BRAK-Mitteilungen 5-6/2024

de des Einzelfalls zu berücksichtigen. Hier habe die Kammer dem Kläger die Möglichkeit eingeräumt, durch verstärkte Fortbildung im laufenden Jahr eine Sanktionierung der einmaligen Pflichtverletzung im zurückliegenden Jahr zu vermeiden. Der Kläger habe von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch gemacht. Die letztlich temporären Erkrankungen des Klägers seien überdies nicht geeignet gewesen, die Teilnahme an einer Fortbildung auszuschließen. So hätte der Kläger an Onlineseminaren oder am Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle teilnehmen können. Die nicht erfüllte Fortbildungspflicht könne schließlich auch nicht dadurch ausgeglichen werden, dass der Kläger überdies als Steuerberater sowie als Geschäftsführer einer Steuerberatungsgesellschaft tätig sei. Der AGH betont abschließend, dass das Vertrauen der Rechtsuchenden, dass ein Fachanwalt seine Kenntnisse im Rahmen der Fortbildung aktualisiere, der Einschränkung der Berufsfreiheit des Klägers vorgehe. e) AUSBLICK Die künftige anwaltsgerichtliche Rechtsprechung wird die Neufassung von § 15 V FAO15 15 Beschluss der 5. Sitzung der 7. Satzungsversammlung v. 8.5.2023, BRAK-Mitt. 2023, 245; in Kraft getreten am 1.10.2023. zu berücksichtigen haben. Danach hat der Satzungsgeber in § 15 V 3 FAO nunmehr ausdrücklich klargestellt, dass die Rechtsanwaltskammer der Fachanwältin und dem Fachanwalt Gelegenheit zu geben hat, in einer angemessenen Frist fehlende Fortbildungsstunden nachzuholen, wenn die Fortbildung nicht oder nicht vollständig nachgewiesen worden ist. PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT RECHTSANWÄLTIN ANTJE JUNGK, RECHTSANWÄLTE BERTIN CHAB UND HOLGER GRAMS* * Die Autorin Jungk ist Leitende Justiziarin, der Autor Chab Leitender Justiziar bei der Allianz Versicherungs-AG, München; der Autor Grams ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in München. In jedem Heft der BRAK-Mitteilungen kommentieren die Autoren an dieser Stelle aktuelle Entscheidungen zum anwaltlichen Haftungsrecht. HAFTUNG KEINE HAFTUNG GEGENÜBER RECHTSSCHUTZVERSICHERER, WENN AUSSICHTSLOSIGKEIT NICHT EX ANTE IN JEDER HINSICHT UNZWEIFELHAFT Fehlt es an einer abschließenden höchstrichterlichen Klärung der für die Erfolgsaussichten einer Rechtsverfolgung maßgeblichen Frage, setzt eine zum Eingreifen des Anscheinsbeweises für ein beratungsgerechtes Verhalten des rechtsschutzversicherten Mandanten führende objektive Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung voraus, dass die Beurteilung der Erfolgsaussichten aus der maßgeblichen Sicht ex ante in jeder Hinsicht unzweifelhaft war. BGH, Urt. v. 16.5.2024 – IX ZR 38/23, NJW 2024, 3290 = r+s 2024, 866 = WM 2024, 1806 Ein Rechtsschutzversicherer macht gegen einen Anwalt aus übergegangenem Recht gem. § 86 VVG Schadensersatzansprüche aus der Deckung von Prozesskosten für Verfahren mehrerer bei ihm versicherter Anleger geltend. Diese hatten sich über eine Treuhandkommanditistin, eine Steuerberater-Gesellschaft, an einer Fondsgesellschaft beteiligt und daraus Verluste erlitten. Die Steuerberater-Gesellschaft ist insolvent. Der Anwalt verklagte für die Anleger erfolglos den Berufshaftpflichtversicherer der Steuerberater-Gesellschaft. Der Rechtsschutzversicherer wirft dem Anwalt vor, die Anleger pflichtwidrig nicht über die fehlenden Erfolgsaussichten der Klage aufgeklärt zu haben. Dies sahen LG und OLG auch so. Das OLG bejahte, anders als das LG, auch die Kausalität dieser Pflichtverletzung für den Kostenschaden und somit eine Haftung des Anwalts: Hätte dieser die Mandanten richtig beraten, hätten sie nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises von der aussichtslosen Rechtsverfolgung abgesehen. Die dagegen vom Anwalt beim BGH eingelegte Revision war erfolgreich. Nach ständiger Rechtsprechung des für Anwaltshaftung zuständigen IX. Zivilsenats des BGH greift ein Anscheinsbeweis dafür, dass ein Mandant von einer beabsichtigten Rechtsverfolgung abgesehen hätte, wenn der Anwalt ihn zutreffend über Risiken belehrt hätte, nur dann ein, wenn die geplante Rechtsverfolgung objektiv völlig aussichtslos war.1 1 Z.B. BGH, NJW 2013, 2345; NJW 2009, 1591; NJW 2008, 2041. Dies könne der Fall sein, wenn eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage bereits JUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT BRAK-MITTEILUNGEN 5–6/2024 AUFSÄTZE 272

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