BRAK-Mitteilungen 5-6/2024

[23] 3. Insofern käme in der Sache nur eine andere Entscheidung als die von der Bekl. getroffene in Betracht, wenn die betreffende Vorschrift des § 59i I 1 BRAO – wie es die Kl. auch meint – verfassungswidrig wäre. Davon ist nach Auffassung des Senats jedoch nicht auszugehen. [24] a) § 59i I 1 BRAO verstößt nicht gegen Art. 12 I GG. kein Verstoß gegen Art. 12GG [25] Das Grundrecht der Berufsfreiheit wird durch Art. 12 I GG umfassend geschützt und gilt gem. Art. 19 III GG auch für die Kl. als GmbH, weil Art. 12 I GG seinem Wesen nach auf juristische Personen des Privatrechts anwendbar ist. In dieses Grundrecht darf nur auf gesetzlicher Grundlage – hier § 59i I 1 BRAO – und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingegriffen werden (vgl. BGH, Urt. v. 20.3. 2017 – AnwZ (Brfg) 33/16 Rn. 47-49 m.w.N.). [26] An die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind bei einer Einschränkung der Berufsausübung (Art. 12 I 2 GG) wie im vorliegenden Fall geringere Anforderungen zu stellen als an eine Einschränkung der Berufswahl. Um den Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit rechtfertigen zu können, genügt es, wenn die vom Gesetzgeber verfolgten Gemeinwohlziele auf vernünftigen Erwägungen beruhen und das gewählte Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist, der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit den Berufstätigen mithin nicht übermäßig oder unzumutbar trifft. Je empfindlicher die Berufsausübenden in ihrer Berufsfreiheit beeinträchtigt werden, desto stärker müssen die Interessen des Gemeinwohls sein, denen die Regelung zu dienen bestimmt ist (BVerfG, Urt. v. 13.12.2000 – 1 BvR 335/97 Rn. 26; vgl. BGH, Urt. v. 20.3.2017 – AnwZ (Brfg) 33/16 Rn. 51 m.w.N.). [27] Diesen Anforderungen genügt § 59i I 1 BRAO. Wie sich aus den Einzelheiten der Gesetzesbegründung ergibt, ging es dem Gesetzgeber darum, die berufsrechtlichen Vorgaben für mehrstufige Gesellschaften zu vereinheitlichen und diese grundsätzlich zuzulassen, durch die Beschränkung auf zugelassene BAGen und die damit verbundene Kammerzulassung aber gleichzeitig die Kontrolle der Einhaltung der Vorgaben nach der BRAO durch die RAKn sicherzustellen (BT-Drs. 19/27670, 191). Das ist sicherlich vernünftig und als Mittel auch geeignet und erforderlich. Die betreffende Einschränkung ist für die Kl. auch zumutbar, weil es ihr bzw. ihren Gesellschaftern weiterhin möglich ist, ihren Beruf in einer Vielzahl von Rechtsformen auszuüben (vgl. BGH, Urt. v. 20.3.2017 – AnwZ (Brfg) 33/16 Rn. 53). [28] b) § 59i I 1 BRAO verstößt auch nicht gegen Art. 3 kein Verstoß gegen Art. 3GG I GG, der verlangt, dass wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich behandelt wird (BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 13.12.2016 – 1 BvR 713/13 Rn. 18 m.w.N.). [29] (1) Vorliegend wird nicht wesentlich Gleiches ungleich behandelt, denn – vereinfacht gesagt – Steuerberater sind keine Rechtsanwälte und umgekehrt. Bei aller Ähnlichkeit von zumindest Teilen ihrer Tätigkeit, der berufsrechtlichen Struktur und auch bspw. der Verschwiegenheitsverpflichtung, geht der Tätigkeitsbereich von Rechtsanwälten doch – wie auch die Kl. selbst als „einzig denkbaren Grund“ anführt – bei Weitem über das hinaus, was Gegenstand der Tätigkeit des Steuerberaters ist und sein darf. Insofern gelten für sie auch eigenständige Regelung zu ihren Berufspflichten (vgl. §§ 43 ff. BRAO, §§ 1 ff. BOStB), die – wie die Kl. wiederum selbst anführt – lediglich „nahezu identischen“ sind. Insbesondere die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts als Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten ist dabei zu beachten (vgl. BT-Drs. 19/27670, 179). Deshalb ist der Gesetzgeber auch zu Recht davon ausgegangen, dass, soweit sich die rechtliche Stellung oder die tatsächliche Situation der Berufsgruppe voneinander unterscheiden, erforderliche Abweisungen bestehen bleiben sollen (vgl. BT-Drs. 19/27670, 133). [30] Eine Verletzung des Gleichheitsgrundrechts besteht darin nicht. [31] (2) Ein Verstoß gegen Art. 3 I GG ergibt sich auch nicht daraus, dass zwar Steuerberater (als natürliche Personen) Teil einer rechtsanwaltlichen BAG sein dürfen, aber keine steuerberaterliche BAG. Gerade im Hinblick auf die vom Gesetzgeber herausgehobene Bedeutung der Unabhängigkeit der Organe der Rechtspflege und – nicht zuletzt auch im Interesse einer in der Praxis mit vertretbarem Aufwand möglichen und ordnungsgemäß funktionierenden Kontrollmöglichkeit der RAK – gebotenen Transparenz ist es nicht zu beanstanden, in diesem Zusammenhang für Anwälte berufsübergreifend mehrstöckige Gesellschaften in der von der Kl. begehrten Form nicht zuzulassen. [32] Der Hinweis der Kl. auf §§ 59d, 59e BRAO verfängt an dieser Stelle nicht. Denn die §§ 59d I 1, 59e II 2 BRAO verweisen, wie die Bekl. zu Recht bereits in ihrem Bescheid ausgeführt hat, auf § 59c I 1 BRAO, der aber gerade eine Steuerberatungsgesellschaft nicht nennt. [33] 4. Vor diesem Hintergrund liegt auch kein Verstoß kein Verstoß gegen Europarecht gegen die europarechtliche Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs (Art. 63 AEUV [EUArbeitsweisevertrag]) oder die Rechte der Dienstleistungsrichtlinie vor. [34] Die Unabhängigkeit der Rechtsberatung, die Wahrung des Transparenzgebots und die Sicherheit der beruflichen Verschwiegenheit sind durch den EuGH als Ziele der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, die eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit rechtfertigen können, anerkannt (EuGH, Urt. v. 2.12.2010 – C-225/ 09; vgl. Bayerischer AGH, EuGH-Vorlage v. 20.4.2023 – BayAGH III – 4 – 20/21 Rn. 157). Auch nach der Dienstleistungsrichtlinie ist es zulässig, Beschränkungen vorBRAK-MITTEILUNGEN 5–6/2024 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 310

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