BRAK-Mitteilungen 4/2024

Die Rechtsanwaltskammern sind auch Verwaltungsbehörden i.S.d. § 36 I Nr. 1 OWiG für Ordnungswidrigkeiten nach § 6 der Dienstleistungs-InformationspflichtenVerordnung und nach § 56 GwG, die durch ihre Mitglieder begangen werden (§ 73b BRAO). Der Vorstand kann das Verhalten einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts rügen oder ein anwaltsgerichtliches Verfahren einleiten (§§ 74, 74a BRAO). Die Staatsaufsicht der jeweiligen Landesjustizbehörde beschränkt sich darauf, dass Gesetz und Satzung beachtet, insbesondere die der Rechtsanwaltskammer übertragenen Aufgaben erfüllt werden (§ 62 II BRAO). 2. STRAF- UND ORDNUNGSWIDRIGKEITSVERFAHREN IM VERHÄLTNIS ZU ANWALTSGERICHTLICHEN VERFAHREN Anwältinnen und Anwälte unterliegen den normalen Normen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts, wie jeder andere auch, daher sind hierfür die ordentlichen Gerichte bzw. Behörden zuständig. Nur soweit es um Berufsrechtsverstöße geht oder wenn es einen sog. „berufsrechtlichen Überhang“ gibt, wird das anwaltsgerichtliche Verfahren eingeleitet. Dabei wird jedoch eine anderweitige Ahndung desselben Verhaltens berücksichtigt und geprüft, ob eine anwaltsgerichtliche Maßnahme zusätzlich erforderlich ist (§ 115b BRAO). Für die Entscheidung im anwaltsgerichtlichen Verfahren sind außerdem die tatsächlichen Feststellungen des Urteils im Straf- oder Bußgeldverfahren bindend, auf denen die Entscheidung des Gerichts beruht (§ 118 III BRAO). Anwaltsgerichtliche Verfahren sind außerdem bis zur Beendigung von Straf- oder Bußgeldverfahren auszusetzen (§ 118 I BRAO). Das Strafverfahren hat also Vorrang gegenüber dem anwaltsgerichtlichen Verfahren und insofern ist hier vorrangig die entsprechende Strafgerichtsbarkeit als Garant des Rechtsstaats anzusehen. 3. BESONDERE ROLLE DER ANWALTSGERICHTSBARKEIT Wie bei der Einbeziehung von ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern in anderen Bereichen der Rechtsprechung auch, z.B. bei den Kammern für Handelssachen oder der Arbeitsgerichtsbarkeit, bringen die Anwaltsrichterinnen und -richter ihre Berufserfahrung und ein breites Fachwissen in unterschiedlichen Rechtsmaterien ein, was für die Entscheidungsfindung qualitativ förderlich ist. Eine Besonderheit ist jedoch, dass die Anwaltsgerichte ausschließlich mit Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten besetzt sind, beim Anwaltsgerichtshof der Vorsitz des Senats von einem anwaltlichen Mitglied des Gerichts und nicht von einer Berufsrichterin bzw. einem Berufsrichter wahrgenommen wird und die Anwaltsrichterinnen und -richter in der Mehrzahl sind (§§ 94, 103 BRAO i.V.m. § 123 S. 1 DRiG). Hierdurch wird die besondere unabhängige Stellung des Anwalts als Organ der Rechtspflege hervorgehoben. Anwältinnen und Anwälte treten als einzige Angehörige eines freien Berufs vor der Judikative beruflich auf, so dass ihre Berufspflichtverstöße die Angehörigen der Judikative unmittelbar betreffen. Jedoch soll ein Organ der Rechtspflege, die Richterin bzw. der Richter, nicht über Art und Weise der Berufsausübung eines anderen Organs der Rechtspflege urteilen.12 12 S. Kilian, AnwBl. 2015, 278, 282. Diese Überlegung, die bei Disziplinarverfahren unmittelbar einleuchtet, muss aber auch für die verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen gelten. Denn gerade dort, wo es um die Erteilung oder den Widerruf von Zulassungen geht, gilt es, wachsam zu sein, um eine etwaige mittelbare Instrumentalisierung der verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen als Mittel der bewussten Steuerung der Mitgliedschaft in der Anwaltschaft zu verhindern. Die anwaltlichen Mitglieder haben berufsbedingt ein profundes Verständnis für die Verfahrensabläufe bei der Ausübung des Anwaltsberufs. Durch ihre Berufserfahrung als Anwältinnen und Anwälte haben sie ein sensibles Gespür, ab wann die oben genannten Grundprinzipien der freien Berufsausübung durch staatliche oder kammerseitige Maßnahmen zu sehr eingeschränkt und damit gefährdet werden. Sie können am ehesten beurteilen, wann eine Anwältin oder ein Anwalt nur mit harten Mitteln um das Recht ihres bzw. seines Mandanten kämpft und ab wann sie oder er diese Grenze überschreitet und das Ansehen der Anwaltschaft und damit auch der Judikative und des Rechtsstaats beschädigt oder zu gefährden droht. V. GEFAHR FÜR DIE ANWALTSGERICHTSBARKEIT Die Diskussion, ob die Anwaltsgerichtsbarkeit bei den Verwaltungsgerichten oder bei den ordentlichen Gerichten besser aufgehoben ist,13 13 Vgl. Kilian, AnwBl. 2015, 278 f., AnwBl. 2017, 824 m.w.N. wird schon geführt und ich bin hier der Meinung vonKirchberg,14 14 Kirchberg, AnwBl. 2014, 44; ebenso jüngst auch Siegmund, BRAK-Mitt. 2024, 67 zur verwandten Diskussion um eine (partielle) Verlagerung auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit. dass die Anwaltsgerichtsbarkeit in disziplinarrechtlichen und in anwaltlichen Verwaltungssachen zusammengehalten werden muss, um sie nicht zu zerfasern und zu schwächen. Aber abgesehen von Verfahrensfragen der VwGO oder der StPO droht die wahre Gefahr von einer „Gleichschaltung“ durch Auswahl von einem autokratischen System „zugeneigten“ Anwaltsrichterinnen und -richtern und schließlich von der Abschaffung der Anwaltsgerichtsbarkeit, wie es in der Vergangenheit schon einmal vorgekommen ist. So hat die „Reichsrechtsanwaltskammer“ im Nationalsozialismus die Organisation der Anwaltschaft dem sog. Führerprinzip unterworfen.15 15 S. Geiersberger, in Festschrift für Christian Kirchberg zum 70. Geburtstag, 2017, 409, 411 mit weiteren Ausführungen zur Geschichte der Anwaltsgerichtsbarkeit. Ab 1940 wurden die Ehrenrichter vom Reichsjustizminister ernannt und 1943 ging die Ehrengerichtsbarkeit auf die staatliche Gerichtsbarkeit über.16 16 Henssler/Prütting, BRAO, 6. Aufl. 2024, Einl., Rn.11 m.w.N.; Rüping, Die Beseitigung der freien Advokatur im Nationalsozialismus, AnwBl. 2002, 615 ff. BRAK-MITTEILUNGEN 4/2024 AUFSÄTZE 204

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