BRAK-Mitteilungen 4/2024

tion des Anwalts ‘im Dienste der Rechtspflege’ und ‘als der berufene Berater und Vertreter der Rechtssuchenden‘ konkretisiert“ hat. Anwälte und Anwältinnen haben eine Doppelstellung in dem Sinne inne, dass sie einerseits den individuellen Mandanten und andererseits die eigene Berufsausübung als Institution zu schützen verpflichtet sind.22 22 Müller/Schlothauer/Knauer, MAH Strafverteidigung, § 1 Rn. 78; dass dies nicht nur für Strafverteidiger, sondern für alle Rechtsanwälte gelten muss, Kirchberg, BRAKMitt. 2009, 95 (103). Eben dies umschreibt ihre rechtsstaatliche Rolle als Organe der Rechtspflege. Hieraus folgt, dass gerade die verfasste Anwaltschaft Anwaltliche Pflicht, Stellung zu beziehen auf Veränderungen, die unsere Verfassung und unseren Rechtsstaat bedrohen, reagieren und Stellung beziehen muss. Bereits in der Zeit der Gründung der Mitteilungen in den 1970er Jahren forderten vor allem die RAF-Terror-Verfahren oder auch die Anti-AKW-Proteste die Beständigkeit des Rechtsstaats heraus. In dem Beitrag „Der Rechtsanwalt in politischen Prozessen“ aus dem Jahr 1972 bezieht Heinrich Vigano, der zwei Jahre später Präsident der BRAK wurde, Stellung zu den erheblichen Vorwürfen, die im Zusammenhang mit dem Baader-Meinhof-Komplex gegen einzelne Anwälte erhoben wurden.23 23 BRAK-Mitt. 1972, 83 f. Der generalisiert erhobene Vorwurf des angeblichen Missbrauchs der Verteidigerrechte, der gegen einzelne Kollegen jedenfalls nicht grundlos erhoben worden sein mag, führte bekanntlich zu einer heftigen Debatte über die Einschränkung eben dieser Rechte. Vigano sprach sich dagegen aus, aufgrund von Verfehlungen Einzelner die Rechte Aller einzuschränken und appellierte stattdessen in seinem Beitrag an alle Anwälte, sich gegen eine Radikalisierung des Anwaltsberufs zu betätigen und sich in der verfassten Anwaltschaft zu engagieren, um so „jungen Kollegen die politische Spannweite und Freiheit der Anwaltschaft in einem freien rechtsstaatlichen System“ zu erhalten.24 24 BRAK Mitt. 1972, 83. Erwähnenswert sind hier auch die Beiträge zu der in 2003 eröffneten Ausstellung „Anwalt ohne Recht – Schicksale jüdischer Anwälte in Deutschland nach 1933“. Zahlreiche prominente Autorinnen und Autoren25 25 Etwa Wellensiek, BRAK-Mitt. 2003, 60; Thierse, BRAK-Mitt. 2003, 98; Dombek, BRAK-Mitt. 2003, 99; Kirchhof, BRAK-Mitt. 2003, 100; Schmidt, BRAK-Mitt. 2003, 100; Ladwig-Winters, BRAK-Mitt. 2003, 102; Schümann, BRAK-Mitt. 2004, 68. haben in ihren Beiträgen in den BRAK-Mitteilungen deutlich gemacht, dass aufkeimenden Gefährdungen des Rechtsstaats nicht früh genug begegnet werden kann. Axel Filges, ehemaliger Präsident der BRAK, hat in seiner Eröffnungsrede zur 120. Hauptversammlung der BRAK, die im Heft 3/2009 abgedruckt wurde, unter dem Titel „Unsere Verfassung“ oder „Glück gehabt?!“ anlässlich des bevorstehenden 60-jährigen Jubiläums des Grundgesetzes daran erinnert, welche Bedeutung die Verfassung für die Bundesrepublik und insbesondere uns Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und unsere Rolle in dieser Gesellschaft hat.26 26 BRAK-Mitt. 2009, 93. Marcus Mollnau, ehemaliger Präsident der Rechtsanwaltskammer Berlin, stellte in seinem Beitrag aus dem Jahr 2014: „Wann, wenn nicht jetzt? – Eine Rechtsanwaltskammer muss sich zur NSA-Affäre äußern!“27 27 BRAK-Mitt. 2014, 174, Verschriftlichung des Vortrags auf dem Symposion der BRAK „Wer hört mit? – Der NSA-Skandal und die anwaltliche Verschwiegenheit“ am 9.5.2014 in Berlin. klar, dass sich Rechtsanwaltskammern (und deren Organe) zu politischen Themen mit Rechtsstaatsbezug nicht nur äußern dürfen, sondern auch müssen.28 28 BRAK-Mitt. 2014, 175. Dies gilt gerade bei den jetzt bestehenden Gefahren für den Rechtsstaat wieder. In dem Beitrag „Anwaltschaft und Menschenrechte in Deutschland“ aus dem Jahr 201629 29 BRAK-Mitt. 2016, 57. hat Christian Kirchberg anlässlich des damals stattfindenden „Tages des verfolgten Anwalts“ eindrucksvoll dargelegt, wie wichtig es ist, sich – Zitat – „sowohl im nationalen als auch im internationalen Rahmen engagiert für die Verwirklichung der Menschenrechte und insbesondere auch für den Schutz menschenrechtswidrig verfolgter Kolleginnen und Kollegen einzusetzen.“30 30 BRAK-Mitt. 2016, 61; ähnlich auch Filges, BRAK-Mitt. 2009, 63 zu einem offenen Brief an die russische Anwaltschaft, in dem das tiefe Bedauern und ihre Bestürzung über den Tod Markelows ausgesprochen und die Bedeutung des Anwaltsberufs für die Verteidigung der Menschenrechte und des Rechtsstaates weltweit hervorgehoben wird. Zuzustimmen ist Christian Kirchberg insbesondere darin, dass Saturiertheit und Selbstgewissheit der deutschen Anwaltschaft fehl am Platze und stattdessen Aufmerksamkeit und Sensibilität gegenüber menschenrechtswidrigen Verwerfungen der anwaltsbezogenen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Rechtspraxis gefordert sind. Dies kann und muss auch gelten, wenn die Unabhängigkeit der Justiz als solche angegriffen wird, siehe Polen und Ungarn. 50 Jahre nach der Gründung der BRAK-Mitteilungen ist Sprachrohr der verfassten Anwaltschaft im Rechtsstaatsdiskurs die Wehrhaftigkeit des Rechtsstaats mehr denn je sowohl auf internationaler als auch nationaler Ebene gefragt: Russland-UkraineKrieg, Krieg in Gaza, Klimawandel, Klimaproteste und rechtsextremistische Machtergreifungsfantasien. All dies erfordert eine deutliche Positionierung der Anwaltschaft. Dies hat der amtierende Präsident der BRAK, Ulrich Wessels, in Reaktion auf die durch die „Correctiv-Recherche“ zu Tage getretenen rechtsstaatsfeindlichen Überlegungen von Politikern und deren Finanzier am rechten Rand klar und deutlich gemacht. Im ersten Heft dieses Jahres schreibt er unter dem Titel: „In unserer DNA: Rechtsstaat“31 31 Wessels, BRAK-Mitt. 2024, 1. : „Dass die Anwaltschaft nicht KNAUER, DEM RECHTSSTAAT VERPFLICHTET – DIE BRAK MITTEILUNGEN AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2024 201

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