liches Gehör, faires Verfahren, EGMR, EuGrCh oder Art. 103 GG, findet man in der gesamten Begründung des DAV-Vorschlags keinen einzigen Treffer. Die Binnenperspektive des Unternehmens Anwaltskanzlei nimmt auch die Regierungsbegründung des Gesetzentwurfs zur Neuregelung der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften ein.16 16 BT-Drs. 19/27670. Zwar spricht der Gesetzentwurf das RVG an, aber nur soweit bestimmte technische Änderungen vorzunehmen waren. Alle anderen Stichworte sind gleichfalls nicht aufzufinden. Das Grundgesetz wird nur unter dem Blickwinkel der Berufsfreiheit angesprochen.17 17 BT-Drs. 19/27670, 345, 346. Und unter dem Stichwort „Zugang zum Recht“ findet man nur Überlegungen zum Zugang zum Rechtsberatungsmarkt.18 18 BT-Drs. 19/27670, 264. Im Kern diskutiert der Entwurf die Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechts nur aus der Binnenperspektive des Unternehmens Rechtsanwaltskanzlei, nicht jedoch aus der Außenperspektive derjenigen, welche auf die Unterstützung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte angewiesen sind, um ihr Recht verwirklichen zu können. Die Frage, wie sich die Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechts auf die den Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten anvertraute grundlegende Aufgabe in einer Demokratie, nämlich die Verteidigung der Rechtsunterworfenen, um die Formulierung des EuGH zu benutzen,19 19 EuGH, Urt. v. 8.12.2022 – C-694/20 (Orde van Vlaamse Balies) Rn. 28, BRAK-Mitt. 2023, 40 Ls. auswirkt, wurde nicht diskutiert.20 20 Hierzu bereits die Kritik von Wolf, BRAK-Mitt. 2018, 162 und Wolf/Gerking, BRAKMitt. 2020, 185 ff. Sicherlich überschneiden sich die beiden Entwicklungsstränge teilweise. Müsste der Rechtsanwalt in einem Strafprozess über die Gespräche mit seinem Mandanten aussagen und stünde ihm kein Zeugnisverweigerungsrecht zur Seite, wäre die Grundlage seiner wirtschaftlichen Tätigkeit als Strafverteidiger berührt. Primär geht es aber um den Schutz des Mandanten, sich rückhaltlos seinem Verteidiger anvertrauen zu können.21 21 Aus strafprozessualer Sicht nur Kreicker, in MüKo/StPO, 2. Aufl., 2023, § 53 StPO Rn. 1. Beide Stränge laufen aber nicht nur parallel, sondern widersprechen sich auch immer wieder. Begreift man Anwaltsrecht in Anlehnung an die Definition des Wirtschaftsrechts vonSteindroff22 22 Steindorff, Einführung in das Wirtschaftsrecht der BRD, 2. Aufl., 1985, 4 f. als diejenigen rechtlichen Regelungen, welche die Tätigkeit von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten gegen das natürliche Marktverhalten steuern, wird ein Konfliktpotenzial schnell sichtbar.23 23 Hierzu bereits Wolf, in Gaier/Wolf/Göcken, Einl. BRAO Rn. 57. Die Verschwiegenheitspflicht stellt sich für den Rechtsanwalt als eine echte Pflicht dar, wenn der Rechtsanwalt zu Werbezwecken seine Mandatslisten veröffentlichen will, der Mandant aber nicht will, dass er auf der Mandatsliste eines der renommiertesten Strafverteidiger der Republik erscheint. Nimmt so gesehen die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht an der über Art. 12 GG geschützten freien Advokatur teil, oder stellt nicht die Berufsverschwiegenheitspflicht eine Einschränkung der anwaltlichen Berufsfreiheit dar? Die Beispiele, in denen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in ihrer wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit eingeschränkt werden, lassen sich leicht erweitern. Lokalisationsprinzip und Singularzulassung schränkten sicherlich die Berufsfreiheit von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten ein. Gleiches galt für das Verbot des anwaltlichen Erfolgshonorars und gilt für die Kappungsgrenzen im RVG sowie die Streitwertbegrenzung nach § 48 GKG. Auch die Gebühren im sozialgerichtlichen Verfahren können hierzu gezählt werden. Gleichzeitig sind derartige Einschränkungen unter Umständen notwendig, um den Zugang zum Recht der Mandanten sicherzustellen. Allgemein fragt das BVerfG hier, ob sich die Einschränkung der Berufsfreiheit der Rechtsanwältin und des Rechtsanwalts aus vernünftigen Gründen des Gemeinwohls rechtfertigt.24 24 Statt vieler nur BVerfG, NJW 1991, 555. Aus meiner Sicht verschrubbelt dies die eigentlichen Wertungen oder lässt sie nicht deutlich genug hervortreten. 3. RECHTSFINDUNG ALS DIALOGISCHER PROZESS Die Berufsfreiheit des Rechtsanwalts muss mit dem Anspruch des Mandanten auf gleichen Zugang zum Recht, auf rechtliches Gehör, in Einklang gebracht werden. Das Grundgesetz adressiert zwar in Art. 103 GG das rechtliche Gehör, den zentralen Stellenwert des rechtlichen Gehörs für das „richtige Urteil“. Welche Auswirkungen dies aber auf die notwendige Organisation der Rechtsanwaltschaft und des Anwaltsmarktes haben muss, wird häufig genug vernachlässigt.25 25 Hierzu auch Crouch, Die bezifferte Welt, 2017, 186. Früh hat Adolf Arndt ausgeführt, dass die Feststellung des Rechts nicht etwas Vorgegebenes und jederzeit Gewisses ist. Recht sei nicht da, sondern ein immerwährendes Geschehen.26 26 Arndt, NJW 1959, 6, 7. Erst im Verfahren entfaltet sich die Rechtsfrage, welche eine Rechtserkenntnis ermöglicht. Es lohnt sich auch, die Kommentierung von Günter Dürig im Grundwerk des Maunz/Dürig zu Art. 3 GG nachzulesen: „Juristen aller Zeiten haben schon vor Hegel gewußt und praktiziert, daß der ,Prozeß‘ mit dem Ziel der Wahrheitsfindung, ein procedere von These, Antithese und Synthese ist und daß dieser dialogische Vorgang es nicht verträgt, wenn Thesen ohne Offenheit für argumentatives Denken als absolut gesetzt werden.“ Immer noch lehnt aber die herrschende Meinung ab, das rechtliche Gehör nach Art. 103 GG als rechtliches Gehör durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt zu lesen. Die Parteien können sich auch zu Rechtsfragen äußern, die Richterin bzw. der Richter müsse hierzu weder die Gelegenheit geben, noch sei sie/er verfassungsrechtlich zu einem Rechtsgespräch verpflichAUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2024 195
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