BRAK-Mitteilungen 1/2025

nen, hat der EuGH weder unbeachtet gelassen, noch ist es ihm unbekannt gewesen. Der Gerichtshof begegnet an dieser Stelle mit der Einbettung des Rechtsanwalts in berufsbezogenes Recht, das Berufs- und Standesrecht. Indem sich der Anwalt hieran halten muss, kann er keinem derartigen Konflikt in seiner eigenen Basis, der Berufsausübungsgesellschaft, ausgesetzt sein. Zum Abschluss seiner Prüfung betont der Gerichtshof, dass es im Schwerpunkt auch um die Wahrung der uneingeschränkten Loyalität gegenüber dem Mandanten geht. Deshalb stellt der EuGH sein Urteil in eine Reihe mit anderen jüngeren Entscheidungen, welche die Loyalität in der Erscheinungsform der Verschwiegenheit des Anwalts betonen. 2. WEITERE GRUNDFREIHEITEN Die weiteren Grundfreiheiten sind sodann schnell erledigt und bedürfen aus anwaltlicher Sicht keiner umfangreicheren Darstellung. III. BEDEUTUNG DES URTEILS Das Fazit des Urteils ist einfach zu ziehen. Die Stellung des Rechtsanwalts ist von größter Bedeutung für den Rechtsstaat und – wie der EuGH ausdrücklich ausspricht – die Demokratie. Dazu steht die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts und die berufsrechtlich abgesicherte und integritäre Verpflichtung gegenüber den Mandanteninteressen im Vordergrund. 1. RECHTSPRECHUNGSLINIE ZUR STELLUNG DES RECHTSANWALTS Dass dies eine verfestigte Position des EuGH ist, wird nicht nur vor dem Hintergrund jüngster Entscheidungen, auf die er sich ausdrücklich beruft, deutlich, sondern kristallisiert sich bereits seit seinem Urteil aus 1982 in der Rechtssache AM & S/Kommission als Rechtsprechungslinie heraus: In letztgenannter Entscheidung10 10 EuGH, Urt. v. 18.5.1982 – C-155/79. – ebenso wie in seiner 2010 ergangenen Akzo Nobel-Entscheidung11 11 EuGH, Urt. v. 14.9.2010 – C-550/07 Rn. 42. – betont der Gerichtshof, dass die Bedeutung und Anforderung, nach der der Rechtsanwalt zwingend einen unabhängigen Status innehaben muss, „auf der spezifischen Vorstellung von der Funktion des Anwalts als eines Mitgestalters der Rechtspflege, der in völliger Unabhängigkeit und in deren vorrangigem Interesse dem Mandanten die rechtliche Unterstützung zu gewähren hat.“ beruht. Diese Konzeption entspringe den gemeinsamen Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten.12 12 EuGH, Urt. v. 18.5.1982 – C-155/79 Rn. 24. Dass Rechtanwältinnen und Rechtsanwälten in einer demokratischen Gesellschaft eine grundlegende Rolle zukommt – nämlich die der Verteidigung der Parteien – und dass dieser wesentlichen Aufgabe nicht nachgekommen werden kann, ohne dass die Vertraulichkeit zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten garantiert wird, legte der EGMR bereits 2012 in seinem Urteil vom 6.12.2012 in der Rechtssache Michaud/Frankreich nieder.13 13 EGMR, Urt. v. 6.12.2012 – CE:ECHR:2012:1206JUD001232311 Rn. 117. Diesen klaren Umriss der anwaltlichen Rolle griff der Gerichtshof 2022 in seiner Entscheidung in Sachen Orde van Vlaamse Balies u.a./Vlaamse Regering auf. Damit schloss er den Kreis zu seinem Urteil aus 1982, in dem er ausführt, dass diese grundlegende Aufgabe zum einen das Erfordernis umfasse, „dessen Bedeutung in allen Mitgliedstaaten anerkannt wird, dass es dem Einzelnen möglich sein muss, sich völlig frei an seinen Rechtsanwalt zu wenden, zu dessen Beruf es schon seinem Wesen nach gehört, all denen unabhängig Rechtsberatung zu erteilen, die sie benötigen, und zum anderen die damit zusammenhängende Loyalität des Rechtsanwalts seinem Mandanten gegenüber.“14 14 EuGH, Urt. v. 8.12.2022 – C-694/20 Rn. 28, BRAK-Mitt. 2023, 40 Ls. 2. JÜNGSTE RECHTSPRECHUNG DES EUGH Auch die jüngste Rechtsprechung herangezogen, malt sich selbiges Bild: Mit dem Urteil vom 8.12.2022 – C-694/20, hat der EuGH die anwaltliche Verschwiegenheit in Zusammenhang mit der von der Richtlinie 2011/16 eingeführten Meldepflicht zu aggressiven steuerlichen Gestaltungen behandelt. Die Richtlinie ermöglicht die Befreiung des Rechtsanwalts von der Meldeplicht gegenüber den Finanzbehörden, verpflichtet ihn aber für diesen Fall, andere an der Gestaltung beteiligte Berater („Intermediäre“) auf die seiner Auffassung nach bestehenden Anzeigepflichten hinzuweisen. Der EuGH hat diese Pflicht ausdrücklich für nicht mit der Grundrechtecharta der Union vereinbar erklärt und sodann noch einen weiteren Punkt daraufgesetzt. Als die belgischen Steuerberater eine Gleichstellung mit den Rechtsanwälten in dieser Beziehung verlangten, hat er ausführlichst im Urteil vom 29.7.2024 – C-623/ 2215 15 EuGH, Urt. v. 29.7.2024 – C-623/22, BRAK-Mitt. 2024, 301 Ls. dargelegt, dass nur der Rechtsanwalt aufgrund seiner – man kann es kaum anders sagen – überragenden Stellung im rechtsstaatlichen Gefüge in dieser Weise Schutz verdient. Des Weiteren hat er im Urteil vom 26.9.2024 – C-432/23, festgehalten, dass die staatlicherseits aufgrund der Richtlinie 2011/16 verlangte Informationsherausgabe zur Information eines anderen Mitgliedstaates zu gesellschaftsrechtlichen Beratungen das durch die Grundrechtscharta geschützte Anwaltsgeheimnis verletzt. Alle diese vorhergehenden Entscheidungen bieten aufgrund der Fallgestaltungen keinen lückenlosen Schutz. Die Summe aller Aussagen, wie sie jetzt in der Entscheidung zum Fremdbesitz zusammenfließen, kann aber nur so verstanden werden, dass der Anwaltsberuf einen äußerst hohen Schutz des europäischen Rechts genießt. POTT/WIETOSKA, EUROPÄISCHER GERICHTSHOF BESTÄTIGT FREMDBESITZVERBOT BRAK-MITTEILUNGEN 1/2025 AUFSÄTZE 4

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