BRAK MITTEILUNGEN OKTOBER 2024 · AUSGABE 4/2024 55. JAHRGANG AKZENTE WIR VERTRETEN DAS RECHT, NICHT TATEN! Dr. Ulrich Wessels Liebe Kolleginnen und Kollegen, Hand auf‘s Herz: Wie sicher ist Ihre Kanzlei? Wie gut sind Sie und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgestellt, wenn es um Drohbriefe, telefonische Belästigungen oder gar zerschlagene Fenster geht? Wissen Sie, wie Sie sich in solchen Fällen schützen und wo Sie Rat suchen können? Das klingt übertrieben? Leider nicht! Einige Kolleginnen und Kollegen müssen sich derzeit verstärkt mit genau diesen Fragen befassen – anstatt ihrer eigentlichen anwaltlichen Tätigkeit nachzugehen, und auch, um ihr weiter ungestört nachgehen zu können. Hintergrund ist das Attentat in Solingen Ende August, bei dem ein ausreisepflichtiger, abgelehnter Asylbewerber drei Menschen tötete und mehrere weitere schwer verletzte. Danach berichtete unter anderem die BILD über die Dresdener Anwältin, die den Attentäter ein Jahr zuvor im Asylverfahren vertreten hatte. Auf reißerische Art und Weise wird dort suggeriert, sie habe bewusst seine Ausweisung vereitelt und seine Tat unterstützt. Zudem wird unterstellt, Tausende von fragwürdigen „Asylanwälten“ würden gezielt nach Lücken im Asylsystem suchen und daraus Profit schlagen. In weiteren Medienberichten wurde sogar der Name der Kollegin veröffentlicht. Die Folge: Rechtsextremisten demonstrierten vor der Kanzlei der Kollegin. Sie wird auf allen möglichen Kanälen beschimpft und bedroht. Auch völlig unbeteiligte Anwältinnen und Anwälte, die im Migrationsrecht tätig sind, erleben derzeit bundesweit eine Welle von Hass. Ein Mitglied unseres BRAKAusschusses Migrationsrecht hatte beispielsweise in einem Beitrag im Focus den Rechtsschutz und die anwaltliche Tätigkeit in Asylverfahren erläutert – ich empfehle nicht, die Kommentare unter diesem Beitrag zu lesen! Sie offenbaren ein grundlegendes Unverständnis unseres Rechtsstaats und manche drehen einem wahrlich den Magen um: „Einfach regelmäßig die Namen nennen, dann löst sich das Problem von selbst“, heißt es da unter anderem. Im Klartext wird hier dazu aufgerufen, Feindeslisten von Migrationsrechts-Anwältinnen und -Anwälten zu erstellen – eine kaum verhohlene Drohung. Die BRAK hat, ebenso wie viele andere anwaltliche und richterliche Organisationen, die hetzerische Berichterstattung scharf kritisiert: Die Aufgabe, die eine Anwältin als Organ der Rechtspflege wahrgenommen hat, zu einem Akt der Beteiligung hochzustilisieren, ist nicht nur sachlich falsch, es ist hochgradig unethisch. Schlimmer noch, durch die identifizierende Berichterstattung wurde bewusst die Gefährdung der Dresdener Kollegin in Kauf genommen. Völlig ausgeblendet wird dabei, was der Kern unseres Rechtsstaats ist: Dass jede und jeder sich in Rechtsangelegenheiten anwaltlicher Hilfe bedienen kann und dass staatliche Maßnahmen gerichtlich überprüft werden können. Dabei vertreten wir Anwältinnen und Anwälte als Organe der Rechtspflege die rechtlichen Interessen unserer Mandantinnen und Mandanten – nicht etwa ihre Meinungen oder Taten. Das sollte eigentlich allen klar sein; und wo es das nicht ist, müssen wir es klarstellen! Die Kollegin in Dresden erhält inzwischen nicht nur Polizeischutz. Sie setzt sich auch strafrechtlich und, mit ersten Erfolgen, presserechtlich zur Wehr und erhält Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen und von der Rechtsanwaltskammer Sachsen. Ihr Fall zeigt, wie wichtig es ist, dass wir als Anwältinnen und Anwälte zusammenstehen, wenn eine von uns angegriffen wird, weil sie einfach ihren Job gemacht hat. Und dass wir uns laut und deutlich gegen solche Bedrohungen stellen. Ihr Dr. Ulrich Wessels PS: Sollten Sie selbst solche Bedrohungen erfahren, behalten Sie das nicht für sich! Sprechen Sie darüber, mit ihrem privaten Umfeld, mit den Mitarbeitenden in ihrer Kanzlei, mit Kolleginnen und Kollegen, mit Ihrer Kammer. Weitere Hinweise zum Umgang mit Bedrohungssituationen geben BRAK-Vizepräsidentin Sabine Fuhrmann und Migrationsrechtlerin Dr. Kati Lang im Podcast der BRAK. AKZENTE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2024 187
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