BRAK-Mitteilungen 1/2025

AUFSÄTZE EUROPÄISCHER GERICHTSHOF BESTÄTIGT FREMDBESITZVERBOT RECHTSANWALT DR. HANS-MICHAEL POTT UND ASS. JUR. NADJA WIETOSKA* * Der Autor Dr. Pott ist Rechtanwalt in Düsseldorf, Mitglied des Vorstands der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf und Mitglied im Ausschuss Europa der BRAK. Die Autorin Wietoska ist Geschäftsführerin im Brüsseler Büro der BRAK und Redakteurin der BRAK-Mitteilungen (Rechtsprechung EuGH/EGMR). Kaum ein Verfahren hat in den letzten Jahren mehr Aufsehen erregt als das Vorlageverfahren des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs an den Europäischen Gerichtshof zum sog. Fremdbesitzverbot im anwaltlichen Berufsrecht nach §§ 59a, 59e BRAO a.F. Ende Dezember entschied der Gerichtshof, dass das Fremdbesitzverbot mit Unionsrecht vereinbar ist. Die Autorin und der Autor zeigen, warum das Urteil mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs zur anwaltlichen Unabhängigkeit keineswegs überraschend ist. I. AUSGANGSVERFAHREN In dem Ausgangsverfahren der vom Bayerischen Anwaltsgerichtshof mit seinem Beschluss vom 20.4.20231 1 BayAGH, Beschl. v. 20.4.2023 – BayAGH III-4-20/21, BRAK-Mitt. 2023, 185 m. Anm. Schaeffer. S. dazu auchDahns/Flegler/Nitschke, BRAK-Mitt. 2023, 204 sowie Zelger, BRAK-Mitt. 2024, 131. ersuchten Vorabentscheidung widerrief die zuständige Rechtsanwaltskammer München die Zulassung einer Rechtsanwalts-UG nach Übernahme von 51 % der Geschäftsanteile durch die österreichische SIVE-GmbH unter Berufung auf das sog. Fremdbesitzverbot in §§ 59a, 59e BRAO a.F. Gegen eben diesen Widerruf klagte die betroffene Rechtsanwalts-UG und machte geltend, dass die Regelungen der §§ 59e ff. BRAO a.F. aus ihrer Sicht nicht mit dem Unionsrecht vereinbar seien – konkret mit dem Recht auf Kapitalverkehrsfreiheit i.S.d. Art. 63 I AEUV, der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 und 54 AEUV sowie mit Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie. Einer Gefährdung der anwaltlichen Berufspflichten sei zudem durch die geänderte Satzung2 2 Zuvor wurde die Satzung bereits geändert, um die Übertragung von Geschäftsanteilen an eine nicht zur Anwaltschaft zugelassene Kapitalgesellschaft zu ermöglichen. begegnet worden, die klarstellt, dass die nichtanwaltliche Gesellschafterin zum einen keinen Einfluss auf die Berufsausübung der Anwälte nehmen kann und zum anderen ihre Auskunfts- und Einsichtsrechte in der Art beschränkt sind, dass keine Gefahren für die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht entstehen können. Der Bayerische AGH nahm die Bedenken ernst und legte die Sache dem EuGHvor. II. ENTSCHEIDUNG DES EUGH Der Gedankengang der Großen Kammer3 3 Der EuGH tagt als Große Kammer – EuGH-Präsident, 8 Kammerpräsidenten, 4 weitere Richter – bei besonderer Bedeutung oder Komplexität des Rechtsstreits oder aber auch im Falle einer Beantragung durch einen Mitgliedstaat oder ein Organ als Partei des Verfahrens. Das war hier der Fall. des EuGH lässt sich einfach nachvollziehen – schließlich reiht sich die hiesige Entscheidung in eine langjährige Rechtsprechungslinie des Gerichtshofs ein. Der EuGH sieht die Dienstleistungsfreiheit, die Niederlassungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit als betroffen an. Er schlägt dann jedoch nicht, wie die Gesellschaft des Ausgangsfalls es für geboten hielt, mit den Grundfreiheiten durch alle nationalen Regelungen, sondern stellt dar, dass die unionsweiten unterschiedlichen Regelungskonzepte zur Rechtsanwaltschaft es gebieten, die Anwendung der Grundfreiheiten auf die anwaltliche Tätigkeit differenziert anzulegen. 1. LEGITIME EINSCHRÄNKUNG DER DIENSTLEISTUNGSFREIHEIT Dazu stellt der Gerichtshof erkennbar darauf ab, dass diese Regelungen die Anwaltschaft regulieren und greift zunächst auf diejenigen Richtlinien zurück, welche die anwaltliche Tätigkeit, also die Dienstleistungen, betreffen. Der EuGH führt aus, dass die Komplexität der Konzepte anwaltlicher Tätigkeit nicht durch die schlichte Anwendung der Grundfreiheiten behandelt werden kann, sondern sekundärrechtliche Regelungen durch Richtlinien erfordert. Die generell die Dienstleistungsfreiheit umreißende Richtlinie 2006/123 („Dienstleistungsrichtlinie“) spricht er erkennbar als geeignet an, um seine Anforderungen zu präzisieren. Diese trägt auch in den Erwägungsgründen den Gedanken des Gerichtshofs – nicht überraschend, da mit der Überlegung des Erfordernisses einer Richtlinie deren Erlass generell gerechtfertigt werden muss. Für den EuGH als bedeutend unterstreicht die Entscheidung, dass er die Gebote, die er für jede Einschränkung von Grundfreiheiten aufstellt, als erfüllt ansieht. Die Einschränkungen dürfen nicht nach der Staatsangehörigkeit oder dem Sitzstaat diskriminieren, sie müssen durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig sein, d.h. sie müssen geeignet und erforderlich sein, den Zweck, den Schutz des Allgemeininteresses, zu erreichen, und dürfen nicht über das erforderliche Maß hinausgehen oder durch ein milderes Mittel erreicht werden können. Das sind seit Jahrzehnten BRAK-MITTEILUNGEN 1/2025 AUFSÄTZE 2

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