BRAK-Mitteilungen 5-6/2024

um eine objektive und den Versicherungsnehmer nicht benachteiligende Verfahrensweise und Regulierungspraxis zu garantieren, soll nachstehend untersucht werden. In der Praxis finden sich bekanntlich als Ausgestaltung des § 128 VVG in § 3a ARB 2010 und den Folgeversionen Empfehlungen des GDV in Form des sog. Stichentscheids- oder Schiedsgutachterverfahrens, die aber den einzelnen Versicherer anders als bei gesetzlichen Bestimmungen nicht daran hindern, abweichende Regelungen auch zu Lasten des Versicherungsnehmers zu vereinbaren. So besteht nach § 3a III 2 des GDV – Schiedsgutachtenverfahrens unter bestimmten Voraussetzungen zwar eine Pflicht zur Übernahme fristwahrender Kosten im Ausgangsverfahren unabhängig vom Ausgang des Schiedsgutachterverfahrens, hindert dies aber zumindest einen Versicherer nicht daran, nach seinen Gesellschaftsbedingungen diese Kosten nach einem für den Versicherungsnehmer negativen Schiedsgutachten von diesem zurückzufordern. Darauf zu hoffen, dass der Markt oder der Wettbewerb dies regeln – was ja der Grundgedanke des Fortfalls der früheren Genehmigungspflicht von AVB war –, dürfte nicht realistisch sein. Denn die abweichende Regelung wird nur ausgesprochenen Spezialisten der Rechtsschutzversicherung auffallen. Der gleiche Versicherer meint entgegen einer älteren Entscheidung des BGH,1 1 BGH, Urt. v. 19.3.2003 – IV ZR 139/01, VersR 2003, 638 („Raucherurteil“). den Einwand fehlender Erfolgsaussichten nach seinen ARB auch dann noch erheben zu können, wenn der Versicherungsnehmer einer Ablehnung aus anderen, bzw. formellen Gründen2 2 Z.B. Einwand einer Ausschlussklausel oder eines zeitlich nicht gedeckten Versicherungsfalls. widerspricht. Da sich die Entscheidung des BGH nicht auf eine gesetzliche Bestimmung bezieht, sondern auf den Begriff „unverzüglich“ in § 3a ARB 2000 ff. bzw. den Vorläuferversionen, lässt sich – wenn ein Versicherer seine ARB in diesem Punkt ändert – auch hier nicht mit einer Unwirksamkeit nach § 129 VVG argumentieren, wenn § 128 VVG so inhaltsarm wie bisher bleibt und ein Abweichen von den GDV-Empfehlungen vorliegt. Dies mag allenfalls ein Indiz für eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers sein. Ein anderer Versicherer wiederum verzichtet auf den Einwand fehlender Erfolgsaussichten, wenn der Versicherungsnehmer seiner Anwaltsempfehlung folgt, was allerdings eher ein Problem der dadurch beeinträchtigten und nach § 127 VVG garantierten freien Anwaltswahl ist. Auch in der Regulierungspraxis zeigen sich erhebliche Unterschiede. So ist in Anwaltskreisen bekannt, dass einige Versicherer, die das Stichentscheidsverfahren vereinbart haben, einem auch noch so sorgfältig begründeten Stichentscheid wegen „offenbarer Abweichung von der wirklichen Sach- und Rechtslage“ (§ 3a II 2 ARB 2010 ff.) jedenfalls bei höheren Streitwerten und bestimmten Fallgruppen generell die Bindungswirkung versagen – wohl wissend, dass der Versicherungsnehmer bei Fristsachen in der verbleibenden Zeit keine Deckungsklage rechtskräftig zum Abschluss bringen kann. Dies hat zur Konsequenz, dass der Versicherungsnehmer aus Kostengründen auf eine Weiterverfolgung seine Ansprüche auch bei von seinem Anwalt bejahten hinreichenden Erfolgsaussichten regelmäßig verzichten wird. Auf der anderen Seite muss man aus Anwaltssicht natürlich auch einräumen, dass das Schiedsgutachtverfahren grundsätzlich objektiver bzw. unparteiischer i.S.v. § 128 S. 1 VVG sein wird als das Stichentscheidsverfahren, weil ein mit der Sache sonst nicht befasster, von der jeweiligen Kammer benannter Rechtsanwalt, als Schiedsgutachter agiert. Das rechtfertigt es, dass ein für den Versicherungsnehmer positives Schiedsgutachten nach § 3a IV 3 ARB 2010 für den Versicherer bindend ist, was allein dem auch vom BGH betonten Zweck einer schnellen Entscheidung entspricht. Ein Vorteil für den Rechtsanwalt des Versicherungsnehmers könnte schließlich darin liegen, dass nach einer Entscheidung des LG Stuttgart3 3 LG Stuttgart v. 3.8.2021 – 5 S 101/20, dazu jurisPR VersR 10/2021 Anm. 3Cornelius-Winkler. Regressansprüche gegen diesen grundsätzlich ausscheiden, wenn zuvor das Schiedsgutachten Erfolgsaussichten bejaht hat. Beide Parteien können – ähnlich wie in einem Zivilprozess – den Gutachter wegen Befangenheit ablehnen, allerdings sollte anders als bisher eine Ablehnung nicht mehr ohne Angabe von Gründen, sondern nur nach § 406 ZPO analog möglich sein.4 4 Vgl. Harbauer/Schmitt, Rechtsschutzversicherung, 9. Aufl., § 3a ARB 2010 Rn. 37 ff. Bei einer danach wünschenswerten verpflichtenden Übernahme allein des Schiedsgutachtens in eine zukünftige Fassung des § 128 VVG wäre so auch garantiert, dass ggf. notwendige fristwahrende Maßnahmen unter Versicherungsschutz stünden. Bei Revisionen oder Nichtzulassungsbeschwerden zum BGH könnte es zusätzlich sinnvoll sein, den Schiedsgutachter nicht wie bisher über die örtlichen Kammern, sondern über die RAK des BGH benennen zu lassen, weil es hier nicht nur um materielles Recht, sondern auch um Revisionszulassungsrecht geht. Nachgedacht werden sollte bei der Honorierung auch über einen Wegfall der Deckelung auf eine 1.5 Geschäftsgebühr5 5 Vgl. Harbauer/Schmitt, a.a.O. § 3a ARB 2010 Rn. 43. für das Schiedsgutachten, weil teilweise berichtet wird, dass die Kammern zunehmend Schwierigkeiten hätten, geeignete Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte als Gutachter zu finden. Manche Rechtsschutzversicherer schließlich sehen – wie beim Stichentscheidsverfahren – eine Kostenübernahme auch bei einem für den Versicherungsnehmer negativen Schiedsgutachten vor,6 6 Vgl. Harbauer/Schmitt, a.a.O., § 3a ARB 2010 Rn. 41. was sich ebenfalls für eine Übernahme in § 128 VVG anbietet. Grund dafür könnte sein, dass das Vorliegen hinreichender Erfolgsaussichten – anders als teilweise dargestellt und anders als im Prozesskostenhilferecht – keine vom VerSONSTIGES BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 5–6/2024 347

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