BRAK-Mitteilungen 3/2024

bb) TELEFONISCHE BERATUNG Ebenfalls wäre es nicht ausreichend, die einzelnen Mitglieder des Spruchkörpers nach der Verhandlung telefonisch zu befragen. Schon bevor der Fokus sich auf den § 128a ZPO legte, entschied der BGH, dass telefonische Beratungen nur unter engen Voraussetzungen und nur in Ausnahmefällen möglich sind.49 49 BGH, NJW-RR 2014, 243 Rn. 25 ff. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt fand eine vorherige mündliche Besprechung statt und lediglich die Beratung über einen nachträglich eingereichten Schriftsatz wurde im Rahmen einer Telefonkonferenz abgehalten. Entscheidend ist, dass eine alleinige Telefonkonferenz zur Besprechung nicht ausreichen kann.50 50 So auch Anders/Gehle/Becker, ZPO, 80. Aufl., § 194 GVG Rn. 4; Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, 23. Aufl., § 194 GVG Rn. 5; eine Telefonkonferenz aber als Möglichkeit formulierend das Diskussionspapier „Modernisierung des Zivilprozesses“, S. 46 f. Die Grundsätze müssen auch für die Verhandlung nach § 128a ZPO gelten. Solange im Rahmen der Umsetzung der vollvirtuellen Verhandlungen ein Verfahren vorhanden ist, bei dem sich die Mitglieder der Spruchkörper gegenseitig in Bild und Ton wahrnehmen können, kann eine reine Telefonkonferenz den Anforderungen der §§ 193, 194 GVG nicht gerecht werden. cc) BREAKOUT ROOMS Um den gesetzlichen Anforderungen zu genügen, dürften nach bisherigem Stand der Technik nur sog. Breakout Rooms zur Umsetzung in Betracht kommen.51 51 Ebenso so schon 2020 für die Möglichkeit der Breakout Rooms Mantz/Spoenle, MDR 2020, 637, 641. Unter Breakout Rooms versteht man zusätzliche Räume, mit allen Funktionen des Hauptraums, die während eines Online-Meetings erstellt werden können. Der zusätzliche Raum steht dann nur für die ausgewählten Personen zur Verfügung. Damit könnte die bzw. der Vorsitzende des Spruchkörpers am Ende der Verhandlung einen Breakout Room einrichten, um dort die Beratung mit den anderen Mitgliedern des Spruchkörpers durchzuführen. Auf diese Weise dürften die Breakout Rooms am ehesten das digitale Äquivalent der Beratungszimmer darstellen. 3. BESONDERHEITEN BEI DER ZUSCHALTUNG VON BUNDESRICHTERN UND EHRENAMTLICHEN RICHTERN Eine weitere Differenzierung ist für die Bundesgerichte und für Kollegialgerichte, die u.a. mit ehrenamtlichen Richtern besetzt sind, geboten. a) BUNDESGERICHTE Die Beratung des Spruchkörpers muss insb. bei obersten Bundesgerichten die Aufgabe eines Revisionsgerichts im Auge haben. Die Bundesgerichte haben die Aufgabe, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung und die Fortentwicklung des Rechts sicherzustellen (§ 543 II ZPO). Das Revisionsurteil reicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus.52 52 BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf/Kessal-Wulf, 51. Ed. 1.12.2023, ZPO § 543. Dies setzt eine intensive Beratung auch über gegenwärtige und künftige Rechtsprechungslinien voraus. Dies kommt auch in der Geschäftsordnung des BGH zum Ausdruck. Zwar wird nach § 10 der Geschäftsordnung des BGH die Beratung, Abstimmung der einzelnen Mitglieder und die von ihnen geltend gemachten Gründe nicht aufgezeichnet. Jedes Mitglied kann jedoch seine von der gefassten Entscheidung abweichende Ansicht schriftlich zur Senatsakte geben. Die Senatsakte, § 19 II der Geschäftsordnung des BGH, wird gesondert von der eigentlichen Fallakte aufbewahrt. Diese Funktion eines Revisionsgerichts setzt eine face to face-Kommunikation auch jenseits der eigentlichen Entscheidung voraus. Wenngleich empirische Untersuchungen zu der Frage, in welchem Umfang eine nonverbale Kommunikation auch bei Remote-Verhandlungen möglich ist, erst am Anfang stehen,53 53 Vgl. Effer-Uhe, MDR 2020, 773 ff. spricht sehr viel dafür, dass ein Senat sich als Senat erst durch eine Reihe von face to face-Gesprächen verstehen lernt. Die Richterinnen und Richter müssen lernen, wie die Kolleginnen und Kollegen denken und welche Auswirkungen die Entscheidung aus der Sicht des Senats auf andere Fälle hat. Zu der Beratung gehört dann auch die nonverbale und verbale Kommunikation. Die Richterinnen und Richter müssen als Senat zusammenwachsen, sie müssen eine Beratungsatmosphäre haben, in der sie offen kommunizieren und auch Fehler machen können. Dies ist, wenn nur noch virtuell kommuniziert wird, schwieriger möglich. Grundsätzlich gilt dies auch für die Instanzgerichte. Die Probleme sind aber bei den obersten Bundesgerichten aufgrund der typischen Richterbiographie und der Bedeutung der Gerichte besonders groß. Die Ernennung zur Richterin oder zum Richter an einem obersten Bundesgericht erfolgt regelmäßig zwischen Mitte Vierzig und Anfang Fünfzig. Die Möglichkeiten für eine Dual Career sind an den meisten Standorten der obersten Bundesgerichte beschränkt. Darüber hinaus dürften die meisten Richterinnen und Richter in diesem Lebensalter noch schulpflichtige Kinder haben. Eröffnet der Gesetzgeber unbeschränkt die Möglichkeit der vollständigen virtuellen Verhandlung, dürfte die Gefahr, nur noch virtuell existente oberste Gerichte zu haben, nicht unrealistisch sein. b) GERICHTE MIT EHRENAMTLICHEN MITGLIEDERN Bei den Kollegialgerichten mit ehrenamtlichen Mitgliedern liegt das Problem v.a. in der behäbigeren Kommunikationsweise, wenn alle Mitglieder von einem anderen Ort zugeschaltet sind.54 54 Dazu unter III. Insbesondere ehrenamtliche Richterinnen und Richter müssen jederzeit die Möglichkeit haben, auf unkomplizierten Wegen VerBRAK-MITTEILUNGEN 3/2024 AUFSÄTZE 130

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