BRAK-Mitteilungen 2/2024

antrag und setzte sich zudem mit unionsrechtlichen Fragen auseinander.2 2 BGH, Beschl. v. 28.1.2016 – III ZB 88/15, WM 2016, 403. Das OLG Jena hatte in einer früheren Entscheidung geurteilt, dass der BGH mit seiner Entscheidung vom 18.6.2015 neue Anforderungen an Güteanträge gestellt habe, die von den Anwälten aufgrund der bis dato bestehenden Rechtsprechung nicht haben vorhergesehen werden müssen, so dass die Anwälte nicht für die Verfahrenskosten aufzukommen hätten, die vor Veröffentlichung des BGH-Urteils ausgelöst wurden.3 3 OLG Jena, Urt. v. 5.7.2019 – 4 U 359/18; Bespr. von Grams, BRAK-Mitt. 2019, 292. Bezüglich der Haftung für die Kosten, die nach der Veröffentlichung des BGH-Urteils ausgelöst wurden, fällte der BGH eine Grundsatzentscheidung zu Belehrungspflichten von Anwältinnen und Anwälten im rechtsschutzversicherten Mandat (umfassende Belehrungspflicht über Erfolgsaussichten, auch bei Veränderung der Aussichten im Laufe des Mandats).4 4 BGH, Urt. v. 16.9.2021 – IX ZR 165/19, NJW 2021, 3324; Bespr. von Grams, BRAK-Mitt. 2021, 370. Offen blieb die Frage, welche Pflichten die Anwältin oder den Anwalt treffen, sich über derartige Rechtsprechungsänderungen zu informieren. Hierzu nimmt nun das aktuelle Urteil des OLG Jena Stellung: Die auf Kapitalanlagerecht spezialisierte Kanzlei müsse sich „zeitnah“ über Rechtsprechungsänderungen in ihrem Rechtsgebiet informieren. Hier seien erst durch eine mündliche Verhandlung vor dem Landgericht am 11.7. 2016 weitere Gebühren ausgelöst worden. Die Anwälte hätten aber bereits aufgrund des BGH-Urteils vom 18.6.2015 ihren Mandanten empfehlen müssen, die Klage zurückzunehmen, weil damit klar gewesen sei, dass der Güteantrag mangels hinreichender Individualisierung keine Verjährungshemmung bewirkt habe. Als spezialisierte Anwälte hätten sie die BGH-Entscheidung sowohl in der online frei verfügbaren Entscheidungsdatenbank des BGH als auch in der NJW zur Kenntnis nehmen müssen. Das OLG Jena datiert den spätesten Zeitpunkt des Kennenmüssens auf den 30.9. 2015. Soweit ersichtlich ist dies die erste Entscheidung, die konkret, wenn auch wenig überraschend, eine Pflicht des Anwalts statuiert, auch digitale Veröffentlichungen neuer Entscheidungen zur Kenntnis zu nehmen. Angesichts des langen Zeitraums zwischen Veröffentlichung (online und print) und der Auslösung weiterer Kosten bleibt aber viel Raum für Diskussionen, wie schnell ein Anwalt neue Urteile zur Kenntnis nehmen muss. In Betracht kommt sogar, dass andere Gerichte noch kürzere Abstände als das OLG Jena postulieren. Es erscheint auch keineswegs zwingend, diese Pflicht nur spezialisierten Anwälten aufzuerlegen (zumal es hier ja um ein nicht fachgebietsbezogenes Problem der Verjährungshemmung geht). Auch nicht spezialisierte Anwälte können Datenbankrecherchen durchführen und müssen sich anhand gängiger Fachzeitschriften auf dem Laufenden halten.5 5 S. hierzu etwa Vill, in Hdb. der Anwaltshaftung 5. Aufl. 2020, § 2 Rn. 80 f.; Jungk, in Borgmann/Jungk/Schwaiger, Anwaltshaftung, 6. Aufl. 2020, Kap. IV Rn. 48 ff. Die Anwaltspflichten dürften mit zunehmenden Informationsmöglichkeiten sicher nicht herabgesetzt werden, eher im Gegenteil. Ganz kurz noch zu den Leitsätzen 4. und 5.: Hier nimmt das OLG Stellung zu Einwendungen der beklagten Anwälte, mit denen diese gegen die Aussichtslosigkeit der Klagen auch nach den BGH-Entscheidungen argumentiert hatten. Das OLG ist der Auffassung, dass die theoretische Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde nicht die Fortführung eines nach der BGH-Rechtsprechung aussichtslos gewordenen Rechtsstreits rechtfertigt. Auch der Umstand, dass BGH-Anwälte in Parallelverfahren die Durchführung einer Nichtzulassungsbeschwerde befürwortet haben, ändere nichts an der objektiven Aussichtslosigkeit nach Ergehen der BGH-Entscheidungen. (hg) SICHERSTER WEG BEI UNKLARER RECHTSLAGE Bei ungeklärter Rechtslage muss bei der anwaltlichen Beratung die ungünstigste Variante einkalkuliert und zu vorsorglichen Maßnahmen geraten werden. (eigener Ls.) Brandenburgisches OLG, Urt. v. 21.11.2023 – 6 U 77/22 Der Rechtsanwalt hatte seine Vergütungsansprüche klageweise gegen seine Mandanten – Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung – geltend gemacht. Diese rechneten mit Schadensersatzansprüchen auf. Der Anwalt war beauftragt, die Einsichtnahme in das Wählerverzeichnis der Stadt gegenüber der Bürgermeisterin geltend zu machen und in der Folge ein Akteneinsichtsbegehren klageweise durchzusetzen. Nach Abschluss des Verfahrens mandatierten sie den Anwalt mit der klageweisen Geltendmachung des Anspruchs auf Erstattung der den Beklagten in dem Kommunalstreitverfahren erwachsenen Kosten. Das OVG Berlin-Brandenburg lehnte die Kostenerstattung ab, da die Kläger nicht vor Einleitung des Organstreitverfahrens die Kommunalaufsicht eingeschaltet hatten. Die von ihnen zu tragenden Kosten machten sie als Schadensersatzanspruch gegen den Anwalt geltend. Der Vorwurf richtete sich, wie häufig, darauf, dass der Anwalt nicht umfassend über die Chancen und Risiken des Vorgehens belehrt hatte. Im konkreten Fall hätte zur Sicherung des Kostenerstattungsanspruchs der rechtssicherere Weg gewählt und vor Einleitung des Organstreitverfahrens die Kommunalaufsichtsbehörde eingeschaltet werden müssen. Dass der beklagte Anwalt entsprechend hätte belehren müssen, liegt allerdings nicht auf der Hand: Die Frage, unter welchen Voraussetzungen kommunale Funktionsträger von ihrer Kommune die Erstattung der Kosten eines Organstreitverfahrens beanspruchen können, wird nämlich in der Rechtsprechung keineswegs einBRAK-MITTEILUNGEN 2/2024 AUFSÄTZE 86

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