Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt nach dem BGH18 18 BGH, Beschl. v. 21.12.2023 – III ZR 21/23, BeckRS 2023, 42797 Rn. 13. gegen Art. 103 I GG, wenn dies im Prozessrecht keine Stütze mehr findet. Auf eine Zeugenvernehmung darf der Tatrichter wegen Unerreichbarkeit (§ 244 III 3 Nr. 5 StPO) nur verzichten, wenn er unter Beachtung seiner Aufklärungspflicht alle der – hier erheblichen – Bedeutung des Zeugnisses entsprechenden Bemühungen zur Beibringung des Zeugen vergeblich entfaltet hat und keine begründete Aussicht besteht, das Beweismittel in absehbarer Zeit beizubringen.19 19 BGH, Beschl. v. 21.12.2023 – III ZR 21/23, BeckRS 2023, 42797 Rn. 14. Das ist nicht schon dann der Fall, wenn der Zeuge telefonisch erklärt, nicht nach Deutschland reisen und in der Sache nicht aussagen zu wollen. Gegebenenfalls ist dann der Zeuge im Wege der Rechtshilfe in seinem Aufenthaltsstaat vernehmen zu lassen. Das gilt insbesondere dann, wenn der Aufenthaltsstaat Vertragsstaat des Haager Übereinkommens vom 18. März 1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen20 20 BGBl. 1977 II, 1452, 1472. ist.21 21 BGH, Beschl. v. 21.12.2023 – III ZR 21/23, BeckRS 2023, 42797 Rn. 19. d) AUSLEGUNG UND UMDEUTUNG DER PROZESSERKLÄRUNG EINER ANWALTLICH VERTRETENEN PARTEI Bei der Auslegung von Prozesserklärungen ist nach dem BGH der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht.22 22 BGH, Beschl. v. 2.8.2023 – XII ZB 432/22, NJW-RR 2023, 1235 Rn. 15; BGH, Beschl. v. 13.3.2024 – XII ZR 89/22, NJOZ 2024, 599 Rn. 9. Unzureichende oder fehlerhafte Angaben in einer Rechtsmittelschrift können daher unschädlich sein, wenn aufgrund erkennbarer Umstände im Einzelfall vor Ablauf der Einlegungsfrist im Zusammenhang mit den Prozessakten für das Rechtsmittelgericht nicht zweifelhaft bleibt, welche Entscheidung angefochten wird, und es anhand der im Übrigen richtigen und vollständigen Angaben in der Rechtsmittelschrift nicht daran gehindert ist, seine verfahrensvorbereitende Tätigkeit aufzunehmen.23 23 BGH, Beschl. v. 2.8.2023 – XII ZB 432/22, NJW-RR 2023, 1235 Rn. 15; BGH, Beschl. v. 13.3.2024 – XII ZR 89/22, NJOZ 2024, 599 Rn. 9. Eine Auslegung des als Berufung bezeichneten Rechtsmittels als Antrag auf Zulassung der Berufung (§ 112e BRAO) ist nach dem BGH nicht möglich, da die beiden Rechtsbehelfe unterschiedliche Gegenstände betreffen.24 24 BGH, Beschl. v. 20.10.2023 – AnwZ (Brfg) 27/23, NJW-RR 2024, 196 Rn. 4 f. Eine Umdeutung ist nur möglich, wenn der Rechtsmittelführer noch innerhalb der Rechtsmittelfrist beantragt, das unstatthafte Rechtsmittel als Antrag auf Zulassung der Berufung zu behandeln.25 25 BGH, Beschl. v. 20.10.2023 – AnwZ (Brfg) 27/23, NJW-RR 2024, 196 Rn. 7. 3. TATSACHENVORTRAG UND BEWEIS a) SUBSTANZIIERUNGSANFORDERUNGEN Einmal wieder rügte der BGH überzogene Substanziierungsanforderungen durch die Tatsachengerichte. In Fallgestaltungen, in denen ein erfolgversprechender Parteivortrag fachspezifische Fragen betrifft und besondere Sachkunde erfordert, dürfen an den klagebegründenden Sachvortrag der Partei nur maßvolle Anforderungen gestellt werden. Die Partei darf sich in diesem Fall auf den Vortrag von ihr zunächst nur vermuteter Tatsachen beschränken. Zur Ermittlung von Umständen, die ihr nicht bekannt sind, ist eine Partei im Zivilprozess grundsätzlich nicht verpflichtet.26 26 BGH, Urt. v. 26.1.2024 – V ZR 162/22, BeckRS 2024, 2811 Rn. 8. b) SACHVERSTÄNDIGENGUTACHTEN Nach dem BGH darf der Tatrichter, wenn es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde auszuweisen vermag. Zudem muss der Tatrichter, wenn er bei seiner Entscheidung eigene Sachkunde in Anspruch nehmen will, den Parteien zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen.27 27 BGH, Beschl. v. 12.3.2024 – VI ZR 283/21, NJW-RR 2024, 547 Rn. 10; BGH, Beschl. v. 14.11.2023 – VI ZR 244/21 Rn. 13, 17 f.; BGH, Beschl. v. 26.3.2024 – VIII ZR 89/23, NJW-RR 2024, 738 Rn. 19. Verstößt der Tatrichter gegen diese Grundsätze, liegt ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör vor.28 28 BGH, Beschl. v. 12.3.2024 – VI ZR 283/21, NJW-RR 2024, 547 Rn. 9 ff.; BGH, Beschl. v. 14.11.2023 – VI ZR 244/21, Rn. 11, 13; BGH, Beschl. v. 26.3.2024 – VIII ZR 89/23, NJW-RR 2024, 738 Rn. 19. Will sich der Tatrichter über die Ausführungen eines Sachverständigen hinwegsetzen, so erfordert das die Darlegung eigener Sachkunde,29 29 OLG Celle, Urt. v. 6.3.2024 – 14 U 81/23, BeckRS 2024, 6011 Rn. 13. und zwar konkret für die entscheidungserhebliche Frage: Sachkunde im Reiten begründet keine Sachkunde im Reitplatzbau.30 30 OLG Celle, Urt. v. 6.3.2024 – 14 U 81/23, BeckRS 2024, 6011 Rn. 13. b) SACHVERSTÄNDIGENABLEHNUNG Die auf die berufliche Zusammenarbeit des Sachverständigen mit einer Partei gestützte Besorgnis der Befangenheit ist grundsätzlich innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe von dessen Ernennung geltend zu machen, und nach dem OLG Dresden auch dann, wenn erst dessen Gutachten für die Partei Anlass gibt, sich auch mit der Person des Sachverständigen zu beschäftigen.31 31 OLG Dresden, Beschl. v. 5.2.2024 – 4 W 782/23, BeckRS 2024, 2998. Lücken oder Unzulänglichkeiten im schriftlichen Gutachten eines Sachverständigen oder Bedenken gegen dessen Sachkunde können nach dem OLG Dresden regelmäßig die Unparteilichkeit des Sachverständigen nicht in Frage stellen und rechtfertigen die Besorgnis der Befangenheit nicht.32 32 OLG Dresden, Beschl. v. 23.2.2024 – 4 W 26/24, BeckRS 2024, 3917. ULTSCH, DIE ENTWICKLUNG DES ZIVILVERFAHRENSRECHTS AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 5–6/2024 251
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