3. BEDEUTUNG DES ANWALTLICHEN BERUFS- UND STANDESRECHTS Eine weitere Anwendungsfolge, die nicht sofort ins Auge springt, ist die Bedeutung, die der EuGH dem anwaltlichen Berufs- und Standesrecht beimisst. Haben früher die Europäische Kommission und in abgemilderter Form auch der EuGH deutlich gemacht, dass das Berufsrecht und erst recht das Standesrecht als Grundlage freiheits- und wettbewerbsbeschränkender Instrumente betrachtet werden können – und vor diesem Hintergrund auch die anwaltliche Selbstverwaltung im Lichte der Grundfreiheiten und des Wettbewerbsrechts –, ist nun ausdrücklich ausgesprochen, dass Berufs- und Standesrecht ein Fundament für die mandantenorientierte Berufsausübung des Rechtsanwalts sind. 4. VERPFLICHTUNG ZUM SCHUTZ ANWALTLICHER UNABHÄNGIGKEIT Die Bedeutung des Urteils, ergänzt und untermauert durch die vorhergehenden Entscheidungen, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Der Fallgestaltung folgend billigt es dem Gesetzgeber des Mitgliedstaats die unionsrechtliche Befugnis zu, die Tätigkeit der Rechtsanwälte zum Schutze ihrer Unabhängigkeit zu regeln. Indem der Wert der beruflichen Unabhängigkeit des Rechtsanwalts aus Gründen des Unionsrechts als besonders schutzwürdiges Gut betont wird, folgt daraus nicht nur das Recht, sondern auch die Verpflichtung, diese Unabhängigkeit zu schützen. ANWALTSCHAFT 4.0: JOBZUFRIEDENHEIT IM KANZLEIALLTAG NICOLE GENITHEIM, M.A.* * Die Autorin ist Leiterin des Forschungsbereichs Freie Berufe beim Institut für Freie Berufe (IFB) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. – Die gesamte Studie ist als als Print- und Digitalausgabe über das Institut für Freie Berufe (forschung@ifb.uni-erlangen.de) zu erwerben. Im Auftrag der Selbsthilfe der Rechtsanwälte e.V. wurden zwischen Februar und Mai 2023 Rechtsanwaltsfachangestellte (ReFas), Rechtsreferendarinnen und -referendare, angestellte Anwältinnen und Anwälte und Kanzleiinhabende zu verschiedenen Aspekten ihrer beruflichen Tätigkeit sowie zu ihrer allgemeinen Jobzufriedenheit befragt. Der folgende Artikel stellt Ergebnisse der Studie dar und betrachtet diese im größeren Kontext des Fachkräftemangels. I. AUSGANGSSITUATION Nachdem sich der erste Band der Reihe „Anwaltschaft 4.0“ vor allem den sich wandelnden Bedingungen der Arbeit in den Kanzleien gewidmet hat, soll im zweiten Teil der Reihe die Zufriedenheit der Kanzleimitarbeitenden sowie -inhabern und -inhaberinnen näher beleuchtet werden. Da das Thema Fachkräftemangel auch an Rechtsanwaltskanzleien nicht spurlos vorüber geht, ist es für Kanzleien von zentraler Wichtigkeit zu wissen, wie Mitarbeitende mit ihrer Tätigkeit zufrieden sind und wo möglicherweise Ansatzpunkte liegen, die Zufriedenheit weiter zu verbessern und so Mitarbeitende langfristig zu binden. Die hier beschriebene Untersuchung geht genau diesem Themenkomplex auf den Grund und versucht, neben der reinen Evaluation der Jobzufriedenheit in Anwaltskanzleien, Ansatzpunkte für Verbesserungen zu erarbeiten. II. JOBZUFRIEDENHEIT Neben den Juristinnen und Juristen, die ihre Ausbildung bereits abgeschlossen haben und ins Berufsleben gestartet sind, sind die Referendare und Referendarinnen als „Anwältinnen und Anwälte von Morgen“ ein wichtiger Teil des juristischen Kanzleialltags. 1. REFERENDARINNEN UND REFERENDARE Im Rahmen der Befragung zeigt sich, dass der Beruf als Anwalt oder Anwältin überwiegend sehr bewusst ausgewählt wurde. Dabei steht vor allem die inhaltlich interessante Tätigkeit als Begründung an erster Stelle. Ein gutes Einkommen, Karriereoptionen und die Möglichkeit, Menschen zu helfen, stehen weitestgehend gleichauf an zweiter Stelle bei den Top 3 Gründen der Berufswahl. Etwas seltener wird die Möglichkeit, für Gerechtigkeit zu sorgen, als zentraler Beweggrund genannt. Eine juristische Familientradition, die Inspiration durch Film und Fernsehen oder auch die Suche nach „irgendeinem“ Studienfach wurden dahingehend nur selten als Grund für das Jurastudium angegeben. Für die Tätigkeit nach dem Referendariat strebt mit etwa 60 % ein Großteil der Teilnehmenden ein Angestellten- oder Beamtenverhältnis an. Immerhin 18 % möchten als angestellter Anwalt oder Anwältin in die Berufspraxis starten, um später eine eigene Kanzlei zu gründen. Für 16 % der Befragungsteilnehmenden sind die Zukunftspläne aber noch unklar. Deutlich wird hier auch, dass die spätere Selbstständigkeit für weibliche Teilnehmende mit 12 % deutlich seltener ein Thema darstellt als bei ihren männlichen Kollegen, deren Anteil hier bei knapp 26 % – also mehr als doppelt so hoch – AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 1/2025 5
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