BRAK-Mitteilungen 3/2024

Aufgrund der Bestimmungen der BRAO führte die Transaktion in weiterer Folge zu dem nunmehr anhängigen Rechtsstreit. Die Rechtsanwaltskammer München hat nämlich, nachdem sie vom Anteilsübergang in Kenntnis gesetzt wurde, der Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft UG die Zulassung zur Anwaltschaft widerrufen. Gegen die bescheidmäßige Entscheidung der Rechtsanwaltskammer München hat die Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft UG Klage beim Bayerischen AGH erhoben. Die dem EuGH vorgelegten Fragen betreffen im Kern die Frage nach der unionsrechtlichen Vereinbarkeit jener Bestimmungen der BRAO a.F., die im Wesentlichen das Drittbeteiligungsverbot sowie Tätigkeitsgebot für Berufsausübungsgesellschaften von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten normieren und abstecken, i.e. §§ 59e, 59a, 59h BRAO a.F. III. VEREINBARKEIT DER BESTIMMUNGEN DER BRAO AUF RECHTFERTIGUNGS- UND VERHÄLTNISMÄSSIGKEITSEBENE 1. RECHTFERTIGUNGSGRUND DER „FUNKTIONSFÄHIGKEIT DER RECHTSPFLEGE“ UND DER „SICHERUNG ANWALTLICHER GRUNDPFLICHTEN“ Grundsätzlich können Eingriffe in die EU-Grundfreiheiten aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein. Der Schutz der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege sowie von Verbrauchern als Empfänger juristischer, von Organen der Rechtspflege erbrachten Dienstleistungen, ist ein vom EuGH anerkannter Rechtfertigungsgrund.8 8 EuGH, Urt. v. 12.12.1996 – C-3/95, Reisebüro Broede, ECLI:EU:C:1996:487 Rn. 36, BRAK-Mitt. 1997, 42; EuGH, Urt. v. 11.12.2003 – C-289/02, AMOK, ECLI:EU:C: 2003:669 Rn. 40, BRAK-Mitt. 2004, 28 mit Anm. Struve; EuGH, Urt. v. 17.12.2020 – C-218/19, Onofrei, ECLI:EU:C:2020:1034 Rn. 34. Im Kontext der anwaltlichen Tätigkeit lässt sich dieser darüber hinaus noch weiter konkretisieren. Eine Rechtfertigung staatlicher Maßnahmen, die als Eingriff in die EU-Grundfreiheiten zu qualifizieren sind, lässt sich daher grundsätzlich mit der Sicherung der anwaltlichen Grundpflichten, und somit mit der damit einhergehenden Notwendigkeit der Wahrung der Unabhängigkeit der Rechtsberatung, der Vermeidung von Interessenskonflikten und der Sicherheit der beruflichen Verschwiegenheit von Rechtsanwälten begründen.9 9 EuGH, Urt. v. 2.12.2010 – C-225/09, Jakubowska, ECLI:EU:C:2010:729 Rn. 61, BRAK-Mitt. 2011, 79; vgl. zudem EuGH, Urt. v. 19.2.2002 – C-309/99, Wouters, ECLI:EU:C:2002:98 Rn. 101 ff., insb. Rn. 107, BRAK-Mitt. 2002, 79; so auch Generalanwalt S´anchez-Bordona, Schlussanträge v. 4.7.2024 – C-295/23, Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft, ECLI:EU:C:2024:581 Rn. 42 ff. Der EuGH hat in der Vergangenheit in Hinblick auf die Notwendigkeit der Unabhängigkeit von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten deutliche Worte gefunden und mehrfach betont, dass es für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs unerlässlich sei, „dass es nicht zu Interessenkonflikten kommt, was insb. bedeutet, dass Rechtsanwälte sich in einer Position der Unabhängigkeit gegenüber staatlichen Stellen, anderen Wirtschaftsteilnehmern und Drittenbefinden, von denen sie sich nicht beeinflussen lassen dürfen.“10 10 EuGH, Urt. v. 2.12.2010 – C-225/09, Jakubowska, ECLI:EU:C:2010:729 Rn. 61 und die dort angeführte Rspr., BRAK-Mitt. 2011, 79. Dabei dürfen insoweit die „festgelegten Regelungen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels, Interessenkonflikte zu verhindern, erforderlich ist.“11 11 Ebda. Auch hat der Gerichtshof in der Vergangenheit mehrfach – dies im Rahmen der Bestimmungen zur Niederlassungsfreiheit bzw. dem freien Dienstleistungsverkehr – betont, dass „die Anwendung von Berufsregelungen auf die Anwälte – namentlich von Vorschriften über Organisation, Befähigung, Standespflichten, Kontrolle und Verantwortlichkeit – den Empfängern rechtlicher Dienstleistungen und der Rechtspflege die erforderliche Gewähr für Integrität und Erfahrung [bietet].“12 12 EuGH, Urt. v. 12.12.1996 – C-3/95, Reisebüro Broede, ECLI:EU:C:1996:487 Rn. 38 und die dort angeführte Rspr., BRAK-Mitt. 1997, 42. Für den Eingriff existieren daher grundsätzlich vom Gerichtshof anerkannte Rechtfertigungsgründe, weshalb in einem nächsten Schritt die Verhältnismäßigkeit und Kohärenz der Maßnahme, i.e. der Bestimmungen der BRAO a.F., zu beurteilen bleibt. 2. VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung muss eine Maßnahme für das im Allgemeininteresse anerkannte Ziel geeignet, erforderlich und angemessen sein. Die Geeignetheit bestimmt sich nach der Tauglichkeit einer Maßnahme in Hinblick auf das identifizierte, zu erreichende Ziel. Auf Ebene der Erforderlichkeit stellt sich dann die Frage nach möglichen gelinderen Mitteln und damit allfälligen Alternativen zur jeweiligen Maßnahme. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung kommt es zur Güterabwägung im engeren Sinn, welche jedoch seitens des EuGH häufig bereits in der Prüfebene der Erforderlichkeit aufgeht bzw. auf Vorgenannter mit behandelt wird. Eine trennscharfe Abgrenzung der beiden letztgenannten Prüfschritte ist in der Entscheidungspraxis des Gerichtshofes daher häufig nicht erkennbar; vielmehr ist die Grenze hier eine fließende. Nach Meinung der Autorin sind die Bestimmungen der BRAO als verhältnismäßig und kohärent anzusehen, weshalb im Ergebnis ein unionsrechtswidriger Eingriff in die EU-Grundfreiheiten verneint werden kann. Dies aus den folgenden Gründen: a) GEEIGNETHEIT Die Geeignetheit der Bestimmungen der BRAO, um der Wahrung der Unabhängigkeit der Rechtsberatung, der Vermeidung von Interessenskonflikten und der Sicherheit der beruflichen Verschwiegenheit von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten gerecht zu werden, ist zu bejahen. Die Bestimmungen der BRAO zielen im Wesentlichen darauf ab, durch das Fremdbesitzverbot, den Stimmrechtsvorbehalt sowie den Vorbehalt der Mehrheitsanteile für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 3/2024 133

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