BRAK-Mitteilungen 5-6/2024

lung durch dispositives Recht nach der Rechtsprechung des EuGH (st. Rspr. bspw. EuGH, Urt. v. 12.1.2023 – C395/21, D.V., ZIP 2023, 360 Rn. 56 m.w.N.) nur dann zu, „wenn die Nichtigerklärung der missbräuchlichen Klausel das Gericht zwingen würde, den Vertrag insgesamt für nichtig zu erklären, was für den Verbraucher besonders nachteilige Folgen hätte, so dass dieser dadurch geschädigt würde“ (vgl. etwa Schmidt, inUlmer/ Brandner/Hensen, AGB-Recht, 13. Aufl., § 306 Rn. 4c f.; Graf von Westphalen, ZIP 2023, 2177, 2184; Piekenbrock, ZIP 2024, 49, 55 ff.). [60] b) Die aufgeworfene Frage ist für die Entscheidung des Streitfalles bedeutungslos. Die Vorschriften des RVG stellen kein abdingbares Recht i.S.d. Rechtsprechung des EuGH dar. Sie enthalten ein gesetzliches Preisrecht, das über die Höhe der Vergütung der Rechtsanwälte für anwaltliche Tätigkeiten bestimmt. Als gesetzliches Preisrecht geht es über die Ergänzungsfunktion abdingbaren Rechts hinaus; ihm kommt vielmehr eine Ordnungsfunktion zu. [61] Die Wirkungen des Vergütungsrechts erschöpfen sich nicht in der Bereitstellung von Preisregeln für den Fall, dass es an einer (wirksamen) Honorarvereinbarung (§ 3a RVG) zwischen Rechtsanwalt und Mandant fehlt. § 1 I 1 RVG ordnet vielmehr an, dass sich die Vergütung für anwaltliche Tätigkeiten der Rechtsanwälte nach dem RVG bemisst. Anknüpfungspunkt für die Vergütungspflicht ist dabei die anwaltliche Tätigkeit (vgl. Toussaint, Kostenrecht, 54. Aufl., § 1 RVG Rn. 16; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 26. Aufl., § 1 Rn. 22). Liegen die Voraussetzungen des § 1 RVG vor, bemisst sich die Vergütung für anwaltliche Tätigkeiten, wenn es an einer (wirksamen) Vereinbarung über die Höhe der Vergütung fehlt, zwingend nach den Bestimmungen des RVG. Abweichungen setzen eine Vergütungsvereinbarung voraus. Zur Disposition der Vertragsparteien steht das gesetzliche Preisrecht nur in dem Rahmen, den die Gebührenordnung selbst eröffnet. Form, Zulässigkeit und Reichweite anwaltlicher Vergütungsvereinbarungen, mit denen von den gesetzlichen Gebühren abgewichen wird, bestimmen sich nach Maßgabe der §§ 3a bis 4bRVG. [62] Hingegen stellt das RVG den Vertragsparteien weder frei, die gesetzlichen Vergütungen ersatzlos abzubedingen, noch sich für den Fall der Unwirksamkeit der getroffenen Vergütungsvereinbarung von den Preisbestimmungen der Gebührenordnung zu lösen. Insoweit ist das gesetzliche Preisrecht nicht disponibel. Außer in Fällen des anfänglich zulässigen Vergütungsverzichts (§ 4 I 3 und II RVG) hat dies zur Folge, dass die Preisregeln des RVG zwingend eingreifen, wenn es wie im Streitfall (oben Rn. 52 ff.) an einer (wirksamen) Vergütungsvereinbarung (§ 3a RVG) fehlt (§ 1 I 1 RVG). Dies zeigt sich auch daran, dass die sich aus den Bestimmungen des RVG ergebende Vergütung selbst dann geschuldet ist, wenn es an einem wirksamen Vertrag fehlt, wie etwa im Falle einer Geschäftsführung ohne Auftrag oder bei Ansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung (vgl. etwa Mayer/Kroiß/Mayer, RVG, 8. Aufl., § 1 Rn. 30 ff.; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 26. Aufl., § 1 Rn. 85 ff.). [63] III. Das angefochtene Urteil ist insgesamt aufzuheben (§ 562 I ZPO), weil beide Revisionen begründet sind. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 I 1 ZPO), weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 III ZPO). Anhand der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen lässt sich die Höhe des Honorars des Kl. nach den gesetzlichen Gebühren nicht bestimmen. Das Berufungsgericht wird die hierzu erforderlichen Feststellungen zu treffen haben. [64] Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: Die Inhaltskontrolle von Formularklauseln dient ausschließlich dem Schutz des Vertragspartners des Verwenders; der Verwender kann sich nicht auf die Unwirksamkeit einer von ihm gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingung berufen und darf aus einer solchen Unwirksamkeit keine Vorteile ziehen (BGH, Urt. v. 12.5.2016 – VII ZR 171/15, BGHZ 220, 206 Rn. 58 m.w.N.). [65] Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht dem Kl. keine höhere als diejenige Vergütung zu, welche sich aus den Honorarvereinbarungen ergäbe. Um dies sicherzustellen, wird das Berufungsgericht auch Letztere zu bestimmen und der ermittelten gesetzlichen Vergütung gegenüberzustellen haben. Dabei wird das Berufungsgericht in seine Überlegungen einzubeziehen haben, inwieweit die eine Erhöhung des vereinbarten Stundensatzes bewirkenden Klauseln auch bei isolierter Betrachtung der jeweiligen Klauseln unwirksam sind. ANMERKUNG: Nachdem der EuGH mit der Entscheidung v. 12.1. 2023 (C-395/21) zu den Anforderungen an die Transparenz von Zeitaufwandsvereinbarungen für erhebliche Verunsicherung gesorgt hatte, hat der BGH mit seinem Urt. v. 12.9.2024 nun in dieser Frage erfreulicherweise Klarheit geschaffen. Der EuGH hatte entschieden, dass eine formularmäßig mit einem Verbraucher vereinbarte Stundenhonorarvereinbarung nicht den Transparenzvorgaben des Art. 4 III der Verbraucherrichtlinie (RL 93/13/EWG) genüge, wenn dem Verbraucher vor Vertragsschluss nicht die Informationen zur Verfügung gestellt werden, die er benötigt, um zur Beurteilung seines Kostenrisikos abschätzen zu können, wie viel Zeit der Rechtsanwalt voraussichtlich aufwenden muss. Da es für Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen aber oft schwer, wenn nicht gar unmöglich ist, bei Vertragsschluss vorherzusehen, wie viele Stunden für das Mandat genau erforderlich sein werden, ist eine solche Forderung kaum zu erfüllen. Das hat nun auch der BGH so gesehen. Er hat an seiner bisherigen Rechtsprechung zu Wirksamkeitsanforderungen an Zeithonorarvereinbarungen festgehalten und zugleich präzisiert, dass diese nach den VorgaVERGÜTUNG BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 5–6/2024 319

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