II. RICHTERINNEN UND RICHTER ALS GARANTEN DES RECHTSSTAATS Schon aus dem Prinzip der Gewaltenteilung ergibt sich im Rechtsstaat, dass die Judikative, und damit die Richter, ein entscheidender Pfeiler des Rechtsstaats sind. Hierzu muss die Unabhängigkeit der Gerichte und des einzelnen Richters gewahrt und geschützt werden. Der EuGH hat hierzu festgestellt: „Der Begriff der Unabhängigkeit, die dem Auftrag des Richters innewohnt, bedeutet vor allem, dass die betreffende Stelle gegenüber der Stelle, die die mit einem Rechtsbehelf angefochtene Entscheidung erlassen hat, die Eigenschaft eines Dritten hat. (...) Außerdem umfasst dieser Begriff zwei Aspekte. Der erste, externe, Aspekt setzt voraus, dass die Stelle vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteilens ihrer Mitglieder im Hinblick auf die ihnen unterbreiteten Rechtsstreite gefährden könnten (....) Diese unerlässliche Freiheit von derartigen äußeren Einflüssen erfordert bestimmte Garantien wie die Unabsetzbarkeit, die geeignet sind, die mit der Aufgabe des Richtens Betrauten in ihrer Person zu schützen (...). Der zweite, interne, Aspekt steht mit dem Begriff der Unparteilichkeit in Zusammenhang und bezieht sich darauf, dass hinsichtlich der Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen an dessen Gegenstand ein gleicher Abstand gewahrt wird. Dieser Aspekt verlangt, dass Sachlichkeit obwaltet (...) und neben der strikten Anwendung der Rechtsnormen keinerlei Interesse am Ausgang des Rechtsstreits besteht. Diese Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit setzen voraus, dass es Regeln insbesondere für die Zusammensetzung der Einrichtung, die Ernennung, die Amtsdauer und die Gründe für Enthaltung, Ablehnung und Abberufung ihrer Mitglieder gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der genannten Stelle für Einflussnahmen von außen und an ihrer Neutralität in Bezug auf die einander gegenüberstehenden Interessen auszuräumen.“7 7 S. EuGH, NJW 2006, 3697, 3698 f. m.w.N. = BRAK-Mitt. 2006, 276 Ls. mit Anm. Eichele. Richterinnen und Richter in Deutschland unterliegen daher bei Disziplinar- und Versetzungsmaßnahmen auch einer eigenen Richter-Dienstgerichtsbarkeit (vgl. §§ 61 ff. DRiG für Bundesrichter). III. ANWÄLTINNEN UND ANWÄLTE ALS GARANTEN DES RECHTSSTAATS Innerhalb der Judikative sind die Anwältinnen und Anwälte als Organe der Rechtspflege Teil der unabhängigen Justiz, wie in § 1 BRAO niedergelegt. Die anwaltliche Unabhängigkeit und die richterliche Unabhängigkeit sind in ihrer Funktion für die Rechtspflege ähnlich, weshalb für sie zur Sicherung der Unabhängigkeit ebenfalls gem. § 101 II GG eigens für Berufsrechtssachen der Anwaltschaft eine Anwaltsgerichtsbarkeit errichtet wurde.8 8 S. Wolf, in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl. 2014, Vor § 92 BRAO Rn. 11; Kirchberg, DVBl. 2017, 362, 363 m.w.N. Global hat die UN-Generalversammlung 1990 die Grundprinzipien betreffend die Rolle der Rechtsanwälte9 9 Deutsche Übersetzung unter www.un.org/depts/german/conf/ac144-28a.pdf. gebilligt. Danach muss es einem Rechtsanwalt erlaubt sein, seine beruflichen Aufgaben ohne Einschüchterung, Behinderung, Schikanen oder unstatthafte Beeinflussung wahrzunehmen. Insbesondere darf ein Rechtsanwalt wegen der Wahrnehmung seiner Aufgaben nicht mit seinem Mandanten oder dessen Angelegenheiten identifiziert werden.10 10 S. Kirchberg zu „Anwaltschaft und Menschenrechte in Deutschland“, BRAK-Mitt. 2016, 57. Die UN-Grundprinzipien betreffend Rechtsanwälte sehen daher neben Garantien für die Tätigkeit des Rechtsanwalts, Meinungsäußerungs- und Vereinigungsfreiheit, Berufsverbänden der Rechtsanwälte speziell für Disziplinarverfahren gegen einen Rechtsanwalt vor, dass diese vor einem von der Anwaltschaft geschaffenen unparteiischen Disziplinarausschuss, vor einer unabhängigen durch Gesetz geschaffenen Instanz oder vor einem Gericht stattfinden und einer unabhängigen gerichtlichen Überprüfung unterliegen müssen. Wie Kirchberg bemerkt hat: „Einer etwaigen menschenrechtswidrigen Verfolgung von Anwältinnen und Anwälten in Deutschland und seinen europäischen Nachbarländern wird regelmäßig durch entsprechende Garantien des Verfahrensrechts, des Berufsrechts, der jeweiligen Verfassungen und schließlich der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie dadurch begegnet, dass über die Einhaltung und Verwirklichung dieser Garantien die Berufsgerichtsbarkeit ... die ordentliche Gerichtsbarkeit, die Verfassungsgerichtsbarkeit und schließlich der EGMR wachen.“11 11 Kirchberg, BRAK-Mitt. 2016, 57 (61). Die Anwaltsgerichtsbarkeit spielt daher eine wesentliche Rolle unter den Garanten des Rechtsstaats. IV. FUNKTION DER ANWALTSGERICHTSBARKEIT IM VERHÄLTNIS ZU ANDEREN INSTANZEN 1. GRUNDSÄTZLICHE ZUSTÄNDIGKEIT DER RECHTSANWALTSKAMMER ALS SELBSTVERWALTUNGSKÖRPERSCHAFT Die Rechtsanwaltskammern sind zuständig für die Ausführung der BRAO und der auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen (§ 33 BRAO). Die Rechtsanwaltskammern entscheiden somit als Verwaltungsbehörden selbst über Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, Widerruf der Zulassung, Fachanwalts- und Syndikusanwaltssachen. AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2024 203
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