findenden Auffassungen. Deshalb sind auch gespaltene Stellungnahmen der BRAK hilfreich. Das ist uns in vielen Gesprächen von Richterinnen und Richtern des BVerfG immer wieder gesagt worden. Denn dann können einzelne Mitglieder des Senats oder der ganze Senat aus diesem Umstand der unterschiedlichen Sichtweisen in der Anwaltschaft ein Argument für die Lösung des Falls ableiten. Oft erwarten die Verfassungsrichterinnen und -richter auch Angaben zur rechtstatsächlichen Situation. Das überfordert aber meist die Sachkunde von uns Ausschussmitgliedern. Wir können mehr zum einfachen Recht sagen. Auch zu den verfassungsrechtlichen Maßstäben – und wie man sie weiterentwickeln sollte. Und natürlich zur Beurteilung des einfachen Rechts am Maßstab des Verfassungsrechts. Das können die Verfassungsrichterinnen und -richter natürlich auch selbst. Aber wir sind ja berufsmäßige Besserwisser. V. CHRISTIAN KIRCHBERG ALS DOMPTEUR – DIE INNEREN ABLÄUFE Wie arbeitet aber jetzt der Verfassungsrechtsausschuss? Wie entstehen seine Stellungnahmen? Das hat Christian Kirchberg so ähnlich organisiert wie beim BVerfG selbst. Es gibt also für jede uns vom BVerfG zugestellte Sache einen Berichterstatter. Das ist immer ein Ausschussmitglied. Der Berichterstatter legt ein schriftliches Votum vor, welches dann beraten wird. Meist geschieht das per E-Mail, in bedeutenden Sachen aber auch in einer Präsenzsitzung. Also so wie bei einem kleinen BVerfG. Lieber Christian Kirchberg, dabei warst Du, als Vorsitzender, in der Rolle des Dompteurs der Berichterstatter. Du hast auf die zeitnahe Erstellung der Voten und auf deren Qualität geachtet – teils mit Zuckerbrot, teils auch unter Hinweis auf die Peitsche. Anwältinnen und Anwälte müssen ja immer gedrängt werden. Ohne Frist geht gar nichts. Und prüfen muss man ihre Arbeit auch. Das bedeutet einen enormen Aufwand für den Vorsitzenden. Er ist eigentlich in jedem Fall Mitberichterstatter. Deshalb war es völlig konsequent, dass Du, lieber Christian Kirchberg, kaum eigene Berichterstattungen übernommen hast. Auch im Zirkus macht der Dompteur die Kunststücke ja nicht selbst. Oder nur in Ausnahmefällen. VI. CHRISTIAN KIRCHBERG UND DIE MITGLIEDER DES AUSSCHUSSES Heutzutage hat der Vorsitzende keinen großen Einfluss auf die Zusammensetzung des Ausschusses. Das war 1990 ganz anders. Du hast Dir durch entsprechende Hinweise ein Team zusammengestellt, das sehr lange zusammengeblieben ist. Bis zuletzt – also ebenfalls über 33 Jahre – an Deiner Seite waren Michael Uechtritz von Gleiss und Wolfgang Kuhla von Raue. Beide sind mit dir ausgeschieden. Christian Bracher von Redeker macht zum Glück noch weiter. Michael Quaas hat Dich fast die ganze Zeit begleitet. Bernhard Stüer kam später dazu und lebt leider nicht mehr. Ich selbst bin vor 20 Jahren in den Ausschuss berufen worden. Da war ich 37 – also mit Abstand das jüngste Mitglied. Und das bin ich auch lange geblieben. Lieber Christian Kirchberg, Du hast mir und allen anderen später Hinzugekommenen das Gefühl gegeben, wir seien schon immer Teil Deines Ausschusses gewesen. Das war wunderbar. Hat die BRAK also personell alles richtig gemacht? Natürlich nicht. Woran fehlt es? An Anwältinnen. Da ist uns der DAV voraus. Er hat viel mehr qualifizierte Frauen für seinen Verfassungsrechtsausschuss gewonnen. Hier müssen die Kammern aufholen und die Augen aufmachen. Einen Platz haben wir ja aktuell noch frei.4 4 Zwischenzeitlich konnte dieser freie „Berliner“ Platz mit Rechtsanwältin Dr. Yasemin Jüngling aus dem Berliner Büro der Kanzlei Hengeler Mueller besetzt werden, weil das BRAK-Präsidium unter dem Vorsitz seines Präsidenten Dr. Ulrich Wessels und der Vorstand der Rechtsanwaltskammer Berlin unter seiner Präsidentin Dr. Vera Hofmann schnell auf die freundschaftliche Kritik des Verfassers am 11.4.2024 reagiert haben. Natürlich bleibt eine noch stärkere Beteiligung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten im Verfassungsrechtsausschuss wünschenswert. Umso glücklicher sind wir, dass wir mit Katharina Wild eine schlaue Anwältin aus München an Bord haben. Noch dabei aus Deinem alten Ausschuss sind neben Christian Bracher auch Gerhard Strate, Michael Moeskes, Karsten Fehn und Markus Groß. Neu sind Marc Ruttloff und Patrick Heinemann. Auch Euch allen vielen Dank für die schon geleistete und noch anstehende Arbeit. VII. CHRISTIAN KIRCHBERG UND DER EINFLUSS AUF DAS BUNDESVERFASSUNGSGERICHT Und was kommt bei der ganzen Ausschussarbeit heraus? Zunächst einmal sehr viele Stellungnahmen. In Deiner langen Amtszeit, Christian Kirchberg, über 200 allein gegenüber dem BVerfG. Die Stellungnahmen aus neuerer Zeit sind abrufbar unter www.brak.de/die-brak /ausschuesse/ausschuss-verfassungsrecht/. Bestellt hatte sie überwiegend der Erste Senat.5 5 Vgl. die Auswertung des Zeitraums 2006 bis 2012 bei Lenz, Der Verfassungsrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer und sein Vorsitzender, in Hermann/Krämer (Hrsg.), Festschrift für Christian Kirchberg zum 70. Geburtstag am 5. September 2017, 127 (135 f.). Erst in den letzten sechs Jahren häufen sich die Zustellungen des Zweiten Senats, oft zu steuerlichen Themen wie dem Solidaritätszuschlag.6 6 Vgl. dazu die Stellungnahme des Verfassungsrechtsausschuss v. 6.3.2024, die zu dem Ergebnis kommt, dass die Erhebung des Zuschlags ab dem Jahr 2020 verfassungswidrig ist. S. dazu BRAK-Stn. Nr. 13/2024. Was macht das BVerfG dann mit unseren Stellungnahmen? Das wissen wir nicht so genau. Immer wieder haben uns die Präsidenten und Präsidentinnen gesagt, das werde alles sehr genau gelesen und erwogen. Und AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2024 191
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