BRAK-Mitteilungen 4/2024

I. CHRISTIAN KIRCHBERG UND DIE AMTSDAUER Wenn wir an bedeutende Menschen denken, dann haben sie oft ein Amt sehr lange ausgeübt. – Konrad Adenauer: 14 Jahre Bundeskanzler, – Helmut Kohl: 16 Jahre Bundeskanzler, – Angela Merkel: 16 Jahre Bundeskanzlerin und noch ein paar Tage mehr. Christian Kirchberg, die steckst Du alle locker in die Tasche. Du warst sagenhafte 33 Jahre Vorsitzender des Verfassungsrechtsausschusses. Du warst also länger in der Spitzenposition als Angela Merkel und Helmut Kohl zusammen. Da kann nicht einmal der alte Bismarck mithalten. Der hat es zwischen 1871 und 1890 auf 19 Jahre Amtszeit als Reichskanzler gebracht. Selbst wenn man noch die Zeit als preußischer Ministerpräsident dazuzählt, sind es trotzdem nicht mehr als 28 Jahre. Und damit es politisch ausgewogener wird, schauen wir auch noch auf die SPD. Deren Kanzler hatten ja kurze Amtszeiten. Nimmt man alle von der SPD gestellten Bundeskanzler zusammen, also Willy Brandt, Helmut Schmidt, Gerhard Schröder und Olaf Scholz, so kommt man auch nur auf 24 Jahre – falls Olaf Scholz bis 2025 durchhält. 33 Jahre sind eine enorme Zeit. Vorsitzender ist ja ein Wahlamt. Da muss man alle vier Jahre bestätigt werden. Das setzt Zweierlei voraus: Erstens muss man es inhaltlich gut machen. Und zweitens muss man viel Ausdauer mitbringen. Beides trifft auf Dich zu. Die Ausdauer passt ja auch gut zu Deinen Aktivitäten als leidenschaftlicher Radfahrer. II. CHRISTIAN KIRCHBERG UND „DIE STIMME DER ANWALTSCHAFT“ Werfen wir gemeinsam einen Blick auf das offizielle Thema des Vortrags. Die genaue Formulierung lautet: „Die Stimme der Anwaltschaft vor dem Bundesverfassungsgericht als Sachverständiger des Rechtsstaats“. Das meint natürlich Deine Tätigkeit als Vorsitzender des Verfassungsrechtsausschusses.1 1 Vgl. dazu schon Lenz, Der Verfassungsrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer und sein Vorsitzender, in Hermann/Krämer (Hrsg.), Festschrift für Christian Kirchberg zum 70. Geburtstag am 5. September 2017, S. 127–142. Das Thema enthält aber auch einige interessante, durch Auslegung zu ermittelnde Erkenntnisse. Die erste Erkenntnis besteht darin, dass der Vorsitzende des Verfassungsrechtsausschuss die Stimme der Anwaltschaft ist oder es jedenfalls sein kann. Das ist bezogen auf Dich eine kluge Erkenntnis. Denn jedenfalls in verfassungsrechtlichen Themen warst Du die Stimme, die die Position der Anwaltschaft formuliert hat. Die BRAK darf auch beanspruchen, für die Anwaltschaft zu sprechen. Und zwar für die ganze Anwaltschaft. Denn ihr gehören alle Anwältinnen und Anwälte in Deutschland an. Andere Organisationen sprechen auch für Anwälte. Aber eben nicht für alle – kleiner Seitenhieb. Wichtiger ist aber die zweite im Thema verborgene Erkenntnis. Nämlich die Aussage zum Verhältnis von Verfassungsrechtsausschuss und Präsidium der BRAK. Der Verfassungsrechtsausschuss ist ein Ausschuss des Präsidiums nach § 7 der BRAK-Satzung. Deshalb verbindet ihn eine unsichtbare Nabelschnur mit dem Präsidium. Der Ausschuss erstattet ja vor allen Dingen Gutachten nach § 177 II Nr. 5 BRAO. Das hat er unter Deinem Vorsitz unendlich oft gemacht. Hat der Ausschuss ein Gutachten erstellt, dann findet noch eine Beteiligung des BRAK-Präsidiums statt. Es wird dessen Billigung eingeholt. Richtigerweise handelt es sich aber lediglich um die Vergewisserung, dass kein grundlegender Widerspruch erfolgt. In den letzten 25 Jahren hat es nur einen einzigen Fall gegeben, in dem das Präsidium von einem Votum Deines Ausschusses abweichen wollte und dann auch abgewichen ist. Damals ging es um die Frage der Mandatsniederlegungspflicht bei einem Sozietätswechsel: Kann eine Anwaltssozietät von der Rechtsanwaltskammer verpflichtet werden, bei Aufnahme eines Sozietätswechslers sämtliche Mandate niederzulegen, bei denen die alte Sozietät des Wechslers auf der Gegenseite stand – und zwar ganz unabhängig davon, ob der Wechsler diese Mandate in seiner alten Kanzlei bearbeitet hat? Christian Kirchberg erinnert sich sicher – und Sie ahnen es: Das war natürlich verfassungswidrig.2 2 BVerfGE 108, 150; dazu Kirchberg, BRAK-Mitt. 2003, 236 ff. So wollte der Ausschuss auch votieren. Aber die Mehrheit des Präsidiums wollte lieber für den Status quo kämpfen. Das ging natürlich schlecht aus. Hinterher war es allen peinlich. In Wirklichkeit war es aber nützlich: Seither hat das Präsidium jedes Votum gebilligt. Das lag nicht nur an der Güte der Arbeit des Ausschusses unter dem Vorsitz von Christian Kirchberg. Das war sicher auch Ausdruck einer schlauen Zurückhaltung des Präsidiums. Sie darf gerne auch in Zukunft weiter anhalten. III. CHRISTIAN KIRCHBERG UND „WIE WIRD MAN VORSITZENDER“ Das führt zu der Frage, wie man eigentlich Vorsitzender des Verfassungsrechtsausschuss wird. Im Fall von Christian Kirchberg lief das bemerkenswert ab. Für Dich begann alles damit, dass Du am 24.1.1990 einen Brief an den damaligen Hauptgeschäftsführer der BRAK schriebst und darin das Amt annahmst. Ich zitiere kurz aus Deinem Brief: LENZ, DIE STIMME DER ANWALTSCHAFT VOR DEM BVERFG ALS SACHVERSTÄNDIGER DES RECHTSSTAATS AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2024 189

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