gründungsfrist teilte die Prozessbevollmächtigte dann mit, dass offensichtlich der falsche Schriftsatz übersandt worden sei, begründete die Berufung und stellte einen Wiedereinsetzungsantrag. Nachdem sie die Begründung entworfen habe und der Mandant einverstanden gewesen sei, habe sie das Sekretariat angewiesen, den Schriftsatz zur Unterschrift fertig zu machen. Den daraufhin vorgelegten Schriftsatz habe sie auf korrekte Adressierung und das richtige Verfahren geprüft. Der Schriftsatz sei im Ordner „Berufung“ abgelegt und als „Berufungsbegründung“ bezeichnet gewesen. Daraufhin habe sie ihn versandt, ohne ihn noch einmal inhaltlich geprüft zu haben. Das BVerwG sieht in dieser Handhabung ein anwaltliches Verschulden, gibt also dem Wiedereinsetzungsantrag nicht statt. Im Kern bezieht sich der Senat auf das, was bereits im Leitsatz herausgestrichen wird: Der Anwalt müsse eben lesen, sich also auch inhaltlich ansehen, was er versende. Er könne sich nicht auf eine Einzelweisung berufen, wenn er selbst anschließend noch einmal das Schriftstück zur Unterschrift vorgelegt bekomme. Das klingt harsch, ist aber nachvollziehbar. Wird die Unterschrift „blind“ geleistet, erfüllt sie ihren Zweck nicht, dass eben der Unterzeichnende genau das Schriftstück, das er unterzeichnet hat, auch geprüft, sprich gelesen, hat. Mit der Unterschrift übernimmt der Prozessbevollmächtigte die Verantwortung für den Inhalt. Für das BVerwG kam auch eine Umdeutung des als Zulassungsbegründung bezeichneten und rechtzeitig eingegangenen Schriftsatz in die Berufungsbegründung nicht in Betracht. Der Schriftsatz sei explizit als Zulassungsbegründung bezeichnet worden. Zulassungsverfahren und Berufungsverfahren stünden in einem Stufenverhältnis. § 124a III 1 VwGO verlange vom Berufungsführer, dass er nach Zulassung der Berufung in jedem Fall einen gesonderten Schriftsatz zur Begründung seiner Berufung einreicht und damit zu erkennen gibt, dass er die Durchführung der Berufung auch wirklich anstrebt. Das erscheint sehr streng. Zumindest wenn der Inhalt des Zulassungsantrags auch den Erfordernissen einer Berufungsbegründung genügt hätte, sollte es auf die Bezeichnung und den konkreten Antrag nicht ankommen. Ob das allerdings der Fall war, lässt sich dem Beschluss nicht eindeutig entnehmen. (bc) UNZULÄSSIGE TEXTBAUSTEIN-BERUFUNG 1. Die Zulässigkeit einer Berufung setzt voraus, dass ihre Berufungsbegründung auf den konkreten Streitfall zugeschnitten ist. 2. Ob eine Berufungsbegründung, die im Rahmen eines „Massenverfahrens“ ersichtlich zur vielfachen Verwendung in verschiedenen Verfahren vorgesehen und im Wesentlichen aus Textbausteinen zusammengesetzt ist, den diesbezüglich bestehenden Anforderungen standhält, ist im Einzelfall zu prüfen. OLG Celle, Urt. v. 4.4.2024 – 5 U 77/23, MDR 2024, 663 Der Kläger begehrt vom Betreiber eines sozialen Netzwerks Schadensersatz, Unterlassung, Feststellung und Auskunft aus Anlass eines sog. „Datenscraping-Vorfalls“ und damit einhergehender DSGVO-Verstöße. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Nach einem vorausgegangenen Hinweisbeschluss verwarf das OLG die Berufung als unzulässig. Die Berufungsbegründung entspreche nicht den Anforderungen des § 520 III Nr. 2 und 3 ZPO. Sie stelle ihrem äußeren Anschein nach vielmehr ein Textdokument dar, das die Klägervertreter, die gerichtsbekannt bundesweit eine vierstellige Anzahl von Klageparteien in vergleichbaren Verfahren vertreten, offensichtlich einmal erstellt hätten, um es sodann gänzlich oder zumindest weitestgehend ohne inhaltliche Änderungen in einer Vielzahl von Verfahren zu verwenden. Dabei hätten sie dem äußeren Anschein nach das Textdokument inhaltlich so gestaltet, dass es auf sämtliche Problembereiche eingeht, die sich in Verfahren wie dem vorliegenden in rechtlicher Hinsicht theoretisch stellen können, unabhängig davon, ob die jeweiligen rechtlichen Aspekte von dem jeweiligen erstinstanzlichen Gericht tatsächlich überhaupt in entscheidungserheblicher Weise zum Gegenstand seines Urteils gemacht worden sind oder nicht bzw. ob das erstinstanzliche Gericht in bestimmten Punkten überhaupt zulasten des Berufungsklägers entschieden hat. Dabei sei es zwar zwangsläufig, dass die jeweiligen rechtlichen Aspekte, die das jeweilige erstinstanzliche Gericht zum tragenden Gegenstand der angefochtenen Entscheidung gemacht hat, zumindest teilweise auch einmal „angesprochen“ bzw. „gestreift“ werden. Von einem „Zuschnitt auf den konkreten Streitfall“ könne dabei aber keine Rede sein. Die Klägervertreter machten geltend, dass es sich um ein sog. „Massenverfahren“ handele und die rechtlichen Ausführungen aufgrund der identischen DSGVOVerstöße denknotwendig gleich seien, weshalb die „Textbausteinartigkeit“ der Schriftsätze wenigstens gerechtfertigt und nicht prozessordnungswidrig sei. Das ändere aber nichts daran, dass jede einzelne Berufungsbegründung so auf das jeweilige Urteil der ersten Instanz zugeschnitten sein müsse, dass es den Anforderungen des § 520 III Nr. 2 und 3 ZPO entspricht. Auf die Ausführungen des Senats in seinem Hinweisbeschluss seien die Klägervertreter nicht konkret eingegangen. Namentlich gelte dies für die Ausführungen, dass das Landgericht den Kläger nach § 141 ZPO angehört und sodann in dem angefochtenen Urteil ausgeführt habe, dass und aus welchen konkreten Gründen es nicht die hinreichende Überzeugung davon habe gewinnen können, dass dem Kläger infolge der behaupteten Pflichtverletzungen „innere Belastungen“ widerfahren seien, die einen immateriellen Schadensersatz rechtfertigen könnten. Es sei zwangsläufig, dass eine auf mehrere tausend Verfahren konzipierte Berufungsbegründung, die auch keinerlei individualisierende „Ergänzungen“ enthalte, nicht auf diese konkrete BeweisJUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT BRAK-MITTEILUNGEN 5–6/2024 AUFSÄTZE 280
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