnung. Die Überlegungen von BRAK und Rechtsanwaltskammern sind ausführlich dargelegt in BRAK-Stn.-Nr. 40/2022. Rechtsanwalt Dr. Alexander Siegmund* PRO & CONTRA BRAK-MITTEILUNGEN 2/2024 PRO & CONTRA 68
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