BRAK-Mitteilungen 5-6/2024

elektronisch abgegebene Empfangsbekenntnis erbringt – wie das herkömmliche papiergebundene (analoge) Empfangsbekenntnis – gegenüber dem Gericht den vollen Beweis nicht nur für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt, sondern auch für den angegebenen Zeitpunkt der Entgegennahme und damit der Zustellung.63 63 BGH, Beschl. v. 17.1.2024 – VII ZB 22/23, BRAK-Mitt. 2024, 174 (Leitsatz 2). Der zur Entkräftung der Beweiskraft erforderliche volle Gegenbeweis ist nach dem OVG Bautzen nicht schon dann geführt, wenn der Anwalt darlegt, er sei am Tage der Zustellung nicht in der Kanzlei anwesend gewesen, und dass er das Urteil tatsächlich erst zu einem späteren Zeitpunkt zur Kenntnis genommen habe.64 64 OVG Bautzen, Beschl. v. 20.9.2023 – 3 A 315/23, BeckRS 2023, 25505. Das beA-Nachrichtenjournal protokolliert, wann eine Nachricht eingegangen ist und wer sie wann geöffnet hat.65 65 Wagner/Ernst, NJW 2021, 1564 Rn. 15; Ultsch, WuB 2023, 298, 301. Besteht unter den Parteien Streit darüber, wann das mit der Berufung angefochtene Urteil dem Berufungsführer zugestellt wurde, kann das beA-Nachrichtenjournal nach dem OLG München ein gewichtiges Beweismittel für den Berufungsgegner sein,66 66 OLG München, Hinweisbeschl. v. 27.2.2024 – 23 U 8369/21, BeckRS 2024, 8710 Rn. 6; OLG München, Beschl. v. 26.4.2024 – 23 U 8369/21, BeckRS 2024, 8706 Rn. 5. dessen Vorlage das Berufungsgericht gem. § 142 I ZPO anordnen kann. Im Rahmen der Ermessensausübung ist zu berücksichtigen, dass nach § 173 III 1 ZPO grundsätzlich allein das Empfangsbekenntnis als Nachweis der Zustellung genügt. Eine Anordnung der Vorlage des Journals ist daher nur dann gerechtfertigt und angemessen, wenn konkrete Umstände vorgetragen oder sonst verfahrensgegenständlich sind, die im Einzelfall einen besonderen, gegenüber dem Normalfall gesteigerten Überprüfungsbedarf indizieren, etwa wenn zwischen der Absendung des erstinstanzlichen Urteils und der elektronischen Bestätigung des Eingangs der Nachricht im System des Beklagtenvertreters am gleichen Tag und dem im Empfangsbekenntnis als Zustelldatum mehr als zwei Wochen liegen.67 67 OLG München, Hinweisbeschl. v. 27.2.2024 – 23 U 8369/21, BeckRS 2024, 8710 Rn. 8 f.; OLG München, Beschl. v. 26.4.2024 – 23 U 8369/21, BeckRS 2024, 8706 Rn. 7 f. Die Nichtvorlage des Journals ist entsprechend § 427 ZPO – ggf. zu Lasten des Vorlageverpflichteten – zu würdigen.68 68 OLG München, Beschl. v. 19.6.2024 – 23 U 8369/21, NJW 2024, 2333 Rn. 27; OLG München, Beschl. v. 14.5.2024 – 23 U 8369/21, BeckRS 2024, 11754, Rn. 6 ff. e) VOLLSTRECKUNGSANTRAG IN JUSTIZBEITREIBUNGSSACHEN Der von der Vollstreckungsbehörde in Form eines elektronischen Dokuments zu erteilende Vollstreckungsauftrag zur Pfändung und Verwertung beweglicher körperlicher Sachen nach dem Justizbeitreibungsgesetz (JBeitrG), der eine qualifizierte elektronische Signatur des bearbeitenden Mitarbeiters als der verantwortenden Person trägt, genügt nach dem BGH den im elektronischen Rechtsverkehr geltenden Formanforderungen.69 69 BGH, Beschl. v. 17.1.2024 – VII ZB 2/23, NJW-RR 2024, 410; BGH, Beschl. v. 6.4. 2023 – I ZB 84/22, NJW-RR 2023, 906; BGH, Beschl. v. 12.10.2023 – I ZB 24/23, BeckRS 2023, 38895 (zur Vollstreckung eines Haftbefehls zur Abnahme der Vermögensauskunft). 6. BERUFUNG a) WEITERER VERLÄNGERUNGSANTRAG TROTZ „LETZTMALIGER“ FRISTVERLÄNGERUNG Nach § 520 II 2 ZPO kann die Frist zur Berufungsbegründung auf Antrag wiederholt verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Die Bewilligung der Fristverlängerung hängt auch bei der wiederholten Fristverlängerung nicht davon ab, dass der Rechtsmittelführer hierfür erhebliche Gründe geltend machen kann, die er deshalb auch nicht darlegen muss.70 70 BGH, Beschl. v. 31.7.2023 – VIa ZB 1/23, NJOZ 2023, 1109 Rn. 11 ff. Das Vertrauen in die Gewährung einer wiederholten Fristverlängerung ist regelmäßig erst dann erschüttert, wenn aus Sicht des Rechtsmittelführers Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass die Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens trotz der Einwilligung zu einer Ablehnung der begehrten Fristverlängerung führen kann. Allein der mit der zweiten Fristverlängerung verbundene Hinweis des Gerichts auf eine „letztmalige“ Verlängerung steht nach dem BGH dem Vertrauen des Rechtsmittelführers in die Fristverlängerung nicht entgegen. Eine Erschütterung des Vertrauens eines Rechtsmittelführers aufgrund eines entsprechenden Zusatzes kommt allenfalls dann in Betracht, wenn das Gericht mit der Fristverlängerung tragfähige und zum Zeitpunkt der Ermessensausübung fortgeltende Erwägungen offenlegt, aus denen eine weitere Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung nicht in Betracht kommt. b) ZURÜCKWEISUNG AN DAS ERSTINSTANZLICHE GERICHT Nach dem BGH lässt § 538 II 1 Nr. 1 ZPO im Falle eines in der ersten Instanz unterlaufenen Verfahrensfehlers, zu dem auch die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erstinstanzlichen Gerichts zählt, eine Zurückverweisung der Sache an das Landgericht grundsätzlich nur dann zu, wenn aufgrund des Verfahrensmangels außerdem eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.71 71 BGH, Urt. v. 1.2.2024 – VII ZR 171/22, NJW 2024, 1348. 7. REVISION Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf eine Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 I 2 GG) und insoweit auf einen absoluten Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (§ 72 II Nr. 3 Alt. 1 ArbGG i.V.m. § 547 Nr. 1 ZPO) gestützt werden. Nicht jeder Verstoß gegen einfach-gesetzliche Vorschriften oder die Bestimmungen BRAK-MITTEILUNGEN 5–6/2024 AUFSÄTZE 254

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