a) Als berechtigtes Interesse an der Verwendung von Namen und Anschrift der Kl. für das Schreiben v. 18.5. 2022 hat der Bekl. glaubhaft dargelegt, dass er als vornehmlich auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes und damit auch mit Blick auf das Gemeinwohl tätiger Rechtsanwalt für Bank- und Kapital- sowie Versicherungsrecht vor allem insolvenzgeschädigte Kleinanleger auf bestehende rechtliche Möglichkeiten hinweisen wollte. Die Wahrnehmung von Verbraucherschutzinteressen als Schwerpunkt seiner beruflichen Tätigkeit wird belegt durch Presseberichte (vgl. Beitrag Finanztest v. 17.12.2013 (Anl. B1)) und den Internetauftritt seiner Kanzlei, die diesen Interessenschwerpunkt widerspiegelt. Daneben ist im Rahmen der Abwägung auch das wirtschaftliche Interesse des Bekl. an der Datenverarbeitung zu Akquisezwecken als berechtigtes Interesse einzustellen, da das Schreiben zumindest auch darauf abzielte, von den Adressaten mandatiert zu werden. In Erwägungsgrund Nr. 47 zur DSGVO wird ausdrücklich klargestellt, dass die Durchführung von Direktmarketingmaßnahmen als berechtigtes Interesse betrachtet werden kann, deren Zulässigkeit vermutet wird. Nichts anderes kann für alle sonstigen Werbemaßnahmen gelten, zu denen das streitgegenständliche Schreiben zählt. Eine Verarbeitung personenbezogener Daten zu Werbezwecken kann damit grundsätzlich auf den Erlaubnistatbestand der Interessenabwägung nach Art. 6 I lit. f gestützt werden (Plath/Struck, in Plath, DSGVO/ BDSG/TTDSG, 4. Aufl. 2023, Art. 6 EUV 2016/679, Rn. 79, 80 m.w.N.). b) Auf Seiten der Kl. steht ihr Recht auf informationelle Interessenabwägung nach Art. 6 I lit. f DSGVO Selbstbestimmung, das gegen die unbefugte Nutzung ihrer Namens- und Adressdaten für Werbezwecke streitet, auch vor dem Hintergrund des Bekanntwerdens ihrer „Geschädigtenstellung“ bei einem fehlgeschlagenen Investment und Einzelheiten ihrer finanziellen Situation, sowie ihr Interesse am Schutz ihrer allgemeinen Persönlichkeitsrechte vor Belästigung durch unerwünschte Werbung und aufgedrängten Informationen. c) Die somit nach Art. 6 I lit. f) DSGVO erforderliche Abwägung ergibt, dass die Verarbeitung durch den Bekl. als Verantwortlichen rechtmäßig ist, da die Interessen, Grundrechte und Grundfreiheiten der Kl. als betroffene Personen am Schutz ihrer Daten nicht überwiegen. aa) Der Bekl. hat mit der Versendung des Schreibens v. 18.5.2022 nicht gegen standes- bzw. berufsrechtliche Pflichten oder Wettbewerbsvorschriften verstoßen. Ein solcher Verstoß wäre zwar bei der Interessenabwägung maßgeblich zu seinen Lasten zu berücksichtigen, liegt indes entgegen der Ansicht der Berufung nicht vor. (1) Das standardmäßig formulierte Schreiben verstößt nicht gegen das Werbeverbot gem. § 43b BRAO. Nach dieser Norm ist einem Rechtsanwalt Werbung – wie z.B. Rundschreiben sowohl an Mandanten als auch an Nichtmandanten – erlaubt, soweit über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet wird und sie nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist. Im Rahmen einer nach dieser Norm erforderlichen Verkeine verbotene Einzelfallwerbung hältnismäßigkeitsprüfung ist zudem eine auf den konkreten Fall bezogene Interessenabwägung vorzunehmen. Dabei sind neben der Beeinträchtigung der Unabhängigkeit, der Würde oder der Integrität der Rechtsanwaltschaft auch Art und Grad der Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers durch Form, Inhalt oder das verwendete Mittel der Werbung zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urt. v. 13.11.2013 – I ZR 15/ 12, BGHZ 199, 43–52 Rn. 21). Sofern ein Anwalt einen potentiellen Mandanten in Kenntnis eines konkreten Beratungsbedarfs persönlich anschreibt und seine Dienste anbietet, liegt ein Verstoß jedenfalls dann nicht vor, wenn der Adressat durch das Schreiben weder belästigt, genötigt oder überrumpelt wird noch seine Interessen beeinträchtigt sind, weil er sich in einer Situation befindet, in der er auf Rechtsrat angewiesen ist und ihm eine an seinem Bedarf ausgerichtete sachliche Werbung hilfreich sein kann (vgl. BGH, a.a.O, Urt. v. 13.11. 2013). Nach diesen Maßstäben ist das streitgegenständliche Schreiben nicht zu beanstanden. Es handelt sich um ein für den Angeschriebenen erkennbares Rundschreiben an eine Vielzahl von betroffenen Anlegern der A GmbH. Der Bekl. stellt darüber hinaus seinen sehr allgemein und sachlich gehaltenen Rechtsrat in den Vordergrund und weist nur beiläufig und eher am Rande auf seine besondere Expertise für eine Rechtsverfolgung hin. Das Schreiben erzeugt zwar wegen des Hinweises auf die drohende Verjährung einen gewissen Entscheidungsdruck, ist aber insgesamt zurückhaltend formuliert, nur allgemein auf das notleidende Investment bezogen, zudem auch hinsichtlich der zu ergreifenden Maßnahmen nicht drängend oder nötigend formuliert. Auch wenn der Bekl. der Forderungsanmeldung entnehmen konnte, dass die Kl. bereits anwaltlich vertreten waren, schießt er mit seinem Hinweis auf eine Vermittlerhaftung nicht „übers Ziel hinaus“, da er seinen Rat allgemein und sachlich gestaltet, auf den Umstand der anderweitigen anwaltlichen Vertretung nicht eingeht und den Kl. die Entscheidung über ein weiteres Handeln in jeder Hinsicht überlässt. Im Ergebnis ist das Schreiben entgegen der Ansicht der Berufung nicht wegen Verstoßes gegen Wettbewerbs- oder Berufspflichten zu beanstanden. (2) Ebensowenig hat der Bekl. gegen Vorschriften des UWG verstoßen. Eine vorherige Einwilligung war bei der hier gegebenen Briefpostwerbung entbehrlich, denn die Regelungen in § 7 II, III UWG und § 7 UWG stellen im Privatkundenbereich auf Werbung per E-Mail ab. bb) Zwar waren die erhobenen Daten nicht öffentlich zugänglich und wurden durch die Kl. jedenfalls nicht BRAK-MITTEILUNGEN 2/2024 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 114
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