BRAK-Mitteilungen 3/2024

Durch die Pandemie bewegt, regte sich schon früh in der Diskussion der Wunsch auch das Gericht im Wege der Bild- und Tonübertragung zuzuschalten, entweder aus dem Dienstzimmer oder sogar aus dem Homeoffice.4 4 Z.B. Diskussionspapier „Modernisierung des Zivilprozesses“ im Auftrag der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des KG, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des BGH, abrufbar unter https://www.justiz.bayern. de/media/images/behoerden-und-gerichte/oberlandesgerichte/nuernberg/diskuss ionspapier_ag_modernisierung.pdf, S. 46. Eine dabei aber kaum schlüssig durchdachte Fallkonstellation ist die digitale Zuschaltung der Mitglieder von Kollegialorganen von jeweils verschiedenen Orten. Obwohl auf dem Weg zu einer Neufassung die digitale Teilnahmemöglichkeit immer wieder geändert wurde und teilweise auf erhebliche Kritik stieß, sind die Probleme und die Möglichkeiten der praktischen Umsetzung weitestgehend ungenannt geblieben.5 5 Nur für Arbeitsgerichtsbarkeit Franken, NZA 2022, 1225. Sich jedenfalls bei den Stellungnahmen zum RefE erheblich gegen die Möglichkeit der Zuschaltung des Kollegialorgans aussprechend: BRAK, Deutscher Gewerkschaftsbund, Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, Bund der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit; alle Stn. abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgeb ungsverfahren/DE/2022_Videokonferenztechnik.html?nn=110490. Der Aufsatz gibt einen Überblick über die Probleme, die sich bei der Zuschaltung von Kollegialgerichten ergeben, und darüber, welche praktischen Umsetzungen notwendig sind, um wesentliche Verfahrensgrundsätze einzuhalten. II. RECHTSLAGE UND ÄNDERUNGEN Nach der seit dem 1.11.2013 geltenden bisherigen Ausgestaltung besteht auch bei der Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung die Pflicht des Gerichts, die Verhandlung aus dem Gerichtssaal zu leiten.6 6 BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf/von Selle, 52. Ed. 1.3.2024, ZPO § 128a Rn. 6. Der § 128a ZPO a.F. zählte abschließend die Verfahrensbeteiligten auf, die die Möglichkeit der Zuschaltung im Wege der Bild- und Tonübertragung haben. Das sind nach Abs. 1 die Parteien, ihre Bevollmächtigten und Beistände sowie nach Abs. 2 die Zeuginnen und Zeugen und Sachverständigen. Dies bedeutet, dass sowohl die Öffentlichkeit weiter im Gericht hergestellt wird als auch der oder die Vorsitzende weiter aus dem Gerichtssaal die Verhandlung leitet. Umfasst sind davon auch Kollegialgerichte. Nach dem schon der Referentenentwurf vom 23.11. 20227 7 Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten, abrufbar unter: https:// www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/RefE/RefE_Videokonfere nztechnik.pdf?__blob=publicationFile&v=2; zit. als RefE. den persönlichen Anwendungsbereich des (bisherigen) § 128a ZPO erweitern wollte, hat der Bundestag Ende 2023 die mit dem Referentenentwurf dekkungsgleichen Erweiterungen des Rechtsauschusses beschlossen.8 8 BT-Drs. 20/9354. Der Bundesrat hat dem Gesetzt nicht zugestimmt und daher am 15.12.2023 den Vermittlungsausschuss angerufen, BR-Drs. 604/23. Zwar sollte demnach die Öffentlichkeit weiter als Gerichtsöffentlichkeit gehandhabt werden, jedoch sollte sich nun für das Gericht die Möglichkeit eröffnen, sich ebenfalls von einem anderen Ort zuzuschalten. Umfasst waren von den Erweiterungsvorhaben alle Mitglieder des Spruchkörpers sowie Richterinnen und Richter am Amtsgericht und die Einzelrichterinnen und -richter nach den §§ 348, 348a ZPO.9 9 RefE, S. 35. Nach dem Entwurf war es möglich, dass bei Kollegialorganen die oder der Vorsitzende einzelnen Mitgliedern des Spruchkörpers gestatten konnte, sich per Bild- und Tonübertragung zuzuschalten.10 10 BT-Drs. 20/9354, 10 und 38. Dabei sollte es möglich sein, dass entweder nur ein Teil des Kollegialorgans sich von einem anderen Ort zuschaltet oder jedes Mitglied des Spruchkörpers jeweils von einem anderen Ort an der Verhandlung teilnimmt.11 11 RefE, S. 21. Sollten sich alle Verfahrensbeteiligten und das Gericht sich digital zuschalten, sprach der Entwurf von einer vollvirtuellen Verhandlung.12 12 BT-Drs. 20/9354. In solchen Fällen sprach schon der Referentenentwurf in seiner Begründung von einer vollvirtuellen Verhandlung, RefE S. 2 und 21. Nunmehr wurde dieser Ansatz richtigerweise teilweise entschärft. Nach der vom Bundestag angenommenen Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses muss der Vorsitzende weiterhin die Videoverhandlung von der Gerichtsstelle aus leiten. Er kann anderen Mitgliedern des Gerichts lediglich bei Vorliegen erheblicher Gründe gestatten, an der mündlichen Verhandlung per Bild und Tonübertragung teilzunehmen. Dabei verbleibt jedoch die Möglichkeit, dass ein oder mehrere Mitglieder des Spruchkörpers sich per Bildund Tonübertragung zuschalten. Zudem sollen die Bundesregierung und die Landesregierungen ermächtigt werden, durch Rechtsverordnung für ihre jeweiligen Zuständigkeitsbereiche vollvirtuelle Videoverhandlungen zum Zwecke ihrer Erprobung zuzulassen.13 13 BT-Drs. 20/11770, 2. Insofern ist zu untersuchen, wie zukünftig die Zuschaltung erfolgen soll und welche Aspekte überdacht oder neu gedacht werden sollten. III. ANFORDERUNGEN UND PROBLEME DER ZUSCHALTUNG Für die Verhandlungen vor der Einzelrichterin bzw. dem Einzelrichter mag es durchaus Sinn ergeben, zukünftig einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der die vollvirtuelle Verhandlung als gleichwertige Alternative zur Präsenzverhandlung ermöglicht. Bei der Einzelrichterin bzw. dem Einzelrichter entfällt die Notwendigkeit, sich während einer Videoverhandlung zwingend im Sitzungszimmer aufzuhalten, wenn alle Verfahrensbeteiligten im Wege der Bild- und Tonübertragung an der Verhandlung teilnehmen.14 14 So auch der RefE, S. 21. Die Richterin bzw. der Richter würde dann nur noch für die Öffentlichkeit im Gericht sitzen und ansonsten einen leeren Raum bespielen. BRAK-MITTEILUNGEN 3/2024 AUFSÄTZE 126

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