BRAK-Mitteilungen 5-6/2024

höchstrichterlich abschließend geklärt sei. Fehle eine solche höchstrichterliche Klärung, müsse die Beurteilung der Erfolgsaussichten aus der maßgeblichen Sicht ex ante in jeder Hinsicht unzweifelhaft gewesen sein, um eine objektive Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung anzunehmen. Im vorliegenden Fall habe es aber zu der maßgeblichen Rechtsfrage im Verfahren gegen die Steuerberater-Gesellschaft noch keine Rechtsprechung gegeben. Auch in der Literatur sei die Frage nicht diskutiert worden. Die Beurteilung der Erfolgsaussichten sei im Hinblick auf die Versicherungsbedingungen des Berufshaftpflichtversicherers nicht in jeder Hinsicht unzweifelhaft gewesen. Die Versicherungsbedingungen seien hinsichtlich der Auswirkungen der Beteiligung der Steuerberater-Gesellschaft als Gründungskommanditistin auf den Deckungsschutz für Haftpflichtansprüche aus der Tätigkeit als Treuhandkommanditistin auslegungsbedürftig gewesen.2 2 Vgl. BGH, NJW-RR 2024, 237. Das Ergebnis der Auslegung sei nicht unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt unzweifelhaft gewesen. Aus der maßgeblichen Sicht ex ante sei es jedenfalls nicht unvertretbar gewesen, einen Deckungsschutz für Haftpflichtansprüche aus der Tätigkeit als Treuhandkommanditistin anzunehmen. Auf die ungewissen Erfolgsaussichten einer Klage habe der Anwalt die rechtsschutzversicherten Mandanten hinweisen müssen. Eine Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung, die ein Eingreifen des Anscheinsbeweises zur Folge hätte, ergebe sich daraus jedoch nicht. Der IX. Zivilsenat des BGH konkretisiert mit dieser Entscheidung seine Grundsätze zur Haftung von Anwältinnen und Anwälten bei unzureichenden Hinweisen auf Risiken einer Rechtsverfolgung, insb. bei Beteiligung von Rechtsschutzversicherern, die Schadensersatzansprüche gegen den Anwalt des Versicherungsnehmers aus übergegangenem Recht nach § 86 VVG geltend machen können. Nach der Grundsatzentscheidung des BGH3 3 BGH, Urt. v. 16.9.2021 – IX ZR 165/19, NJW 2021, 3324; Bespr. v. Grams, BRAKMitt. 2021, 370. treffen die Anwältin bzw. den Anwalt Belehrungspflichten gegenüber dem Mandanten über Risiken einer Rechtsverfolgung in gleichem Maße auch im rechtsschutzversicherten Mandat. Die Anwältin bzw. der Anwalt ist zu einer umfassenden und erschöpfenden Beratung verpflichtet, anhand derer der Mandant eine eigenverantwortliche Entscheidung treffen kann. Bei objektiver Aussichtslosigkeit einer Rechtsverfolgung muss die Anwältin bzw. der Anwalt dem Mandanten unzweifelhaft abraten. Unterlässt er dies, greift der Anscheinsbeweis zugunsten des Mandanten. Bei „nur“ risikobehafteter, aber nicht aussichtsloser Rechtsverfolgung muss der Mandant bzw. dessen Rechtsschutzversicherer beweisen, dass der Mandant bei richtiger Risikobelehrung von der Rechtsverfolgung abgesehen hätte. Dem Rechtsschutzversicherer steht hier ggf. der Mandant als Zeuge zur Verfügung. (hg) INSOLVENZGEFAHR BEIM GEGNER 1. Ein Rechtsanwalt ist im Rahmen der umfassenden Wahrnehmung der Interessen seines Mandanten nicht verpflichtet, ohne entsprechende Kenntnis oder ohne eine (vom Mandanten darzulegende und zu beweisende) Offenkundigkeit dahingehender tatsächlicher Umstände auf eine mögliche Insolvenzgefahr des Prozessgegners hinzuweisen. 2. Ein Rechtsanwalt ist auch nicht gehalten, sich stets über eine Insolvenzgefahr des Prozessgegners beim Mandanten zu erkundigen. Es besteht keine allgemeine Ermittlungspflicht, zumal ein Rechtsanwalt zwar mandatsbezogene Rechtskenntnisse schuldet, aber keine Kenntnisse zur wirtschaftlichen Stabilität des Gegners. Ein Rechtsanwalt darf sich grundsätzlich auf die Vollständigkeit der tatsächlichen Informationen seines Auftraggebers verlassen. OLG Düsseldorf, Hinweisbeschl. v. 4.6.2024 – 24 U 1/23, NJW-RR 2024, 1122 Rechtsanwalt und Rechtanwältin sind in aller erster Linie die berufenen unabhängigen Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten. Sie sind keine Wirtschafts- oder Unternehmensberater. Hieraus folgt, dass sich der Auftrag bzw. das Mandat regelmäßig auf die Prüfung und Beratung zu den rechtlichen Aspekten der Anliegen ihrer Mandanten beschränkt. In der Praxis geht es aber häufig auch um wirtschaftliche Interessen. Die Abgrenzung ist nicht immer ganz einfach. Im hier zugrunde liegenden Fall ging es um eine arbeitsrechtliche Auseinandersetzung. Die Mandantin hatte mit anwaltlicher Beratung des Beklagten im Dezember 2019 ein Abfindungsangebot der Arbeitgeberin angenommen. Die Forderung wurde aber nicht erfüllt, sondern sie erhielt aufgrund der von der Arbeitgeberin im März 2020 angemeldeten Insolvenz nur eine minimale Quote. Sie warf dem Anwalt vor, er hätte eine Absicherungsmöglichkeit für den Insolvenzfall nachverhandeln müssen, anderenfalls hätte sie das Abfindungsangebot nicht angenommen. Unstreitig hatten weder Mandantin noch Anwalt beim Abschluss des Aufhebungsvertrags Kenntnis von einer Insolvenzgefahr. Die Mandantin meint jedoch, ihr Anwalt hätte sie, weil sie rechtlich unerfahren sei, auf das Insolvenzrisiko unaufgefordert hinweisen müssen. Das OLG Düsseldorf weist indes zurecht darauf hin und führt entsprechende Beispiele dafür auf, dass es bei der anwaltlichen Beratung in aller erster Linie um die rechtlichen Aspekte geht. Weitergehende Hinweispflichten über den eigentlichen Mandatsgegenstand hinaus bestehen schon in Bezug auf Rechtsfragen nur ausnahmsweise, wenn die Anwältin bzw. der Anwalt deutliche Anhaltspunkte dafür hat, dass Interessen des Mandanten AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 5–6/2024 273

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