BRAK-Mitteilungen 3/2024

gem. § 31a VI BRAO seit dem 1.1.2018 verpflichtet, die für dessen Nutzung erforderlichen technischen Einrichtungen vorzuhalten sowie Zustellungen und den Zugang von Mitteilungen über das besondere elektronische Anwaltspostfach zur Kenntnis zu nehmen (passive Nutzungspflicht). Mit Wirkung ab dem 1.1.2022 sind gem. § 130d I 1 ZPO vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln (aktive Nutzungspflicht). Die Verletzung der passiven Nutzungspflicht wird als Verletzung einer Berufspflicht nach § 43 BRAO angesehen und unterliegt nach gefestigter Rechtsprechung der Ahndung durch eine anwaltsgerichtliche Maßnahme gem. § 113 I BRAO.1 1 AGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 21.4.2023 – 2 AGH 10/22. In der Regel werden für solche Verstöße Verweise in Verbindung mit einer Geldbuße nach § 114 I Nr. 2 und 3 BRAO ausgesprochen, wobei sogar Geldbußen bis 3.000 Euro auferlegt wurden.2 2 AnwG Nürnberg, Urt. v. 31.1.2020 – AnwG I 19/19: 3.000 Euro; AGH NordrheinWestfalen, Urt. v. 21.4.2023 – 2 AGH 10/22: 1.500 Euro. Umso erstaunlicher ist, dass Rechtsanwälte trotz einer solchen Verurteilung noch immer nicht die technischen Voraussetzungen für die Nutzung ihres beA geschaffen haben und es deshalb zu erneuten Verfahren vor den Anwaltsgerichten kommt. Dabei stellt sich die Frage, ob und unter welchen Umständen eine erneute Verurteilung erfolgen darf oder Art. 106 III GG (ne bis in idem) dem entgegensteht. II. ERNEUTE BESTRAFUNG BEI UNTERLASSUNGSDAUERDELIKT Die Pflichtverletzung nach §§ 43, 31a VI BRAO besteht in einem bis zur Erfüllung der Pflicht dauernden Unterlassen, sie ist in der strafrechtlichen Terminologie als Unterlassungsdauerdelikt anzusehen.3 3 OLG Frankfurt, Beschl. v. 25.7.2008 – 1 Ss 407/07 Rn. 3, juris. Nach einer inzwischen überholten allgemeinen Meinung in Rechtsprechung und Literatur bewirkte eine Verurteilung wegen eines Unterlassungsdauerdelikts eine Zäsur, durch die die Tat vollendet sei mit der Folge, dass die weitere Tatbegehung nach der Vorverurteilung grundsätzlich als selbstständig strafwürdig angesehen wurde.4 4 Vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 25.7.2008 – 1 Ss 407/07 Rn. 3 juris. Dem ist das BVerfG im Beschluss vom 27.12. 2006 (2 BvR 1895/05) entgegengetreten. Grund der Bestrafung sei dann nämlich nicht die individuelle Schuld, sondern die von Zufälligkeiten abhängige Geschwindigkeit der Strafverfolgung, die zur Konstruktion von Zäsurwirkungen führe.5 5 OLG Frankfurt, Beschl. v. 25.7.2008 – 1 Ss 407/07 Rn. 30 juris. Der Täter werde nicht wegen der individuellen Schuld, sondern wegen seines gegenüber den Strafverfolgungsbehörden gezeigten Ungehorsams bestraft.6 6 OLG Frankfurt, Beschl. v. 25.7.2008 – 1 Ss 407/07 Rn 33 juris. Gleichwohl hat das BVerfG im Beschluss vom 23.9. 20147 7 BVerfG, Beschl. v. 23.9.2014 – 2 BvR 254/12. eine erneute Bestrafung bei einem Unterlassungsdauerdelikt nicht generell für unzulässig erklärt. Der ersten Verurteilung komme durchaus eine Abgrenzungsfunktion zu. Fasse der Verurteilte einen „neuen, vom dem ersten qualitativ verschiedenen, weil die erste Verurteilung außer Acht lassenden Tatentschluss“, bleibe eine zweite Verurteilung möglich. Unter dieser Voraussetzung könne auch der gesteigerte Ungehorsam, der in der neuerlichen Missachtung der Rechtsordnung zum Ausdruck komme, auf der Ebene der Strafzumessung berücksichtigt werden, ohne dass der zweiten Verurteilung allein deswegen eine mit dem Schuldprinzip nicht zu vereinbarende Beugewirkung zukomme.8 8 BVerfG, Beschl. v. 23.9.2014 – 2 BvR 254/12 Rn. 13. Der Niedersächsische AGH forderte als Voraussetzungen einer erneuten Verurteilung wegen eines pflichtwidrigen Unterlassens, es müsse erkennbar sein, dass der Rechtsanwalt einen neuen, selbstständig zu betrachtenden Tatentschluss gefasst habe, der durch eine nach außen erkennbare Handlung dokumentiert werde.9 9 Niedersächsischer AGH, Beschl. v. 14.8.2018 – AGH 2/18 Rn. 16 juris. Dies geht zu weit. Da das Verhalten des Betroffenen weiterhin in dem identischen Nichtstun besteht, wird es an einer nach außen erkennbaren Handlung fehlen. Wie kann dann aber ein neuer Tatentschluss festgestellt werden? Die Rechtsprechung behilft sich damit, einen neuen Tatentschluss aus einem fortdauernden Unterlassen trotz neuer Umstände zu folgern. Der BGH spricht hier von „wiederholten Verhaltensapellen“, die dem Betroffenen die „situativ zu treffende Willensentscheidung zum Untätigbleiben stets aufs Neue abverlangen.“10 10 BGH, Beschl. v. 28.6.2022 – 6 StR 241/22 unter Hinweis auf BGH, Beschl. v. 27.10. 1999 – 2 StR 451/99 Rn. 4. In diesem Sinne hat das BVerfG im Beschluss vom 23.9. 2014 eine erneute Bestrafung zugelassen in einem Fall, in dem ein Ausländer nach mehrfachen schriftlichen Aufforderungen der Ausländerbehörde, trotz eindringlicher Aufforderung zur Mitwirkung an der Identitätsfeststellung und der Belehrung über eine mögliche Strafbarkeit weiterhin untätig blieb. Das BVerfG argumentierte, der Beschwerdeführer habe einen neuen Entschluss darüber fassen müssen, ob er an seiner Verweigerungshaltung festhalte. Indem er sich – vor diese Wahl gestellt – dazu entschlossen habe, die Mitwirkung bei der Identitätsfeststellung weiter zu unterlassen, habe er erneut strafwürdiges Unrecht verwirklicht.11 11 A.a.O. Rn. 17 juris. In einem vom LG Landshut entschiedenen Fall hatte die zuständige Ausländerbehörde den angeklagten Ausländer nach einer vorausgegangenen Verurteilung wegen unerlaubten (es fehlte ein Pass) Aufenthalts erneut auf seine Passpflicht hingewiesen und zur Erlangung eines solchen mit fünf Schreiben aufgefordert. Unter eingehender Auseinandersetzung mit dem Beschluss des BVerfG 2 BvR 1895/05 argumentierte die Strafkammer wie folgt: Wenn sich der Angeklagte trotz dieser AufforKAHLERT, WIEDERHOLTE ANWALTSGERICHTLICHE MASSNAHMEN BEI UNTERLASSENER PASSIVER NUTZUNG DES BEA BRAK-MITTEILUNGEN 3/2024 AUFSÄTZE 140

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