BRAK-Mitteilungen 5-6/2024

Die Commercial Courts sollen den Rechtsstreit – je nach Vereinbarung der Parteien – entweder in deutscher oder in englischer Sprache führen; bei der Verhandlung über Geschäftsgeheimnisse soll deren Schutz gestärkt werden. Für diese Verfahren soll die Möglichkeit der Erstellung eines Wortprotokolls eröffnet werden. Gegen Entscheidungen der Commercial Courts soll (zulassungsfrei) die Revision zum BGH statthaft sein. Im Hinblick auf die Verfahrenssprache soll dem BGH ein Wahlrecht zustehen. Für den Fall, dass der betroffene Senat nicht in der Lage ist, das Verfahren auf Englisch zu führen, kann er anordnen, dass das Verfahren auf Deutsch geführt wird. Der Bundestag hat das Gesetz zur Stärkung des Justizstandorts Deutschland durch Einführung von Commercial Courts und der Gerichtssprache Englisch in der Zivilgerichtsbarkeit (Justizstandort-Stärkungsgesetz) am 4.7.2024108 108 BT-Plenarprotokoll 20/181, S. 23466A-23466A. verabschiedet. Der Bundesrat hat am 27.9. 2024 beschlossen, keinen Antrag nach Art. 77 II GG zu stellen.109 109 BR-Drs. 418/24. Das damit nach Art. 78 GG zustande gekommene und am 10.10.2024 verkündete110 110 BGBl. 2024 I Nr. 302 v. 10.10.2024. Gesetz tritt nach seinem Art. 7 I am 1.4.2025 in Kraft. 10. GESETZ ZUR EINFÜHRUNG EINES LEITENTSCHEIDUNGSVERFAHRENS BEIM BGH Wie bereits vor einem Jahr an dieser Stelle berichtet,111 111 Ultsch, BRAK-Mitt. 2023, 224, 231 f. hat das Bundesministerium der Justiz am 14.6. 2023 einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Einführung eines Leitentscheidungsverfahrens beim BGH veröffentlicht; die Bundesregierung hat den Regierungsentwurf am 16.8.2023 beschlossen.112 112 BT-Drs. 20/8762 – kritisch: Rapp, ZRP 2024, 34. Mit dem Leitentscheidungsverfahren soll es dem BGH ermöglicht werden, bei Massenverfahren – über §§ 555 III, 565 S. 3 ZPO hinaus – auch dann eine den Instanzgerichten und der Öffentlichkeit als Richtschnur und Orientierung dienende Leitsatzentscheidung zu erlassen, wenn die Parteien die Revision zurücknehmen oder sich das Revisionsverfahren auf andere Weise erledigt.113 113 Kritisch: G. Vollkommer, NJW 2024, 3257 Rn. 23 („doppelte Mogelpackung“). Der Bundesrat hat seiner Stellungnahme vom 29.9. 2023 auf die weiterhin hohe Belastung der Gerichte durch die Bearbeitung von Massenverfahren hingewiesen, den Versuch des Gesetzentwurfs, solche Verfahren effizienter zu erledigen, begrüßt, aber das Fehlen eines Gesamtkonzepts beanstandet.114 114 BR-Plenarprotokoll 1036, S. 279-279, TOP 33 und BR-Drs. 375/23(B); vgl. auch Beschluss der Justizminister-Frühjahrskonferenz 2024 zu TOP I.9. Grundlegend kritisch: Stellungnahme Prof. Dr. Alexander Bruns, LL.M. (Duke Univ.) und Stellungnahme Prof. Dr. Thomas Riehm. Das Gesetzgebungsverfahren zog sich monatelang hin,115 115 1. Lesung am 9.11.2023: BT-Plenarprotokoll 20/134, S. 16970A-16973B; 2. und 3. Lesung am 26.9.2024: BT-Plenarprotokoll 20/188, S. 24452A-24459A und BTPlenarprotokoll 20/188, S. 24458D-24458D. ohne dass es zu signifikanten Änderungen116 116 Vgl. aber die Aussetzungsmöglichkeit gegen den Willen der Prozessparteien nach § 148 IV ZPO-E i.d.F. der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses: BT-Drs. 20/13025. kam. Der Bundestag hat das Gesetz am 26.9.2024117 117 BT-Plenarprotokoll 20/188, S. 24458D-24458D. verabschiedet; der Bundesrat hat am 18.10.2024 beschlossen, keinen Antrag nach Art. 77 II GG zu stellen.118 118 BR-Drs. 418/24. Das damit nach Art. 78 GG zustande gekommene und am 30.10.2024 verkündete119 119 BGBl. 2024 I Nr. 328 v. 30.10.2024. Gesetz ist nach seinem Art. 7 am 31.10.2024 in Kraft getreten. Bereits an diesem Tag machte der BGH von dem neuen Gesetz Gebrauch und bestimmte ein Leitentscheidungsverfahren in dem sog. Scraping-Komplex.120 120 BGH, Beschl. v. 31.10.2024 – VI ZR 10/24; dazu Nachrichten aus Berlin 23/2024 v. 14.11.2024. III. AUSBLICK Derzeit stehen einige für das Zivilverfahrensrecht bedeutende Projekte an. Ob diese noch in der laufenden, wegen der angekündigten Vertrauensfrage des Bundeskanzlers voraussichtlich verkürzten Legislaturperiode in Gesetzesform gegossen werden können oder dem Diskontinuitätsgrundsatz zum Opfer fallen werden, stand zum Redaktionsschluss noch nicht fest. Ein Gesetz zur Änderung des Zuständigkeitsstreitwerts der Amtsgerichte, zum Ausbau der Spezialisierung der Justiz in Zivilsachen sowie zur Änderung weiterer prozessualer Regelungen121 121 Regierungsentwurf v. 5.6.2024; zum Referentenentwurf: BRAK-Stn.-Nr. 26/2024. will die Amtsgerichte in Zivilsachen und damit den Justizstandort Deutschland in der Fläche stärken. Zu diesem Zweck soll der Zuständigkeitsstreitwert der Amtsgerichte von 5.000 Euro auf 8.000 Euro („Inflationsausgleich“) angehoben werden. Zudem sollen bestimmte Sachgebiete streitwertunabhängig den Amts- oder Landgerichten zugewiesen werden, um die Spezialisierung122 122 Zur Überprüfung der Sachgebietsabgrenzung bei Spezialspruchkörpern: Beschluss der Justizminister-Frühjahrskonferenz 2024 zu TOP I.11. und die effiziente Verfahrensführung zu stärken. So sollen streitwertunabhängig z.B. die Amtsgerichte für nachbarrechtliche Streitigkeiten und die Landgerichte für Streitigkeiten aus Heilbehandlungen, Vergabesachen sowie für Veröffentlichungsstreitigkeiten zuständig sein.123 123 Kritisch zum Ansatz: Bert/Windau, ZPO-Blog v. 19.4.2024. Der Bundesrat hat keine grundsätzlichen124 124 BR-Drs. 387/24. Einwände gegen den Gesetzesentwurf. Gerichtliche Geschäftsverteilungspläne sollen nun endlich veröffentlicht werden und nicht nur wie bisher bei Gericht „zur Einsichtnahme aufzulegen“, § 21e IX GVG. Angesichts der Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 I 2 GG) und des Revisionsgrundes des § 547 Nr. 1 ZPO125 125 Hierzu s.o. I.7. ist die Kenntnis des Geschäftsverteilungsplans für die Parteien von großer Bedeutung. Leider BRAK-MITTEILUNGEN 5–6/2024 AUFSÄTZE 258

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