BRAK-Mitteilungen 3/2024

wenngleich de iure eingeschränkten, aber dennoch de facto existierenden – Einflussmöglichkeiten eines Gesellschafters im gesellschaftsrechtlichen Verbund nicht vergleichen lassen. Provokant ausgedrückt: Ist der Abschluss von „einfachen“ Verträgen mit Handelsoder Geschäftspartnern nicht durchaus anders zu betrachten als der Anteilsübergang an z.B. einem Container-Terminal in einem bedeutenden europäischen Hafen? (2) Relevanz möglicher Interessenkonflikte Zudem sind neben Bedenken hinsichtlich der zu wahrenden Unabhängigkeit der Rechtsberatung auch mögliche Interessenkonflikte mitzudenken. So könnte z.B. ein hypothetischer „Akquise-Feldzug“ der durch ihre unsägliche (Markt-)Macht bekannt gewordenen, wenigen chinesischen und US Tech-Unternehmen am globalisierten Markt, i.e. die Unternehmen der chinesischen Handelsgruppe Alibaba (das sog. chinesische „Amazon“) oder GAFAM20 20 Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft. (bzw. GAMAM, seit Facebook in Meta umfirmiert wurde), am europäischen Rechtsberatungsmarkt durchaus – gleichwohl ein Worst-Case-Szenario skizzierend – zu einer Gefahr für die Integrität des rechtsberatenden Berufes werden. Ein Gut das – wie bereits erwähnt – vom EuGH ausdrücklich durch die Anwendung der Berufsregelungen auf die Anwältinnen und Anwälte zur Gewährleistung der Integrität und Erfahrung rechtlicher Dienstleistungen und der Rechtspflege anerkannt wurde.21 21 EuGH, Urt. v. 12.12.1996 – C-3/95, Reisebüro Broede, ECLI:EU:C:1996:487 Rn. 38 und die dort angeführte Rspr, BRAK-Mitt. 1997, 42. Am Beispiel der GAFAM: Halten Vorgenannte erst einmal Anteile an immer mehr bedeutenden (sie teilweise ohnehin schon vertretenden) Sozietäten Europas, wäre eine Vertretung Vorgenannter in Verfahren gegen die Tech-Giganten jedenfalls ausgeschlossen. Darüber hinaus erscheint eine Gesellschafterstellung durch Investition von dem Berufsstand der Freien Berufe fremden (Kapital-)Investoren durchaus geeignet, das Vertrauen der Dienstleistungsempfänger grundlegend zu erschüttern. Provokant formuliert: Sind vor dem Hintergrund der Gewährleistung einer unabhängigen Rechtspflege Sozietäten, deren Anteile zu Teilen von Investoren aus aller Welt (über entsprechende gesellschaftsrechtliche Konstrukte) gehalten werden, wünschenswert und vertrauensbildend? Die Gefahr, die damit einherginge: Die Integrität der rechtsberatenden Berufsausübungsgesellschaft würde wohl einen Schaden erleiden; dies letztlich aufgrund der im Kern der jeweiligen Tätigkeit verwurzelten, zu verortenden Unterschiede im verfolgten Interesse bzw. Ziel. So stehen rein ökonomische bzw. macht- oder geopolitische Interessen der Gemeinwohlverpflichtung der Sicherung der Funktionalität der Rechtspflege bei – was nicht in Abrede gestellt werden soll – gleichzeitiger Sicherung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage für im rechtsberatenden Beruf tätige Personen gegenüber.22 22 Ähnlich im Kontext von Apothekern: EuGH, Urt. v. 19.5.2009 – verb. Rs. C-171/07 und 172/07, DocMorris, ECLI:EU:C:2009:316 Rn. 37. Für weitere Ausführungen s. dazu sogleich unter III.2b)aa)3. (3) Rechtsprechung des EuGH zu Beschränkungen im Rechts- und Gesundheitskontext Darüber hinaus hat der EuGH in der RechtssacheReisebüro Broede– wenngleich im Kontext eines Verbotes für Inkassounternehmen, Forderungen ohne Einschaltung einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts selbst gerichtlich einzutreiben und damit wiederum im Rahmen der Bestimmungen zum freien Dienstleistungsverkehr –23 23 EuGH, Urt. v. 12.12.1996 – C-3/95, Reisebüro Broede, ECLI:EU:C:1996:487, BRAKMitt. 1997, 42. anerkannt, dass „der Umstand, [dass] ein Mitgliedstaat weniger strenge Vorschriften [erlässt] als ein anderer Mitgliedstaat, nicht [bedeutet], [dass] dessen Vorschriften unverhältnismäßig und folglich mit dem [Unionsrecht] unvereinbar sind.“ Sofern daher in anderen europäischen Ländern bereits weniger strenge Regelungen in Hinblick auf Fremdbesitzverbote für Berufsausübungsgesellschaften von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten existierten,24 24 So z.B. in der Schweiz, vgl. Kilian, Das Fremdenbeteiligungsverbot im Spannungsfeld von Berufs-, Gesellschafts- und Unionsrecht, AnwBl. 2014, 111 mit weiteren Bsp. zu Alternative Business Structures (ABS), wie in UK, Schottland. lässt dies jedoch den Schluss, die gegenständlichen Regelungen der BRAO a.F. seien nicht erforderlich bzw. gingen über das für die Zielerreichung erforderliche Maß hinaus, nicht zu. Auch hat der EuGH, wenngleich im Rahmen der wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen des AEUV, ein niederländisches Verbot gemischter Sozietäten zwischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sowie Wirtschaftsprüferinnen und -prüfern als für die Sicherstellung der „ordnungsgemäßen Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, wie er in dem betreffenden Mitgliedstaat geordnet ist“,25 25 EuGH, Urt. v. 19.2.2002 – C-309/99, Wouters, ECLI:EU:C:2002:98 Rn. 107, BRAKMitt. 2002, 79. notwendig erachtet. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof außerdem betont: „Auch wenn gemischte Sozietäten zwischen Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern in einigen Mitgliedstaaten zulässig sind, kann die Niederländische Rechtsanwaltskammer zu Recht den Standpunkt vertreten, dass die mit der Samenwerkingsverordening 1993 verfolgten Ziele insb. in Anbetracht des in den Niederlanden für die Rechtsanwälte und die Wirtschaftsprüfer jeweils geltenden Berufsrechts nicht mit weniger einschneidenden Mitteln erreicht werden können.“26 26 EuGH, Urt. v. 19.2.2002 – C-309/99, Wouters, ECLI:EU:C:2002:98 Rn. 108, BRAKMitt. 2002, 79. Dabei hat der Gerichtshof sich auf das vorgenannte Urteil in der Rechtssache Reisebüro Broede – also: auf im Rahmen der Grundfreiheiten gefällte Rechtsprechung – berufen.27 27 Ebda. Das Verbot ging laut EuGH daher nicht über das hinaus, was zur Sicherstellung der ordnungsgemäZELGER, DIE UNIONSRECHTLICHE VEREINBARKEIT DES „FREMDBESITZVERBOTES“ DER BRAO AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 3/2024 135

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