BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG EUROPA *LEITSATZ DER REDAKTION (ORIENTIERUNGSSATZ) FESTSETZUNG VON MINDESTHONORAREN ALS „BEZWECKTE“ WETTBEWERBSBESCHRÄNKUNG AEUV Art. 101 I und II; EUV Art. 4 III; VO (EG) Nr. 1/ 2003 Art. 2; GRCh Art. 47 1. Art. 101 I AEUV i.V.m. Art. 4 III EUV ist dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, wenn es feststellen sollte, dass eine nach einer nationalen Regelung verbindliche Verordnung, mit der die Mindesthonorare der Anwälte festgesetzt werden, gegen Art. 101 I AEUV verstößt, die Anwendung dieser nationalen Regelung auf die zur Zahlung der den Anwaltshonoraren entsprechenden Kosten verurteilte Partei ablehnen muss, und zwar auch dann, wenn diese Partei keinen Vertrag über Anwaltsdienstleistungen und Anwaltshonorare abgeschlossen hat. 2. Art. 101 I AEUV i.V.m. Art. 4 III EUV ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, die es zum einen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten nicht erlaubt, eine Vergütung zu vereinbaren, die unter dem Mindestbetrag liegt, der durch eine von einem Berufsverband der Rechtsanwälte wie dem Visshia advokatski savet (Oberster Rat der Anwaltschaft) erlassene Verordnung festgesetzt wurde, und es zum anderen dem Gericht nicht gestattet, die Erstattung eines unter diesem Mindestbetrag liegenden Honorarbetrags anzuordnen, als „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist. Bei Vorliegen einer solchen Beschränkung können die angeblich mit dieser nationalen Regelung verfolgten legitimen Ziele nicht geltend gemacht werden, um das fragliche Verhalten dem in Art. 101 I AEUV enthaltenen Verbot von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen und Verhaltensweisen zu entziehen. 3. Art. 101 II AEUV i.V.m. Art. 4 III EUV ist dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, wenn es feststellt, dass eine nach einer nationalen Regelung verbindliche Verordnung, mit der die Mindesthonorare der Anwälte festgesetzt werden, dem Verbot in Art. 101 I AEUV zuwiderläuft, die Anwendung dieser nationalen Regelung ablehnen muss, und zwar auch dann, wenn die in dieser Verordnung vorgesehenen Mindestbeträge die tatsächlichen Marktpreise der Anwaltsdienstleistungen widerspiegeln. EuGH, Urt. v. 25.1.2024 – C-438/22 Volltext unter www.brak-mitteilungen.de HINWEISE DER REDAKTION: Mit diesem Urteil hat der EuGH seine bisherige Rechtsprechung in der Rechtssache „CHEZ Elektro Bulgaria und FrontEx International“ (C-427/16 und C-428/16) fortgesetzt und abermals entschieden, dass nationale Regelungen, die zum einen eine durch einen Berufsverband der Rechtsanwälte festgesetzte anwaltliche Mindestvergütung vorsehen und zum anderen den Gerichten untersagen, im Wege der Kostenentscheidung einen unter diesem Mindestbetrag liegenden anwaltlichen Honorarbetrag anzusetzen, als „bezweckte Wettbewerbsbeschränkung“ i.S.d. Art. 101 AEUV zu werten sind. BERUFSRECHTE UND PFLICHTEN *LEITSATZ DER REDAKTION (ORIENTIERUNGSSATZ) BEZEICHNUNG EINES KOLLEGEN ALS „FETTEN ANWALT“ UND „RUMPELSTILZCHEN“ GG Art. 2 I, Art. 5 I 1; StGB § 185 * Unter dem Gesichtspunkt des Kampfes um das Recht ist es im Kontext rechtlicher Auseinandersetzungen grundsätzlich erlaubt, auch besonders starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um Rechtspositionen und Anliegen zu unterstreichen. BVerfG, Beschl. v. 24.11.2023 – 1 BvR 1962/23 AUS DEN GRÜNDEN: [1] I. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Bf. gegen ihre im Wege der einstweiligen Verfügung ergangene Verurteilung, es zu unterlassen, auf ihrer Internetseite „(...)“ über die Inhalte der nichtöffentlichen Sitzung eines Familiengerichts zu berichten, für die sie am 16.11.2021 als Verfahrensbeistand zugelassen worden war, und einen darin auftretenden Rechtsanwalt – den Verfügungskläger des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Verfügungskl.) – als „fetten Anwalt“ und „Rumpelstilzchen“ zu bezeichnen. GegenBERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 2/2024 101
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