ins pflichtgemäße Ermessen der bzw. des Vorsitzenden stellen.36 36 RefE, S. 21. Dies würde jedoch erheblichen Einfluss auf die Stellung der Parteien als Herren des Zivilprozesses haben. Wie die Entscheidung über die Zuschaltung sollten die Parteien auch die Entscheidung darüber treffen, ob sie vor einem getrennt auftretenden Spruchkörper verhandeln möchten und dadurch ggf. nachteilige Verfahrensbedingungen in Kauf nehmen.37 37 Für zumindest einen Rechtsbehelf der Parteien: BRAK-Stn.-Nr. 5/2023, S. 12 f.; ebenso für ein Mitbestimmungsrecht bei der Zuschaltung von Zeugen: Positionspapier der BRAK „Digitales Rechtssystem – Forderungen und Vorschläge der Anwaltschaft“ = BRAK-Stn.-Nr. 60/2021, S. 5. Darin ist auch keine zu hohe Anforderung an die Parteien zu sehen, da die Entscheidungsmöglichkeit üblicherweise erst bei Verfahren mit Anwaltszwang auftreten wird. Es liegt dann an den Prozessvertreterinnen und -vertretern, gemeinsam mit ihrer Mandantschaft eine vernünftige Abwägungsentscheidung zu treffen.38 38 Diesbezüglich weist Kiliandarauf hin, dass eine Studienlage zur Sichtweise der Parteien noch fehlt und wirft daher das Problem auf, ob die Parteien die Videoverhandlung eher zurückhaltender annehmen könnten, Kilian, RDi 2023, 577, 583. Daher werden eine genaue Absprache und Aufklärung des Mandanten erforderlich sein. 2. BERATUNG IM DIGITALEN RAUM Sollten sich trotz dessen ein Mitglied oder mehrere Mitglieder per Bild- oder Tonübertragung zuschalten, ist im nächsten Schritt eine rechtliche und technische Lösung für die Beratung des Spruchkörpers zu finden, wenn die Mitglieder des Spruchkörpers sich an unterschiedlichen Orten aufhalten. a) GESETZLICHE REGELUNG Gesetzlich normiert sind die Beratung und die Anforderungen an die Beratung in den §§ 193, 194 GVG. Aus § 193 GVG folgt, dass jede Entscheidung eines Kollegialgerichts auf einer Beratung und Abstimmung der zur Entscheidung berufenen Richter beruhen muss. Näheres zum Verfahrensablauf bestimmt § 194 GVG. Der vom Gesetzgeber gedachte und überwiegend angewendete Regelfall ist die mündliche Beratung zur Entscheidungsfindung.39 39 BGH, NJW-RR 2014, 243 Rn. 26 ff.; Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, 23. Aufl., § 194 GVG Rn. 5. Daher sieht die Neufassung eine Erweiterung des § 193 GVG für die Beratung mit Fernkommunikationsmedien vor.40 40 So z.B. der BT-Drs. 20/8095, 7, § 193 GVG-E „(1) Die Beratung und die Abstimmung können mit Einverständnis aller zur Entscheidung berufenen Richter ganz oder teilweise per Bild- und Tonübertragung durchgeführt werden. In diesem Fall ist durch organisatorische und technische Maßnahmen die Wahrung des Beratungsgeheimnisses sicherzustellen.“ b) ANFORDERUNGEN AN DIE TECHNISCHE UMSETZUNG Die erste, schon allein praktische, Frage ist also, ob die digitalen Verhandlungssysteme grundsätzlich und wenn ja, unter welchen Anwendungsformen, den Anforderungen der §§ 193, 194 GVG gerecht werden. In der Vergangenheit wurde diese Fragestellung höchstrichterlich für die Beratung im Rahmen von telefonischen Abfragen41 41 BGH, NJW-RR 2009, 286; BeckOK GVG/Graf, 23. Ed. 15.5.2024, § 193 Rn. 5. und Telefonkonferenzen42 42 BGH, NJW-RR 2014, 243; BeckOK GVG/Graf, 23. Ed. 15.5.2024, § 193 Rn. 5. entschieden. Aus den bisherigen Entscheidungen lassen sich Grundsätze für den Einsatz weiterer Kommunikationsmittel abseits der mündlichen Beratung in Präsenz aufstellen. aa) GLEICHZEITIGE KOMMUNIKATION INNERHALB DES SPRUCHKÖRPERS So ist zunächst Grundvoraussetzung, dass die Mitglieder des Spruchkörpers gleichzeitig miteinander kommunizieren und auf diese Weise ihre Argumente austauschen können. Dies muss in einer für die Mitglieder des Spruchkörpers äußerlich wahrnehmbaren Weise erfolgen.43 43 BGH, NJW-RR 2009, 286; BGH, NJW-RR 2014, 243 Rn. 27; Berlit, jM 2020, 310, 312. Nicht ausreichend ist also die nacheinander stattfindende Meinungsabfrage der einzelnen Mitglieder des Spruchkörpers durch den Vorsitzenden.44 44 Näher dazu BGH, NJW-RR 2009, 286. Innerhalb dieser Grenzen ist die konkrete Gestaltung der Beratung aber dem Gericht überlassen.45 45 BGH, NJW-RR 2014, 243 Rn. 27; so auch Berlit, jM 2020, 310, 311 f. Die Beratung ist also auch schon bisher nicht an eine besondere Form gebunden.46 46 BGH, NJW 1991, 50, 52; Berlit, jM 2020, 310, 311 f. Insbesondere sind dadurch moderne oder neue Beratungsformen nicht grundsätzlich ausgeschlossen. bb) GEHEIME BERATUNG Darüber hinaus muss das Kommunikationsmittel gewährleisten, dass die Beratung geheim stattfindet.47 47 Künzel, ZZP 1991, 150, 185; Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, 23. Aufl., § 193 GVG Rn. 2. Dementsprechend muss das Kommunikationsmittel nicht nur die wechselseitige Wahrnehmbarkeit ermöglichen, sondern auch die anderen Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit von der Beratung ausschließen können. c) MÖGLICHE TECHNISCHE LÖSUNGEN aa) CHATFUNKTION Die gleichzeitige Übertragung in Bild und Ton wird nur bei Videokonferenzsystemen möglich sein. Die in Online-Meetings gängigen Chat- und Telefonfunktionen erfüllen daher nicht die Anforderungen. Auch wenn es zunächst einfacher erscheint, sich während der Verhandlung über die private Chatfunktion abzusprechen, darf dieser Austausch nicht die Beratung in Bild- und Ton ersetzen. Denn nur in Ausnahmefällen wird eine schriftliche Beratung als zulässig angesehen, z.B. wenn vorher mündlich beraten wurde.48 48 Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, 23. Aufl., § 194 GVG Rn. 5. AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 3/2024 129
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