BRAK-Mitteilungen 4/2024

schweigen kann, wenn der Rechtsstaat auch nur im Ansatz gefährdet ist, ist also vollkommen selbstverständlich.“ Einmal mehr zeigt sich also, welche überragend wichtige Rolle den BRAK-Mitteilungen als Sprachrohr der verfassten Anwaltschaft im Rechtsstaatsdiskurs zukommt. Auch wenn – wie die Social Media-Kampagne „Aufstehen für den Rechtstaat“ eindrucksvoll zeigt – die BRAKMitteilungen nicht mehr der einzige Lautsprecher für die rechtsstaatliche Positionierung der Anwaltschaft sind, so bleibt in den Mitteilungen der Raum für den vertieften fachlichen Diskurs. Wir alle sind gehalten, uns an diesem Diskurs für den Rechtsstaat zu beteiligen. Rechtsstaat, Demokratie und Grundgesetz sind nicht selbstverständlich und bedürfen des Schutzes und der Verteidigung durch die Anwaltschaft. Dazu haben die BRAK-Mitteilungen und insbesondere der geschätzte Kollege Christian Kirchberg einen wertvollen und sichtbaren Beitrag geleistet. Es ist mir eine große Ehre, den Staffelstab von ihm übernehmen und an dieser Aufgabe weiter mitarbeiten zu dürfen. DIE ANWALTSGERICHTSBARKEIT ALS GARANTIN DES RECHTSSTAATS DR. ASTRID FRENSE* * Die Autorin ist Rechtsanwältin und Notarin in Berlin. Sie ist Präsidentin des Anwaltsgerichtshofs Berlin. Der Beitrag beruht auf ihrem Vortrag anlässlich des Symposiums für Prof. Dr. Christian Kirchberg am 11.4.2024. Ist die Anwaltsgerichtsbarkeit Garantin des Rechtsstaats oder nicht vielmehr umgekehrt der Rechtsstaat Garant der Anwaltsgerichtsbarkeit? Um diese Frage zu beantworten, beleuchtet die Autorin – als Präsidentin des AGH Berlin eine langjährige Kollegin von Prof. Dr. Kirchberg – die Rolle von Richterschaft und Anwaltschaft im Rechtsstaat sowie die Funktion der Anwaltsgerichtsbarkeit, auch im Verhältnis zu anderen Gerichtsbarkeiten. Ihr Fazit: Beides bedingt einander – aber keine noch so kluge Verfassung kann vor der Selbstzerstörung der Demokratie schützen. I. EINLEITUNG Bei dem Vortragstitel „Anwaltsgerichtsbarkeit als Garantin des Rechtsstaats“ habe ich mich unwillkürlich gefragt, ob es nicht genau umgekehrt heißen müsste: „Rechtsstaat als Garant der Anwaltsgerichtsbarkeit“. Lassen Sie uns beides abwägen. Festzuhalten ist zunächst, dass die Anwaltsgerichtsbarkeit in Deutschland als Teil der staatlichen Gerichtsbarkeit gem. Art. 101 II GG i.V.m. § 100 I BRAO legitimiert ist, wie mehrfach vom Bundesverfassungsgericht festgestellt wurde.1 1 St.Rspr., zuletzt BVerfG, NJW 2006, 3049[0]; vgl. auch BVerfGE 26, 186, 195 ff.; 48, 300, 315 ff. zu den früheren anwaltlichen Ehrengerichtshöfen. Die Anwaltsgerichtshöfe sind unabhängig von den Rechtsanwaltskammern, denn sie unterliegen der Aufsicht durch die Landesjustizverwaltungen (vgl. §§ 100 I 2, 92 III BRAO), welche unter anderem über die Besetzung entscheiden (vgl. §§ 101 III, 102 I, 103 I BRAO). Weitere Belege für die Unabhängigkeit der Anwaltsgerichtshöfe sind die Besetzung der Senate mit drei anwaltlichen Richterinnen bzw. Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Berufsrichterinnen bzw. -richtern (vgl. § 104 BRAO) – bzw. beim BGH drei Berufsrichterinnen bzw. -richtern (vgl. § 106 II BRAO) – sowie die Unvereinbarkeit der ehrenamtlichen Richtertätigkeit mit einer Funktion im Vorstand oder im Haupt- oder Nebenberuf einer Rechtsanwaltskammer (vgl. §§ 103 II 1, 94 III 2 BRAO).2 2 Vgl. BVerfG, NJW 2006, 3049. In seiner Entscheidung vom 19.9.2006 hat der Europäische Gerichtshof3 3 EuGH (Große Kammer), Urt. v. 19.9.2006 – C-506/04 Graham J. Wilson/Ordre des avocats du barreau de Luxembourg, BRAK-Mitt. 2006, 276 Ls. mit Anm. Eichele. zwar die Zusammensetzung bei der luxemburgischen Anwaltsgerichtsbarkeit beanstandet, weil in dem luxemburgischen Verfahren nur Tatsacheninstanzen zur Verfügung standen, in denen Anwaltsrichterinnen und -richter in der Mehrzahl waren. Dies ist bei der deutschen Anwaltsgerichtsbarkeit jedoch nicht der Fall, da der Anwaltssenat beim BGH in der Besetzung von drei Berufs- und zwei Anwaltsrichterinnen und -richtern als Tatsacheninstanz im Berufungsverfahren entscheidet.4 4 Vgl. Henssler/Prütting/Offermann-Burckart, 6. Aufl. 2024, BRAO § 104 Rn. 5. Seit der Entscheidung „Torresi“ des EuGH5 5 EuGH, BRAK-Mitt. 2014, 253 mit Anm. Pohl = NJW 2014, 2849, 2850. steht aber fest, dass auch ein mehrheitlich mit Berufsträgern besetztes Gericht im unionsrechtlichen Sinn als staatliches Gericht anzusehen ist.6 6 S. Kilian, AnwBl. 2015, 278, 279. Auch die Voraussetzungen des europäischen Rechts werden folglich durch die Anwaltsgerichtsbarkeit in Deutschland erfüllt. FRENSE, DIE ANWALTSGERICHTSBARKEIT ALS GARANTIN DES RECHTSSTAATS BRAK-MITTEILUNGEN 4/2024 AUFSÄTZE 202

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