ändernden Gesetzes beseitigt und zur nachträglichen Legalisierung eines totalitären Regimes missbraucht werden kann.“ (BVerfG, Urt. v. 15.12.1970 – 1 BvF 1/69 u.a. – Abhörurteil, BVerfGE 30, 1 ‹ 24 8 ). Die grundsätzliche Einigkeit über die Aufnahme inhaltlicher Schranken für den verfassungsändernden Gesetzgeber in das Grundgesetz erklärt, weshalb bei der Entstehung des Grundgesetzes die intensiven Diskussionen aus der Weimarer Republik über die Existenz impliziter Beschränkungen für Verfassungsänderungen keine wichtige Rolle mehr gespielt hat. Denn dass die pouvoir constituant solche Schranken jedenfalls in gewissem Umfang für die pouvoir constitu´e wirksam errichten kann, stand und steht außer Zweifel.13 13 Hain, in v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, GG Art. 79 Rn. 36. m.w.N. 3. VERÄNDERUNGSFESTIGKEIT UND INHALTE DES ÄNDERUNGSVERBOTS a) REGELUNGSGEHALT DES ART. 79 III GG Es besteht Übereinstimmung in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft, dass nicht nur die in Art. 79 III GG genannten Inhalte, sondern auch das in dieser Norm geregelte Änderungsverbot selbst für den verfassungsändernden Gesetzgeber unveränderbar ist, selbst wenn es dort nicht ausdrücklich so niedergelegt ist. Denn er ist an die durch die verfassungsgebende Gewalt gesetzte Verfassung gebunden.14 14 BVerfG, Urt. v. 23.4.1991 – 1 BvR 1170/90 – Enteignungen vor 1949, BVerfGE 84, 90 (120): das Gericht spricht insoweit von „Selbstbefreiung“, zu der der verfassungsändernde Gesetzgeber nicht befugt sei; vgl. ferner Hain, in v. Mangoldt/ Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, GG Art. 79 Rn. 41; kritisch Bryde, in v. Münch, GG, 7. Aufl. 2021 Art. 79 Rn. 36. Im Übrigen ist der verfassungsändernde Gesetzgeber in den Grenzen des Art. 79 III GG frei und gibt mit dem auf diesem Wege neu geschaffenen Verfassungsrecht dem BVerfG den Maßstab für seine Kontrollaufgaben vor.15 15 BVerfG, Urt. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 u.a. – Asyl, Sichere Drittstaaten, BVerfGE 94, 49 (85). Art. 79 III GG wird als abschließende Regelung verstanden. Nur die dort genannten Inhalte sind änderungsfest. Sie können auch nicht durch den verfassungsändernden Gesetzgeber ausgeweitet werden.16 16 Hain, in v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, GG Art. 79 Rn. 37. Schließlich sieht das BVerfG Art. 79 III GG in ständiger Rechtsprechung als Ausnahmevorschrift an, die in Abweichung vom Normalfall der Veränderbarkeit der Verfassung durch den verfassungsändernden Gesetzgeber eng auszulegen ist.17 17 BVerfGE 84, 90 ‹ Fn. 14 8 (120 f.); 94, 49 ‹ Fn. 15 8 (102 f.); BVerfG, Urt. v. 3.3. 2004 – 1 BvR 2378/98 – Großer Lauschangriff, BVerfGE 109, 279 (310). b) ÄNDERUNGSFESTE INHALTE DES GRUNDGESETZES Was genau sind nun die nach Art. 79 III GG änderungsfesten Inhalte des Grundgesetzes? Es liegt grundsätzlich im weiten Ermessen eines jeden Verfassungsgebers (pouvoir constituant), welche Bestandteile der Verfassung er der Verfügungsbefugnis des verfassungsändernden Gesetzgebers entziehen und damit dauerhaft sichern will. So benennen denn die mittlerweile zahlreichen Verfassungen mit Ewigkeitsklausel in verschiedenen Ländern auch durchaus unterschiedliche Gegenstände der Verfestigung.18 18 Vgl. etwaHerdegen, in Dürig/Herzog/Scholz, GG Art. 79 (Std. 2014) Rn. 71 m.w.N. Unveränderbar nach Art. 79 III GG sind zunächst – insoweit in ihrem Inhalt leicht erschließbar – die Gliederung des Bundes in Länder und die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung. Weniger eindeutig zu bestimmen sind hingegen die „in den Artikeln 1 und 20 des Grundgesetzes niedergelegten Grundsätze“, die nach Art. 79 III GG durch eine Verfassungsänderung nicht berührt werden dürfen. Das BVerfG hat diese Grundsätze in mehreren Entscheidungen wie folgt umschrieben:19 19 BVerfGE 94, 49 ‹ Fn. 15 8 (102 f.) unter Verweisung auf BVerfGE 84, 90 ‹ Fn. 14 8 (120 f.); nahezu wortgleich BVerfGE 109, 279 ‹ Fn. 17 8 (310). „Dazu [zu diesen Grundsätzen] gehört nicht nur der in Art. 1 I GG verankerte Grundsatz der Achtung und des Schutzes der Menschenwürde. Auch das in Art. 1 II GG enthaltene Bekenntnis zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage der menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit erlangt insoweit Bedeutung; i.V.m. der in Art. 1 III GG enthaltenen Verweisung auf die nachfolgenden Grundrechte sind deren Verbürgungen insoweit einer Einschränkung grundsätzlich entzogen, als sie zur Aufrechterhaltung einer dem Art. 1 I und II GG entsprechenden Ordnung unverzichtbar sind. Ebenso sind grundlegende Elemente des Rechts- und des Sozialstaatsprinzips, die in Art. 20 I und III GG zum Ausdruck kommen, zu achten. Bei alledem verlangt Art. 79 III GG allerdings nur, dass die genannten Grundsätze nicht berührt werden. Er hindert den verfassungsändernden Gesetzgeber dagegen nicht, die positivrechtliche Ausprägung dieser Grundsätze aus sachgerechten Gründen zu modifizieren (...)“ Diese Auslegung des Art. 79 III GG belässt dem verfassungsändernden Gesetzgeber einen relativ großen Gestaltungsspielraum. Sie entspricht auch nach heutigem Verständnis des BVerfG von der Ewigkeitsklausel.20 20 Zu einer tendenziell engeren Sichtweise bei Fragen der Integration in die europäische Union sogleich unter 5. 4. ANWENDUNGSBEISPIELE Die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 III GG ist in der Rechtsprechung des BVerfG eigentlich immer präsent. Auch in Fällen, in denen sie nicht ausdrücklich streitentscheidend herangezogen wird, spielt sie oft eine maßgebliche Rolle. Insbesondere wenn eine gesetzliche Regelung wegen eines Verstoßes gegen die Garantie der Menschenwürde in Art. 1 GG aufgehoben wird, hat die Klausel zur Folge, dass selbst der verfassungsändernde Gesetzgeber die Entscheidung des Verfassungsgerichts nicht durch eine entsprechende Ergänzung der Verfassung korrigieren könnte. Das ist vor allem im Sicherheitsrecht von Bedeutung, wo das BVerfG staatliche Überwachungsmaßnahmen, die in den Kernbereich priEICHBERGER, BASIC STRUCTURE DOCTRINE UND ART. 79 III GG AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 2/2024 79
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