BRAK-Mitteilungen 5-6/2024

würdigung im Einzelfall eingehen kann, wie es aber prozessual erforderlich gewesen wäre. (hg) ZUSTELLUNGSFIKTION TROTZ eEB? Für den Beweis der Unrichtigkeit des Empfangsbekenntnisses eines Rechtsanwalts betreffend die Zustellung eines Landgerichtsurteils kann es, wenn die elektronische Eingangsbestätigung des Systems des Rechtsanwalts und das in dem Empfangsbekenntnis angegebene Zustelldatum zeitlich erheblich auseinanderliegen (hier: mehr als zwei Wochen), entsprechend § 427 ZPO den Ausschlag geben, dass der Rechtsanwalt entgegen einer Anordnung nach § 142 I ZPO das beA-Nachrichtenjournal zu der elektronischen Übersendung des Landgerichtsurteils nicht vorlegt. OLG München, Beschl. v. 19.6.2024 – 23 U 8369/21, NJW 2024, 2333 Die Rechtsmittelfrist errechnet sich ab der Zustellung der Entscheidung. Maßgeblich ist dabei nicht der Zeitpunkt des Posteingangs im beA, sondern die Abgabe des elektronischen Empfangsbekenntnisses, welches die Willensentscheidung des Empfängers voraussetzt, das elektronische Dokument an dem einzutragenden Zustellungsdatum als zugestellt entgegenzunehmen.15 15 BGH, NJW 2024, 1120 Rn. 10. Das führt dazu, dass das Datum auf dem eEB (wie im Übrigen auch früher auf der Postkarte) oft nicht mit dem Zugang im beA identisch ist. Wir haben in dieser Rubrik schon mehrfach beschrieben, dass Gerichte diese Tatsache ungern akzeptieren und versuchen, dieser (teilweise auch missbräuchlichen) Vorgehensweise beizukommen. Möglich ist grundsätzlich der Gegenbeweis gegen die Richtigkeit des im eEB angegebenen Zustellungsdatums. Hier war das Urteil am 7.10. versandt worden, während das eEB auf den 22.10. datiert, am 4.11 gezeichnet und am 19.11. nach dreifacher Mahnung durch das Gericht abgegeben wurde. Der Prozessgegner beantragte zum Gegenbeweis die Vorlage der Mandantenkorrespondenz und Parteieinvernahme des Berufungsklägers. Das war dem OLG dann wohl doch zu heftig, jedoch ordnete es mit Beschluss v. 26.4.2024 nach § 142 ZPO Vorlage des beA-Nachrichtenjournals an, in dem auch protokolliert wird, wer die Nachricht wann das erste Mal geöffnet hat. Zwar genüge grundsätzlich allein das EB, auch sei allein eine erhebliche Dauer zwischen Eingang und Zustelldatum kein Beweis für die Unrichtigkeit. Die Umstände des Einzelfalls würden die Anordnung hier gleichwohl rechtfertigen. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass ein Rechtsanwalt gem. § 53 I Nr. 1 BRAO schon im Fall einer Verhinderung von mehr als einer Woche für Vertretung sorgen müsse, die auch für die zeitnahe Bestätigung von Zustellungen Sorge zu tragen habe. Trotz der Anordnung legte der Prozessbevollmächtigte das beA-Journal nicht vor. Damit brachte er das Fass wohl zum Überlaufen, der Senat würdigte den Sachverhalt, insbesondere das „beharrliche Unterlassen des Beklagtenvertreters, die angeforderte Unterlage zu übersenden und die vom Senat benannten Ungereimtheiten in Bezug auf die zeitlichen Abläufe zu erläutern“, dahingehend, dass eine Zustellung deutlich früher als angegeben erfolgt war. Die Berufungsfrist war damit versäumt. In der Tat waren hier die „Ungereimtheiten“ erheblich. Dennoch widerspricht die Würdigung des Senats, die faktisch zu einer „Zustellungsfiktion“ führt, dem Sinn des Empfangsbekenntnisses, das eben auch eine subjektive Komponente, nämlich die Willensentscheidung zur Entgegennahme enthält. Berufsrechtlich mag man solche Verzögerungstaktiken für verwerflich und rügewürdig halten – solange der Prozessbevollmächtigte die Entscheidung inhaltlich nicht zur Kenntnis genommen hat (womit ja auch eine Kontrolle der formalen Wirksamkeitsvoraussetzungen der Entscheidung einhergehen sollte), darf man die Zustellung nicht fingieren. Auch das beA-Journal hätte gar nichts anderes belegen können, denn wenn die Nachricht nur kurz aufgeklickt, aber nicht gelesen wird, fehlt es am Kenntnisnahmewillen. (ju) BEI DATEIFORMATFEHLER MUSS UNVERZÜGLICH NACHGEREICHT WERDEN 1. Ein elektronisches Dokument ist jedenfalls bei führender elektronischer Akte nur dann im Sinne des § 52a II 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet, wenn es in einem der in § 2 I der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) genannten Dateiformate in der elektronischen Poststelle des Gerichts eingegangen ist. Ein Dokument, das bei einem Gericht nicht in dem nach § 52a II 1 FGO i.V.m. § 2 I ERVV vorgeschriebenen Dateiformat PDF eingereicht wird, ist danach nicht formgerecht und wird nicht wirksam an das Gericht übermittelt. 2. Eine Verletzung dieser Formvorschrift begründet grundsätzlich ein die Wiedereinsetzung nach § 56 FGO hinderndes Verschulden, da für solche Fälle bereits die Vorschrift des § 52a VI FGO eine verschuldensunabhängige Heilung vorsieht. BFH, Beschl. v. 30.8.2024 – V R 1/24, DStR 2024, 2176 Für Probleme beim beA gibt es mehrere Rettungsmöglichkeiten. Man sollte aber wissen, welche bzw. in welcher Reihenfolge man sie nutzen sollte, um die Frist doch noch erfolgreich zu wahren. Hier hatte die Prozessbevollmächtigte des Klägers die Revisionsschrift als Word-Datei übermittelt. Mit Schreiben vom selben Tag wies die Geschäftsstelle des V. Senats des BFH die Prozessbevollmächtigte darauf hin, dass § 2 ERVV eine Übermittlung elektronischer Dokumente im Dateiformat PDF oder TIFF erfordere und der Schriftsatz nicht diesem Erfordernis entspreche. Zugleich wies die Geschäftsstelle auf § 52a VI FGO hin. AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 5–6/2024 281

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