Aus verfahrensökonomischen Gesichtspunkten erscheint es sinnvoll, dann eine Verhandlungsleitung für geeignete Fälle von einem anderen Ort zu ermöglichen. Verhandlungssäle müssten nicht für eine Verhandlung nach § 128a ZPO blockiert werden. Zudem würde die Terminsfindung vereinfacht, wenn die Richterin oder der Richter sich auch aus dem Homeoffice zuschalten könnte.15 15 Diskussionspapier „Modernisierung des Zivilprozesses“ im Auftrag der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des KG, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des BGH, abrufbar unter https://www.justiz.bayern.de/media/i mages/behoerden-und-gerichte/oberlandesgerichte/nuernberg/diskussionspapier _ag_modernisierung.pdf, S. 46. Bei der Zuschaltung aus dem Homeoffice wird zudem den immer bedeutsameren Umweltschutzaspekten Rechnung getragen.16 16 In Bezug auf die Zuschaltung von VerfahrensbeteiligtenHeß/Figgener, NJW-Spezial 2021, 585, 585 f.; Zschieschack, NJW 2023, 2596, 2600; auch wenn der Gesetzgeber vor allem wirtschaftliche Aspekte wie die Reisekostenersparnis im Sinn hatte, BT-Drs. 17/1224, 11. Die Zuschaltung sollte jedoch nur unter der Voraussetzung möglich sein, wenn die gleichen Bedingungen wie im Sitzungssaal garantiert werden können. Neben einer stabilen Internetverbindung muss die Richterin oder der Richter dafür Sorge tragen, dass keine visuellen und akustischen Störungen vorliegen. Kurzum: Die Parteien müssen die Richterin bzw. den Richter wie in einer Präsenzverhandlung wahrnehmen können. Eben die vergleichbare Verhandlungsqualität stellt das Problem dar, wenn der Spruchkörper aus mehreren Mitgliedern besteht und diese sich von verschiedenen Orten zuschalten. Kernaspekt des Kollegialgerichts ist die Beratung.17 17 Dies ergibt sich schon daraus, dass bei einem Kollegialgericht eine Entscheidung „gefällt“ ist, wenn sie nach §§ 192–197 GVG abschließend beraten ist, BeckOK ZPO/Vorwerk/Wolf/Elzer, 52. Ed. 1.3.2024, ZPO § 309 Rn. 14. Bei einer vollvirtuellen Verhandlung wird diese auf den sonst üblichen Weg nicht stattfinden können. Die Mitglieder des Spruchkörpers werden sich von verschiedenen Orten zuschalten, sodass eine physische Zusammenkunft im Beratungszimmer, aber auch eine Interaktion während der Verhandlung, ausgeschlossen sind. 1. INTERAKTION WÄHREND DER VERHANDLUNG In der Verhandlung muss der Spruchkörper jederzeit interagieren können. So bedarf es in den Verhandlungen bei unvorhersehbaren Situationen, aber auch bei einfachen Verständnisfragen, einer effektiven und schnellen und daher formlosen Möglichkeit der Verständigung der Richterbank. Daher sind auch vereinfachte Kommunikationsformen während der Verhandlung Bestandteil der Beratung.18 18 BGH, NJW-RR 2014, 243 Rn. 28; BGH, NJW 1992, 3181, 3181 f. Unerlässlich ist somit auch die Interaktion per paraverbaler und nonverbaler Kommunikation.19 19 Insb. bezogen auf ehrenamtliche Richter Francken, NZA 2022, 1225, 1226. a) PROBLEME DER REINEN ONLINE-INTERAKTION Diese Art der Kommunikation wird bei der Zuschaltung von verschiedenen Orten nicht in der gleichen Qualität möglich sein. Die gängigen Chatfunktionen stellen sich für einen kurzen, effektiven Austausch als zu schwerfällig dar. Der Rückzug in einen digitalen Raum wiederum würde den Verfahrensablauf enorm verzögern.20 20 Francken, NZA 2022, 1225, 1226. Da dies den Mitgliedern des Spruchkörpers bewusst sein dürfte, wird eine Kommunikation während der vollvirtuellen Verhandlung die Ausnahme bleiben. Die vollvirtuelle Verhandlung als gleichwertige Verhandlung bei Kollegialgerichten zu erheben, erscheint schon deswegen verfehlt. b) WAHRNEHMUNG DER KOMMUNIKATION DES SPRUCHKÖRPERS Zu trennen davon ist die Frage, ob die Verfahrensbeteiligten einen Anspruch darauf haben, die Kommunikation des Spruchkörpers während der Verhandlung wahrzunehmen. Die Voraussetzungen an die erforderliche Wahrnehmungsmöglichkeit wurden im letzten Jahr durch zwei Entscheidungen des BFH und Anfang 2024 vom BVerfG geprägt. In der einen Entscheidung21 21 BFH, Beschl. v. 18.8.2023 – IX B 104/22. ging es um die gleichzeitige Wahrnehmbarkeit aller Verfahrensbeteiligten. In der Verhandlung vor dem Finanzgericht war die Beklagte auf einem Bildschirm hinter der Klägerin zugeschaltet, sodass sich die Klägerin um 180 Grad drehen musste, um die Beklagte zu sehen. Deswegen konnte sie nur den Spruchkörper oder nur die Beklagte akustisch und visuell wahrnehmen, aber nie alle Verfahrensbeteiligten gleichzeitig. Im anderen vom BFH zu entscheidendem Fall22 22 BFH, Beschl. v. 30.6.2023 – V B 13/22. wurde für die Zuschaltung des Spruchkörpers eine Kameraperspektive gewählt, bei der für etwa zwei Drittel der Verhandlung nur der Vorsitzende Richter des Senats zu sehen war. Der gesamte Spruchkörper war nie gleichzeitig wahrnehmbar. Ausgangspunkt für die jeweiligen Entscheidungen des BFH war der in der Gesetzesbegründung des § 128a ZPO a.F. niedergelegte, aber oft in der Praxis und Literatur nicht beachtete Grundsatz, dass die Videoübertragungstechnik nur ohne Verlust an rechtsstaatlicher Qualität genutzt werden soll.23 23 BT-Drs. 17/1224, 10. Verbale, nonverbale und akustische Wahrnehmbarkeit müssen daher wie in einer Präsenzverhandlung gewährleistet sein.24 24 So auch Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., § 128a Rn. 6; Windau, NJW 2020, 2753, 2754. Dies bedeutete für den BFH zunächst, dass alle Verfahrensbeteiligten gleichzeitig in Bild und Ton sichtbar sein müssen.25 25 BFH, Beschl. v. 18.8.2023 – IX B 104/22 Rn. 5. Im Beschluss vom 30.6.2023 konkretisierte er das Erfordernis für den Spruchkörper dahingehend, dass die von einem anderen Ort zugeschalteten Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit haben müssen, die vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts und damit die Anwesenheit aller Mitglieder des Spruchkörpers wahrzunehmen.26 26 BFH, Beschl. v. 30.6.2023 – V B 13/22 Rn. 4. DENZ, PRAKTISCHE PROBLEME BEI VIDEOVERHANDLUNGEN AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 3/2024 127
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