BRAK-Mitteilungen 3/2024

BRAO a.F. für verfassungswidrig und nichtig erklärt hat. Dies weil der mit dem Sozietätsverbot (zwischen Rechtsanwältinnen einerseits sowie Ärztinnen und Apothekerinnen andererseits) verbundene Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 I GG) als unverhältnismäßig beurteilt wurde. Entgegen der Meinung des Generalanwaltes vertritt die Autorin jedoch die Rechtsauffassung, dass auch die verfahrensgegenständlichen Bestimmungen der BRAO a.F. in kohärenter Weise zur Erreichung der als Rechtfertigungsgrund anerkannten Ziele beitragen. Dies aus den folgenden Gründen: Zum einen geht es bei der Frage nach der Kohärenz der nationalen Maßnahme, anders als bei der Beurteilung nach deren Vereinbarkeit mit dem Grundrecht auf Berufsfreiheit nach Maßgabe des GG, um die Überprüfung ob innerhalb eines nationalen Regelungssystems ein Wertewiderspruch identifiziert werden kann,46 46 Schuster, Das Kohärenzprinzip in der Europäischen Union, 1. Aufl. 2017, S. 79. der in weiterer Folge die erklärte Erreichung der im Allgemeininteresse liegenden Ziele (i.e. die Rechtfertigungsgründe) unterminiert. Mit den Worten von Sauer handelt es sich letztlich um einen „Wahrhaftigkeitstest“ bzw. eine „Missbrauchskontrolle“ wonach festgestellt wird, ob die von den Mitgliedstaaten angeführten Gemeinwohlbelange auch wirklich hinter der Beschränkung der Grundfreiheiten stehen.47 47 Sauer, Minutiöse Missbrauchskontrolle bei der Begrenzung der Grundfreiheiten. Zur „Gesamtwürdigung der Umstände“ als Aufgabe der nationalen Gerichte, ecolex 2021, 485 (485) und (487). Hierzu lässt sich festhalten, dass die Tatsache, dass Ärztinnen und Apothekerinnen von der Möglichkeit eines Zusammenschlusses von den Bestimmungen der BRAO a.F. nicht erfasst sind (waren) nicht dazu führt, dass das erklärte, im Allgemeininteresse gelegene Ziel nicht erreicht würde. Hinzu kommt dass, wie bereits näher ausgeführt, den Mitgliedstaaten in Bereichen die keiner Vollharmonisierung unterliegen, in Hinblick auf das Schutzniveau jedenfalls ein Gestaltungsspielraum zukommt.48 48 EuGH, Urt. v. 19.5.2009 – verb. Rs. C-171/07 und 172/07, DocMorris, ECLI:EU:C: 2009:316 Rn. 19 und die dort angeführte Rspr.; EuGH, Urt. v. 19.5.2009 – C-531/ 06, Kommission/Italien, ECLI:EU:C:2009:315 Rn. 65–71 (Fremdbesitzverbot für Apotheken). Solange daher ein System nationaler Regelungen der Zielerreichung im Ergebnis nicht entgegensteht, entspricht die Maßnahme dem unionsrechtlichen (Werte)Kohärenzprinzip als Schranke des nationalen Gesetzgebers.49 49 Schuster, Das Kohärenzprinzip, S. 79. Daran vermag auch die Tatsache, dass Ärztinnen und Apothekerinnen von der Möglichkeit des Zusammenschlusses im Rahmen einer Berufsausübungsgesellschaft nach Maßgabe der Bestimmungen der BRAO a.F. ausgeschlossen waren, nichts zu ändern. Ihre strengere Handhabe in Form eines „Sozietätsverbots“ mit Rechtsanwälten steht der Zielerreichung, i.e. u.a. der Wahrung der anwaltlichen Grund- bzw. Verschwiegenheitspflicht, nämlich keinesfalls entgegen. Vielmehr ist das Sozietätsverbot als solches dem erklärten, im Allgemeininteresse gelegenen Ziel, zuträglich. Einen Verstoß gegen das Kohärenzgebot würde vielmehr ein niedrigeres Schutzniveau für Ärztinnen und Apothekerinnen im Unterschied zu jenem, welches die Bestimmungen der BRAO a.F. für die anderen Freien Berufe festgelegt hatte, begründen. Salopp formuliert wäre ein „laxerer Umgang“ mit Ärztinnen und Apothekerinnen im Kontext von Berufsausübungsgesellschaften gemeinsam mit Rechtsanwälten nach der BRAO a.F. möglich gewesen, würde dieses die Kohärenz des nationalen Regelungssystems in seiner Gesamtheit unterminieren, da das niedrigere Schutzniveau (für Berufsausübungsgesellschaften zwischen Rechtsanwälten einerseits und Apothekerinnen oder Arztinnen andererseits) dem erklärten Ziel zuwiderliefe. Bei der strengeren Handhabe von manchen Freien Berufen ist das jedoch gerade nicht der Fall. Wie angedeutet, ändert daran auch der Beschluss des BVerfG nichts, hat dieses das Sozietätsverbot nämlich nach Maßgabe seiner Verhältnismäßigkeit als Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit geprüft und ist eine Grundrechtsprüfung nach Maßgabe verfassungsrechtlicher Bestimmungen dem Wesen nach etwas Anderes als die Kohärenzprüfung eines an sich gerechtfertigten und verhältnismäßigen Eingriffs in die EU-Grundfreiheiten. Für vorgenannte Argumentation spricht zudem die Judikatur des EuGH selbst. So hat der Gerichtshof z.B. im Bereich Glücksspiel festgehalten, dass der Umstand, dass bei verschiedenen Arten von Glücksspielen einige einem staatlichen Monopol unterliegen und andere nicht (und damit privaten Anbietern offenstehen) nicht per seals unzulässig betrachtet werden können.50 50 EuGH, Urt. v. 8.9.2010 – Rs. C-316/07, Stoß, ECLI:EU:C:2010:504 Rn. 96; Schuster, Das Kohärenzprinzip, S. 82 m.w.N. und insb. die dort angeführten weiteren Bspe. der Rspr. Auch weist der EuGH darauf hin, dass die Beurteilung der Kohärenz im Ergebnis anders ausfallen könnte, würden Spielarten mit höherem Suchtpotenzial weniger strengenRegelungen unterliegen.51 51 Schuster, Das Kohärenzprinzip, S. 82 m.w.N. Mit anderen Worten wäre eine Regelung wohl als nicht kohärent anzusehen, sofern diese den Schutzstandard für Spielarten mit höherem Suchtpotenzial herabsetzte. Dies letztlich, weil die Erreichung des erklärten Gesamtziels (i.e. Gesundheitsschutz) inkonsequent i.S.v. inkohärent verfolgt und damit letztlich unterminiert würde. Dieses vom EuGH angeführte Beispiel entspricht, übertragen auf den verfahrensgegenständlichen Sachverhalt, im Wesensgehalt und dem Grunde nach jenem hypothetischen Beispielfall wonach für Ärztinnen und Apothekerinne eine weniger strenge Regelung gelte. Im Fall von strengeren Regelungen – wie im streitgegenständlichen Sachverhalt der Fall – kommt es jedoch zu keiner Vereitelung der Zielerreichung, weshalb dem Kohärenzgebot im Ergebnis entsprochen wird. Darüber hinaus spricht die, in der jüngeren Rspr. sich abzeichnende Entwicklung allgemein für ein maßvolles Verständnis des EuGH welches das Kohärenzkriterium als Widersprüchlichkeitskriterium (im Unterschied zu BRAK-MITTEILUNGEN 3/2024 AUFSÄTZE 138

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