BRAK-Mitteilungen 3/2024

schnell gezogen wird, indem die Feststellungen des EuGH zu dem dort zu beurteilenden Fall unkritisch auf die deutsche Rechtslage übertragen werden. Was hat der EuGH also tatsächlich geurteilt und was kann auf das deutsche Recht übertragen werden? a) VERBRAUCHERSCHUTZ Das Urteil bezieht sich auf die Auslegung der Richtlinie 93/13.4 4 Richtlinie 93/13/EWG des Rates v. 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, 29) in der durch die Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.10.2011 (ABl. 2011, L 304, 64) geänderten Fassung. Dabei handelt es sich ausdrücklich um eine Regelung von Verträgen zwischen Gewerbetreibenden (hierzu gehören i.S.d. europäischen Vorschrift auch die Angehörigen der freien Berufe) und Verbrauchern.5 5 Zur besseren Lesbarkeit habe ich darauf verzichtet zu gendern, selbstverständlich sollen hierdurch bei der Verwendung der männlichen Form die jeweiligen Personen anderer Geschlechter miterfasst werden. Der Schutzbereich der Vorschrift erfasst daher nicht Verträge von Rechtsanwälten mit anderen Gewerbetreibenden, sondern ausschließlich Vereinbarungen zwischen Rechtsanwälten und Verbrauchern. In der Literatur6 6 Vgl. Graf von Westphalen, ZIP 2023, 2177, 2185. wird darauf hingewiesen, dass nach aktueller Rechtsprechung die AGB-Vorschriften bei Verträgen mit Verbrauchern und mit Gewerbetreibenden im Gleichklang ausgelegt werden. Es ist aber nicht zwingend, dass dieser Gleichklang erhalten bleiben muss, wenn das europäische Verbraucherrecht ein höheres Schutzniveau fordern sollte. b) TRANSPARENZ Art. 4 II der Richtlinie fordert, dass Vertragsklauseln klar und deutlich abgefasst, also transparent sein müssen. Es ist daher zunächst festzustellen, ob die Zeithonorarklausel transparent ist. Der EuGH stellt dazu fest, dass eine Intransparenz gegeben ist, wenn dem Verbraucher vor Vertragsabschluss nicht die Informationen gegeben worden sind, die ihn in die Lage versetzt hätten, seine Entscheidung „mit Bedacht und in voller Kenntnis der wirtschaftlichen Folgen des Vertragsabschlusses zu treffen.“7 7 Rn. 45 der Entscheidung. Dies ist jedoch nicht generell zu bewerten, sondern in einer Gesamtwürdigung des konkreten Falles.8 8 Rn. 38 und 47 der Entscheidung. Der EuGH nennt dazu Beispiele von Informationen, die dem Mandanten zu einer solchen Entscheidungsmöglichkeit verhelfen können, etwa die Angabe eines mindestens anfallenden Stundenkontingents, mit dem der Fall bearbeitet werden könnte, oder die Vereinbarung frühzeitiger Abrechnungen über Leistungszeiten in kurzen Abständen. c) MISSBRÄUCHLICHKEIT Der EuGH konstatiert in diesem Zusammenhang, dass es auch für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte nicht wirklich beurteilbar und steuerbar ist, wie die Vergütungshöhe am Ende ausfallen wird. Schließlich hängt der Tätigkeitsumfang von vielen Umständen ab: der Leistungsanforderung durch den Mandanten selbst, dem Verhalten des Gegners oder von Dritten, sowie von anderen, nicht kalkulierbaren Umständen.9 9 Rn. 41 ff. der Entscheidung; EuGH, Urt. v. 9.7.2020 – C-452/18. Der EuGH fordert deshalb nur ein gesteigertes Bemühen, unter Berücksichtigung „der Gesichtspunkte ... über die der Gewerbetreibende [die Rechtsanwältin bzw. der Rechtsanwalt, Anm. d. Autors] zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ... verfügte“10 10 Rn. 42 der Entscheidung. Transparenz herzustellen. Wie das zu geschehen hat, hat der EuGH nicht abschließend beurteilt, sondern der Auslegung durch die nationalen Gerichte überlassen. Nur beispielhaft nennt der EuGH eine Vorabschätzung des Mindeststundenaufwands und eine Verpflichtung, zeitnah über die geleisteten Stunden zu informieren.11 11 Rn. 44 der Entscheidung. Hierbei handelt es sich offensichtlich nur um Beispiele für ein nach Treu und Glauben zu forderndes Verhalten; der EuGH weist ausdrücklich darauf hin, dass die nationalen Gerichte „unter Berücksichtigung aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände“ zu beurteilen haben, ob dem Verbraucher eine seinen Interessen gerechte Entscheidung möglich gemacht worden ist. Auch wenn die Intransparenz besteht, ist sie jedenfalls nicht missbräuchlich herbeigeführt, wenn die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt in diesem Sinne bemüht gewesen ist, dem Verbraucher die ihr bzw. ihm mögliche Aufklärung zukommen zu lassen. Schließlich bezweckt der Missbrauchsschutz das Beseitigen von Informationsasymmetrien zwischen Rechtsanwalt und Mandant.12 12 So auch Kilian, Transparenzgebot bei Zeitaufwandsklausel im Anwaltsvertrag, Beck-online v. 20.2.2024. Im konkreten, vom EuGH zu beurteilenden Fall fehlten in der Vereinbarung sowohl eine Angabe eines zu erwartenden Mindeststundenaufwands als auch eine Vereinbarung über zeitnahe Stundennachweise oder -abrechnungen. Auch auf andere Weise war nicht dafür gesorgt, dass der Mandant seine Entscheidung für den Abschluss der Vergütungsvereinbarung mit dem erforderlichen Wissen treffen konnte. d) STAATLICHES SCHUTZNIVEAU Eine fehlende Transparenz allein führt jedoch nicht bereits automatisch zur Unwirksamkeit der Vereinbarung. Bei der Bewertung des Falles ist vielmehr auch das jeweilige staatliche Schutzniveau zu berücksichtigen.13 13 Rn. 49 der Entscheidung. Die Richtlinie stellt eine Mindestanforderung für die Transparenz und ihre Auswirkungen auf. Der jeweilige BRAK-MITTEILUNGEN 3/2024 AUFSÄTZE 142

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