BRAK-Mitteilungen 3/2024

Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, insb. der anwaltlichen Grundpflichten zur Erfüllung der Gemeinwohlpflichten – die Angemessenheit der Maßnahmen bejahen. bb) KOHÄRENZ Zur Kohärenz der Bestimmungen der BRAO, die der Generalanwalt für die am Prüfstand stehenden Bestimmungen §§ 59e, 59a, 59h BRAO a.F. verneint (s. dazu sogleich),39 39 Generalanwalt S´anchez-Bordona, Schlussanträge v. 4.7.2024 – C-295/23, Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft, ECLI:EU:C:2024:581 Rn. 82 ff. kann, insb. hinsichtlich der Möglichkeit der Gesellschafterstellung von bzw. gemeinsamer Berufsausübungsgesellschaften mit Angehörigen anderer Freie Berufe, im Allgemeinen das Folgende festgehalten werden: Zweifelsohne dient der Beruf der Rechtsanwältin bzw. des Rechtsanwalts, wie jede andere wirtschaftliche Tätigkeit, u.a. der Existenzerhaltung der den Beruf ausübenden Personen; gleichermaßen dient er jedoch dem Gemeinwohl und soll die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege in einem liberalen Rechtsstaat sichern. Instrumente wie die deutsche Prozesskostenhilfe, die österreichische Verfahrenshilfe etc. stellen zudem sicher, dass allen Bürgerinnen und Bürgern, insb. auch den Einkommensschwachen, Rechtsschutz und Zugang zum Recht (i.S.v. Art. 6 EMRK) gewährt wird. Die anwaltliche Beratung setzt daher, wie auch die Inanspruchnahme von Beratungsleistungen durch andere Freie Berufe (Patentanwältinnen und -anwälte, Wirtschaftsprüferinnen und -prüfer, Steuerberaterinnen und -berater, Ärztinnen und Ärzte u.v.m.), ein gewisses Vertrauensverhältnis mit dem jeweiligen Dienstleistungsempfänger voraus. Die Rechtsberatung ist daher unauflösbar mit der Person der Anwältin oder des Anwalts an sich verbunden. Dasselbe gilt im Kontext der durch die anderen Freien Berufe angebotenen Dienstleistungen. Insofern, wie in § 1 II PartGG definiert, haben „[d]ie Freien Berufe [...] im Allgemeinen auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche, und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit zum Inhalt.“ Diese Besonderheit der Freien Berufe steht daher in einem gewissen Spannungsverhältnis zu rein ökonomischen Tätigkeiten, wozu Kapitalanlagen durch Anteilserwerb zur reinen Vermögensvermehrung zweifelsohne zählen. Mit anderen Worten verfolgen Vorgenannte rein wirtschaftliche Ziele (Gewinnoptimierung), die im Vordergrund der getätigten Investition stehen; der Beruf der Rechtsanwältin bzw. des Rechtsanwalts, sowie andere Freie Berufe, handeln zweifelsohne auch nach ökonomischen Grundsätzen. Jedoch ist die von ihnen angebotene Dienstleistung untrennbar mit einer qualifizierten Person verbunden, dient einer Gemeinwohlverpflichtung und ist darüber hinaus ihr Verhaltenskodex geprägt von standes- und berufsrechtlichen Normen.40 40 Ähnlich im Kontext des Apothekerberufs: EuGH, Urt. v. 19.5.2009 – verb. Rs. C171/07 und 172/07, DocMorris, ECLI:EU:C:2009:316 Rn. 37. Wenngleich es wohl Rechtsanwälte geben mag, die, insb. im Kontext größerer Sozietäten, vorrangig oder sogar ausschließlich Managementfunktionen nachkommen, sind Vorgenannte ihrem Berufseid41 41 §12BRAO. verpflichtet und bleiben auf sie dennoch eben gerade standes- und berufsrechtliche Normen anwendbar. Insofern sind sie von rein kapitalgebenden Gesellschaftern (Finanzinvestoren) als berufsfremde Dritte zu unterscheiden. Ähnliches gilt, aufgrund standes- und berufsrechtlicher Normen, die mit den anwaltlichen Grundpflichten zwar nicht im Detail, in ihren Grundzügen jedoch sehr wohl deckungsgleich sind (insb. in Hinblick auf Verschwiegenheitspflichten u.Ä.)42 42 Zum vergleichbaren Standard hinsichtlich der Verschwiegenheitspflicht von Ärztinnen/Ärzten und Apothekerinnen/Apothekern vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvL 6/13 Rn. 46 ff., BRAK-Mitt. 2016, 78. auch für andere Freie Berufe wie Ärztinnen und Ärzte, Patentanwältinnen und -anwälte, Steuerberaterinnen und -berater, Wirtschaftsprüferinnen und -prüfer u.Ä. Eine Inklusion der Vorgenannten in die Liste der möglichen Gesellschafter einer Berufsausübungsgesellschaft ist daher, entgegen den Ausführungen des Bayerischen AGH, kohärent und die Rechtslage nach den geltenden Bestimmungen der BRAO daher, nach Meinung der Autorin, jedenfalls mit dem Unionsrecht vereinbar. Zu demselben Ergebnis kommt die Autorin aber auch bei der Beurteilung der Vereinbarkeit der verfahrensgegenständlichen Bestimmungen der BRAO a.F. (s. sogleich). Der Generalanwalt verneint die Kohärenz Vorgenannter. Dies u.a. aufgrund der Tatsache, dass § 59a BRAO a.F. eine Möglichkeit der Zusammenarbeit im Rahmen von Berufsausübungsgesellschaften nur für manche der Freien Berufe vorsah. So war eine Zusammenarbeit mit Patentanwältinnen, Steuerberaterinnen, steuerbevollmächtigten Wirtschaftsprüferinnen und verteidigten Buchprüferinnen im Rahmen von Berufsausübungsgesellschaften möglich, mit Angehörigen anderer Freier Berufe (z.B. Ärztinnen und Apothekerinnen) jedoch nicht.43 43 Generalanwalt S´anchez-Bordona, Schlussanträge v. 4.7.2024 – C-295/23, Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft, ECLI:EU:C:2024:581 Rn. 80 ff. Seine Auffassung und damit die Inkohärenz der Bestimmungen der BRAO a.F. sieht der Generalanwalt in der Aufhebung der vorgenannten Regelung (i.e. § 59a BRAO a.F.) sowie der Änderung von § 59c BRAO i.d.g.F. durch den deutschen Gesetzgeber bestätigt.44 44 Ebda., Rn. 84. Wie im vorangegangenen Abschnitt bereits angedeutet, können sich Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte nach geltender Rechtslage nämlich mit sämtlichen, den Freien Berufen angehörigen Personen in einer Berufsausübungsgesellschaft zusammenschließen, vorausgesetzt eine solche Kooperation gilt nicht als mit dem Rechtsanwaltsberuf unvereinbar. Diese Änderung der BRAO ist Folge eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts,45 45 BVerfG, Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvL 6/13 Rn. 46 ff., BRAK-Mitt. 2016, 78. mit welchem dieses § 59a I 1 AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 3/2024 137

RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0